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Wie ein Fahrservice aus Bangladesch Frauen vor sexueller Belästigung schützt

Foto: Lily Services

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In Dhaka, der bevölkerungsdichtesten Stadt der Welt, ist Chaos der Normalzustand. Autos, Busse, Motorräder, Mopeds, Fahrräder und Rikschas tummeln sich auf den verstopften Straßen der 18 Millionen Metropole. Wer hier eine weitere Strecke zurücklegen will, muss viel Zeit einplanen. Und da nur wenige Menschen einen Führerschein haben, müssen die Bewohner oft auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Vor allem für Frauen birgt das aber ein hohes Risiko, im täglichen Gedränge sexuell belästigt zu werden.

Auch die 22-jährige Kabit Sana hat diese Situation erlebt. Bevor sie als Fahrerin bei Lily Ride, einem Motorroller-Unternehmen, das ausschließlich Frauen als Fahrerinnen beschäftigt, angefangen hat, war auch sie oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Dabei sind es Situationen wie diese, die ihr negativ in Erinnerung geblieben sind: „Als ich mit dem Bus gefahren bin, hat der Fahrkartenkontrolleur versucht, die weiblichen Passagiere zu begrapschen“, erzählt sie am Telefon.

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Kabit Sana arbeitet Vollzeit als Fahrerin für Lily Ride.

Foto:privat

Ähnliche Situationen erleben Frauen in Bangladesch immer wieder. Einer Studie zufolge wurden 94 Prozent der Frauen, die in Bangladesch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, sexuell belästigt. Kein Wunder, da es die Behörden laut der Studie mit der Verfolgung von Straftaten nicht so genau nehmen. Als weitere Gründe werden außerdem die übermäßigen Menschenmassen in den Bussen und die schwache oder fehlende Überwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln genannt. Um gegen die sexuelle Belästigung der Frauen in Bangladesch vorzugehen, gründeten Syed Md Saif und Shah Tushar im Jahr 2017 ein Motorradtaxi-Unternehmen von Frauen für Frauen. Das bedeutet: Nur Frauen dürfen sich bei der App registrieren und nur Frauen dürfen als Fahrerinnen für Lily Ride arbeiten.

Die Idee für ihr Start-up entstand damals aus der Not heraus, als Syeds Frau dringend in die Universität musste und ihr wegen des großen Verkehrschaos in Dhaka keine andere Möglichkeit blieb, als auf ein Motorradtaxi zurückzugreifen. „Zu dieser Zeit gab es nur männliche Fahrer und meine Frau fühlte sich sehr unwohl, auf so engem Raum hinter einem fremden Mann mitzufahren“, erzählt der 28-jährige Gründer Syed in einem Skype-Gespräch. Und nicht nur das: „Nachdem der Fahrer sie an der Universität abgesetzt hatte, schickte er ihr sogar noch private Nachrichten auf ihr Handy.“

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Syed Md Saif gründete das Unternehmen gemeisam mit Shah Tushar. Inzwischen haben sich ihre Wege getrennt und Syed Md Saif ist alleiniger Geschäftsführer.

Foto: privat

Zwei Jahre nach der Gründung arbeiten nun schon 19 festangestellte und 65 freie Fahrerinnen für Lily Ride, Tendenz steigend. Denn um auch Frauen, die keinen Führerschein und kein eigenes Motorrad haben, zu ermöglichen, als Fahrerin bei Lily Ride einzusteigen, bieten Syed und Shah nun auch kostenfreie Fahrstunden und Fahrzeugreparaturworkshops an. Entlohnt werden die Mitarbeiterinnen mit etwa 2160 Euro im Jahr (180 Euro im Monat), Rikschafahrer verdienen nach Angaben der Tageszeitung Dhaka Tribune hingegen lediglich 12 620 Tikka (circa 135 Euro) monatlich. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Bangladesch wird laut Welthunger-Index auf 1300 Euro (Stand 2017) geschätzt.

Kabit Sana arbeitet nun seit etwa einem Jahr als Fahrerin für das Motorradtaxi-Unternehmen. Während es in westlichen Ländern wie Deutschland ganz normal ist, dass Frauen Motorroller fahren, war das in Bangladesch vor nicht allzu langer Zeit noch eine Seltenheit: „In der Vergangenheit haben die Menschen oft nicht verstanden, warum Frauen Roller fahren, da diese Fahrzeuge eigentlich nur Männern vorbehalten waren. Sie haben sich über uns lustig gemacht oder hinter unserem Rücken über uns geredet. Inzwischen wird es aber immer mehr zur Normalität, dass es in diesem Berufsfeld auch Fahrerinnen gibt.“

Laut Syed, der zuvor als Manager in der Unternehmensentwicklung einer lokalen Softwarefirma gearbeitet hat, trägt neben dem weiblichen Fahrdienst auch die Flexibilität der Motorräder zum Erfolg seines Unternehmens bei. Denn wenn man Staus schnell umfahren will, braucht man das richtige Verkehrsmittel. Wie er berichtet, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit im Straßenverkehr in den vergangenen zehn Jahren von 21 Stundenkilometer auf sieben gesunken. „Es gibt zwar noch andere Alternativen wie Uber, lokale Busunternehmen und andere Taxi-Anbieter, aber diese sind oft teurer und mit dem Motorroller ist man schneller am Ziel. Außerdem sind wir das einzige Unternehmen, das seinen Fahrdienst ausschließlich auf weibliche Mitarbeiter und weibliche Kundinnen beschränkt.“

Obwohl sexuelle Diskriminierung und Belästigung in Bangladesch weiterhin ein Problem darstellen, ist der 28-Jährige überzeugt, dass sich die Situation der Frauen in seinem Land bald bessern wird: „Inzwischen setzen sich immer mehr NGOs und Initiativen für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung zwischen Mann und Frau in Bangladesch ein.“ Beispielsweise habe erst vor kurzem eine Frauenrechtsorganisation bewirkt, dass Frauen auf ihren muslimischen Heiratsurkunden nicht mehr angeben müssen, ob sie Jungfrau sind.

Bis es soweit ist, dass sich Frauen in Bangladesch ohne Angst frei fortbewegen können, hofft Syed, mit seinem Unternehmen weiter zu dieser positiven Entwicklung beizutragen: „ Seit unserer Gründung haben wir schon viele zustimmende Reaktionen erhalten. Inzwischen können wir sogar bis zu 200 Fahrgäste pro Tag ans Ziel bringen.  Für die Zukunft hoffe ich, dass wir noch mehr finanzielle Mittel erhalten, um unser Start-up weiter zu vergrößern und somit mehr Frauen die Möglichkeit zu bieten, sexueller Belästigung aus dem Weg zu gehen.“

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