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Mitleid mit Trump

Illustration: Lucia Götz

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Ich spüre es sofort, wenn ich ihn sehe. Seine strohigen Haare, Farbcode „Gelbfieber", die breite Krawatte als Phallus vor dem dicken Bauch, die schmalen Lippen beleidigt aufeinander gepresst oder zu einem Satz voller Dummheit verzerrt, die gerötete Gesichtsfarbe eines Cholerikers, Überheblichkeit aus jeder Pore – ich denke: was für eine Witzfigur. Was für ein armer Clown. Falsch sieht er aus. Künstlicher und leerer als seine Hotels. Getrieben. Unglücklich. Ich fühle etwas Seltsames: Ich habe Mitleid. Mitleid mit Donald Trump. Darf ich das?

Seit 150 Tagen ist er im Amt. 150 Tage der Demütigung. In Rekordzeit wurde er international isoliert, machten ihn die Macrons und Merkels der Welt verächtlich, mit ausbleibenden oder besonders festen Handschlägen und beispiellos deutlichen Worten. Während sie Sympathien sammeln, hofiert Trump Autokraten von Ägypten bis Saudi-Arabien, gesellt sich mit seinem Ausstieg aus dem Klimaabkommen zu den zwei anderen Verweigerern namens Nicaragua und Syrien. Wäre die Weltpolitik ein Sandkasten, Trump säße mit einer riesigen Schaufel in der Ecke derjenigen, mit denen zu Recht keiner spielen will.

Seine politischen Projekte, der Travel Ban, die Gesundheitsreform: einkassiert von Gerichten, verhindert vom eigenen, verhasst im gegnerischen Lager. „Ich hätte es mir nicht so schwer vorgestellt“, sagte er in einem seltenen Moment der Erkenntnis. Eine Allianz aus Journalisten, Beamten und Bürgern sind sich einig: Trump muss gestoppt werden. Noch nie waren die Umfragewerte eines US-Präsidenten so schnell so niedrig. Seine Rhetorik, die Welt bestünde nur aus Feinden, wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Misstrauisch ist er auch nach innen. Zu Recht.

Steve Bannon, Jared Kushner, Sean Spicer – kaum einer in Trumps Truppe ist noch nicht angezählt. Einer zeigt sich unfähiger als der andere. Die Leaks aus dem Weißen Haus bekommen sie alle nicht gestopft. Ihre Loyalität kann Trump noch erzwingen, aber Liebe – das musste er schmerzhaft lernen, als niemand (nicht einmal Celine Dion!) bei seiner Amtseinführung auftreten wollte –, Liebe kann man sich nicht kaufen. Frau Melania schaut ihn meistens so zärtlich an wie eine Tarantel, in Israel schlug sie vor Kameras seine Hand weg. Sohn Barron ist wenigstens ehrlich und gähnte bei Papas Amtseinführung herzhaft.

„He is absolutely dead inside“, schrieb Jan Böhmermann, nachdem Trump in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eine himmelschreiend unreife Botschaft ins Gästebuch geschrieben hatte: „It is a great honor to be here with all of my friends – so amazing + will never forget.“ Trumps größte Lüge bisher war vielleicht das Wort „friends“. Denn er hat fast keine.

Grob geschätzt dürfte kein Lebewesen auf der Welt so sehr gehasst, verlacht und verhöhnt werden wie Trump

Selbst schuld: Wer auf einem Nato-Gipfel Montenegros Premierminister wegschiebt, um für ein Foto vorne zu stehen, der nervt wie ein Vierjähriger, der auf der Treppe zur Rutsche drängelt. Wer Irak mit Syrien verwechselt, während er damit angibt, Raketen dorthin geschickt zu haben, der verdient Verachtung. Und wer das alles mit einem Sperrfeuer an Tweets begleitet, die immer verzweifelter klingen, Wahrheit und Anstand negieren, wer also auf allen Ebenen nicht in den Wald ruft, sondern grinsend reinpinkelt, der bekommt die entsprechende Antwort. Grob geschätzt dürfte kein Lebewesen auf der ganzen Welt so sehr gehasst, verlacht, verhöhnt werden. Niemand wird so mit Hohn und Spott überzogen. Und niemanden treibt das so um.

Denn Trump ist alles andere als ein kalter Killer. Wenn er angegriffen wird, wehrt er sich wütend wie das sprichwörtliche, in die Enge getriebene Tier. Und macht es damit nur noch schlimmer. Siehe #covfefe, als seine kleinen Hände sich wohl voller Wut vertippten. Danach soll nun sogar eine Gesetzesinitiative benannt werden (kein Scherz: der „Communication over Various Feeds Electronically For Engagement Act“), gemäß der nun auch Trumps Twitterei offiziell dokumentiert werden soll. Fast genau so lächerlich klingt die Beschreibung eines Untergebenen, wie der große Zampano im Bademantel vor dem Fernseher sitzt und das Gerät anbrüllt, sobald er sich falsch dargestellt fühlt. Trump scheint, bei aller Brutalität, sehr verletzlich. 

Denn er will geliebt werden. Oder wenigstens gefürchtet. Deshalb so bizarre Szenen wie die erste Kabinettssitzung, als er sich von seinen Ministern reihum lobpreisen ließ wie ein Diktator. Darum all die Prahlerei, die krankhafte Fixierung auf die Zahl der Besucher seiner Amtseinführung. Dafür der ewige Schwanzvergleich, der ihn in immer neue Fettnäpfe treten lässt.

"I get great intel. I have people brief me on great intel every day.“ Mit diesen Worten soll er russischen Besuchern (nicht einmal dem Präsidenten selbst) NSA-Erkenntnisse über den sogenannten „Islamischen Staat“ verraten haben. Und klang damit wieder einmal wie der Halbstarke, der an der Bushaltestelle damit aufschneidet, dass sein Vater Geheimagent ist. Ohne zu merken, dass die verbale Kugel, die er kraftmeiernd gen Himmel wirft, am Scheitelpunkt umkehrt und fällt, immer schneller, direkt ins eigene Gesicht.

 

Obgleich die meisten Experten sehr vorsichtig mit Ferndiagnosen sind, auch um gesichert kranke Menschen und ihr Leid nicht zu entwerten, besteht die Möglichkeit, dass der Mann ein pathologischer Narzisst ist. Dass in ihm etwas kaputt ist, was sich Ärzte einmal anschauen müssten. Das ist natürlich Spekulation, aber ganz ehrlich, überlegt doch mal: Wenn Donald Trump nachts wach liegt, kurz vor dem Einschlafen, sagt er sich dann, dass alles gut ist? Schlummert er mit einem sanften Lächeln ein? Oder jagen ihn die Fratzen seiner Gegner, die ausbleibende Anerkennung wie der Horror, den wir alle schon einmal durchlebt haben, das ewige „nie genug“: ein Albtraum, der seinem Leben schrecklich ähnlich ist.

 

Wir müssen uns Donald Trump als unglücklichen Menschen vorstellen. Sicher, die Welt ist auch unglücklich mit ihm. Eine so kaputte Persönlichkeit als Präsident der USA ist gefährlich, für uns alle. Aber der Mensch Trump? Nachts schreiend vorm Fernseher, sobald ihm jemand widerspricht? Bei aller Macht, bei allem Geld doch ärmer als der Ärmste von uns? Ein postmoderner Sisyphos? Was soll ich einem so offensichtlich kaputten Typen entgegen bringen, wenn nicht Mitleid?

 

Trump ist die Wurzel vielen Übels – hat er damit das Recht auf Mitleid verwirkt?

 

Doch wenn ich ihn so anschaue, diesen Präsidenten-Reality-Show-Darsteller, folgt auf das Mitleid sofort das schlechte Gewissen. Darf man einen Täter wie Donald Trump bemitleiden? Oder nur seine Opfer? Denn davon gibt es viele. Seien es die Muslime, die nicht mehr einreisen durften. Die Frauen, deren sexuelle Selbstbestimmung er mit seinem „grab her by the pussy“ verhöhnte. Die Menschen im Jemen, die durch Militärschläge getötet wurden. Die Schwarzen und Hispanos und Muslime, die von einem Anstieg der Hate-Crimes betroffen sind, bis hin zu Schulkindern. Ohne haargenau vorrechnen zu können, was an diesem feindseligen Klima genau auf Trumps Konto geht: Er ist verantwortlich. Er hatte die Wahl, er ist angetreten, er hat diese Sachen gesagt, diese Gesetze angestrengt, diese Bomben geordert. Er ist die Wurzel des Übels. Hat er damit das Recht auf Mitleid verwirkt? 

 

Was ist Mitleid überhaupt? Ist Mitleid ein Kuchen, den man gerecht verteilen muss, weil es nur soundsoviele Stücke gibt? Entwertet mein Mitleid für Trump mein Mitgefühl mit seinen Opfern? Bedeutet Mitleid für Trump also den sellout, die Inflation des Mitleids – und damit seine Wertlosigkeit?

 

Für mich stellt sich eher die Frage: Ist Mitleid überhaupt ethisch begründbar? Sollte man sein Mitleid erklären können? Ist Mitleid nicht genau deshalb so ein Wunder, weil es eben kein richtig oder falsch kennt? Weil man im Hollywoodfilm irgendwann gegen Ende auch für den Bösewicht Mitleid empfindet, nicht obwohl, sondern gerade weil er so gebrochen, so hoffnungslos, so böse ist? Ist nicht Trump genau das richtige Objekt, um unser Mitleid zu üben? Wer hat Mitleid verdient, wenn nicht der hoffnungslose Fiesling, weil er so fernab eines für mich lebenswerten Lebens agiert, niemals aus diesem Teufelskreis ausbrechen wird? 

Was mich an damals in der Schule erinnert, als ein Marco mir humorlos eine auf die Fresse ballerte, mit Blut und so, und ich Vergeltung forderte, die Lehrerin aber sagte: „Du kannst ihm jetzt eine zurückballern. Oder du setzt dich mal eine Viertelstunde mit ihm hin. Dann erzählt er dir, dass sein Meerschweinchen neulich gestorben ist, und du lernst, dass niemand ohne Grund böse ist.“ Das ist Trump: Ein Bully, vor dem man erst Angst hat, dessen Brutalität und Willkür man nicht versteht – und den man dann doch durchschaut. Und genau deshalb bemitleidet. 

 

Und dann merke ich: Es geht mir nicht um Trump, sondern um mich

 

Aber ist das nicht auch eine schiefe Ebene, logisch gedacht? Muss ich dann nicht für jeden Sadisten Mitleid empfinden? Für Assad und Kim Jong-un? Ist das überhaupt noch Mitleid – oder eher Selbstmitleid?

 

Und dann merke ich: Mein Mitleid ist gar nicht echt. Es geht mir nicht um Trump. Sondern um mich. Es ist meine seelische Kapitulation vor der kognitiven Dissonanz, einem hasserfüllten, bösen, dummen, Menschen nicht hasserfüllt und böse und dumm gegenüberzutreten, sondern doch empathisch. Sich nicht die wirklich wichtigen Fragen stellen zu müssen. Zum Beispiel, wie Trump von Millionen gewählt werden konnte, was in den 37 Prozent der Amerikaner vorgeht, die in Umfragen noch zu ihm halten, ob dahinter letztlich nicht doch einfach tiefer, unheilbarer Rassismus und Sexismus und Dummheit und Egoismus stecken. Was bedeuten würde, sie in Schubladen zu stecken. Mich besser zu fühlen. Und damit ein bisschen Trump zu sein. Vielleicht bin ich einfach nur zu eitel, um so hässlich zu denken wie er.

 

Puh. Die gute Nachricht: Es leuchtet auch ein Silberstreif am Horizont. Denn wie reagiert die Welt auf Trump? Mit einer neuen Geschlossenheit. Egal, wie lange er sich im Amt hält, egal, wie viel er noch kaputt macht – die Gegenbewegung läuft längst. In Frankreich und England gewinnen wieder Linke, die Rechtspopulisten verlieren überall drastisch. Viele liberale Staatschefs  scheinen sich zu verbünden wie selten, die USA erleben eine Renaissance des zivilen Engagements. Und das alles: gegen ihn. Das ist vielleicht das Bemitleidenswerteste an ihm, und hier kommt das Mitleid aus den richtigen Gründen zustande, ein reines, ein bezaubernd schönes Mitleid, denn: Donald Trump wird scheitern. Er wird nichts nachhaltig ändern. Er wird eine bittere Fußnote der Geschichte bleiben. Der Arme.

 

Tut mir leid.

Wie andere mit Donald Trump umgehen:

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