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„Ich hatte das Gefühl: Wenn ich jetzt nichts sage, dann ist das wie Wegschauen“

Schlagabtausch im brandenburgischen Landtag:  Die 15-jährige Johanna und der AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz.
Foto: Christoph Soeder/dpa

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Johanna Liebe ist 15 und geht auf das Evangelische Gymnasium in Neuruppin. Am vergangenen Montag stand sie im Landtag Brandenburg im Rahmen der Veranstaltung „Jugend debattiert mit Spitzenkandidaten“ Andreas Kalbitz, dem AfD-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl am 1. September, gegenüber. Eigentlich sollte es bei der Debatte um die Frage gehen, ob Windräder zum Schutz der heimischen Vogel- und Insekten-Population abgestellt werden sollten. Kalbitz hatte die Frage vorgeschlagen und bejaht, Johanna sollte die Gegenposition einnehmen.

Allerdings driftete die Diskussion bald ab, weil der AfD-Mann mit Verbindungen zu rechtsextremistischen und neonazistischen Vereinigungen, sehr polemisch wurde. Unter anderem beschimpfte er Greta Thunberg als „zopfgesichtiges Mondgesicht-Mädchen“, wetterte bei einem anderen Fragesteller gegen die Verblendung „durch die Dauerrotlichtbestrahlung“ und gegen Windkraft im Allgemeinen und sprach von einer „ökologischen Selbstbefriedigung“, die gerade in Mode sei. Doch davon ließ sich Johanna nicht aus der Ruhe bringen. Sie reagierte souverän und ruhig und schaffte es so, den rhetorisch geschulten Berufspolitiker nicht nur mit Argumenten in die Enge zu treiben, sondern auch seinen polemischen Stil zu kritisieren und am Ende als Siegerin aus der Debatte zu gehen. Wir haben mit ihr über diesen Schlagabtausch gesprochen.  

jetzt: Johanna, ich habe mir Auszüge aus der Debatte angehört und ziemlich Gänsehaut bekommen: Die Sprache von Herrn Kalbitz ging teilweise deutlich unter die Gürtellinie und er wirkte ziemlich aggressiv. Wie hast du die Debatte mit dem AfD-Spitzenkandidaten empfunden als diejenige, die das alles abgekriegt hat?

Johanna Liebe: Als Opfer habe ich mich nicht empfunden, weil er mit seinem Auftritt ja andere Menschen viel mehr beleidigt hat. Aber ich habe definitiv nicht erwartet, dass er so ausfallend wird, sondern mir eine konstruktive Debatte erhofft. Vor der Debatte hatte ich großen Respekt und wollte ihn nicht vorverurteilen. Aber seine Beiträge gingen völlig am Thema vorbei. Das fand ich schade, denn dafür ist so eine Veranstaltung nicht da, sondern dafür, einen Dialog zu schaffen.

Hattest du das Gefühl, dass er vom Thema abgekommen ist, weil er schlecht vorbereitet war?

Darüber möchte und kann ich nicht spekulieren. Er hat viel über andere Themen geredet. Aber vielleicht lag das auch daran, dass er in letzter Zeit so viele Wahlveranstaltungen abgehalten und dann eben auch bei der Debatte sein Programm abgespult hat. Oder vielleicht hat er nicht verstanden, welchen Sinn diese Veranstaltung hatte.

Was hat dich inhaltlich am meisten geärgert?

Eigentlich ist es ja nicht erlaubt, das eigentliche Thema der Diskussion zu verlassen. Aber als er Greta Thunberg beleidigte, war mir klar, dass ich etwas sagen muss. Zum einen finde ich nicht, dass es stimmt, was er gesagt hat, sie ist ein hübsches Mädchen. Zum anderen geht es einfach nicht, Menschen zu beschimpfen oder zu beleidigen. Ich hatte das Gefühl: Wenn ich jetzt nichts sage, dann ist das wie Wegschauen, das hatte etwas mit Pflichtbewusstsein zu tun.

Du hast im vergangenen Jahr den deutschen Debattier-Preis gewonnen. Hat dir die Erfahrung geholfen?

Die Veranstaltung im Landtag war ganz anders als die Wettbewerbe, es gab andere Regeln und wir waren nur zu zweit. Aber natürlich hat mir mein Vorwissen geholfen. Und ich kannte die anderen Debattanten und die Trainer, die uns beim Vorbereiten geholfen hatten. Das hat schon ungemein geholfen.  

Hat dich dieser „Sport“ schon immer interessiert?

Kein bisschen! Aber in unserer Schule gehört das zum Rahmenprogramm: Das macht man ein paar Tage lang und danach gibt es einen Schulwettbewerb, bei dem niemand mitmachen wollte. Also wurde ich bestimmt und habe zufällig die Schuldebatte gewonnen. Aber dann wollte ich absolut nicht mehr, weil ich vorher furchtbare Angst hatte und es gehasst habe, dass mich alle so anstarren. Aber dann haben die Lehrer immer wieder gesagt: „Komm, die nächste Debatte schaffst du auch noch, also habe ich mitgemacht. Und so bin ich unfreiwillig ins Finale gekommen und habe es unfreiwillig gewonnen. Ich hatte in dem Moment kein Gefühl dafür, dass das eigentlich toll war. Was mir aber gefallen hat, war, dass man so viele tolle Leute kennengelernt hat. Und hinterher war das Gefühl natürlich großartig.

Wie bist du zu deinem Kandidaten gekommen? Wurden die euch zugeteilt?

Die Kandidaten haben Fragen eingereicht. Und aus diesen Fragen haben wir uns die ausgesucht, die wir am interessantesten fanden. Erst dann haben wir erfahren, wer unser Kandidat sein würde.

Und als du erfahren hast, dass Andreas Kalbitz von der AfD dein Gegner werden würde, hast du dann Lust darauf bekommen, dich so richtig gut vorzubereiten?

Es ist schon eine merkwürdige Vorstellung, jemandem gegenüberzutreten, dessen Namen man aus den Medien kennt. Aber ich hätte mich bei einem anderen Kandidaten nicht besser oder schlechter vorbereitet. Allerdings hat man mir in der Vorbereitung gesagt, dass in dem Fall vielleicht ein paar Besonderheiten auftreten können. Dass sich Herr Kalbitz vielleicht nicht auf das Thema beziehen oder Wörter verwenden wird, die mir nicht geläufig sind oder die er falsch nutzt.

Hat es denn Spaß gemacht – so ganz grundsätzlich? Sich mal mit einem Berufspolitiker zu messen?

Ich glaube, Spaß ist zu viel gesagt. Es war sehr interessant und natürlich ist es ein cooles Gefühl, wenn man weiß, mit dem habe ich schon mal gesprochen. Spaß macht mir vor allem, mich auszutauschen und zu erfahren, welche Argumente andere Menschen haben. Und der Reiz an einer Debatte ist, darauf reagieren zu können. Aber so war es in meinem Fall ja nun nicht, sondern eher so, dass jeder über sein eigenes Thema gesprochen hat. Ich war schon froh, dass es so ausgegangen ist und ich nicht völlig untergegangen bin.

Hast du auch für Nicht-Profis Tipps, wie man besser debattiert?

Das ist kein Tipp, aber ich habe gemerkt, dass mir etwas sehr geholfen hat: Obwohl ich innerlich unheimlich aufgeregt war und richtig gezittert habe vor Angst, bin ich äußerlich relativ entspannt geblieben. Und ich glaube, das hilft mir in diesen Situationen. Ansonsten versuche ich immer, mich emotional zu distanzieren und möglichst sachlich auf die Frage einzugehen. Wenn ich debattiere, sehe ich mein Gegenüber als Debattanten, da ist es unwichtig, wo er politisch steht. Das wird erst nach der Debatte wieder ein Thema.

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