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Wie ein Bündnis versucht, vor den Landtagswahlen einen Rechtsruck abzuwenden

Foto: Sophie Aschenbrenner

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Der Wind zerrt an dem Pavillon auf dem Marktplatz in Forst in der Lausitz, einer Kleinstadt 30 Kilometer östlich von Cottbus. Immer wieder muss Henri Kunze aufstehen und die wackligen Stäbe festhalten. „Vielleicht stellen wir Tische an die Außenwände?“, überlegt er. Doch der Wind ist zu stark. Notdürftig ist der Pavillon jetzt mit Sandsäcken beschwert, aber er flattert weiter, den ganzen Tag. Man kann ihn als Symbol sehen für das Engagement der Menschen, die ihn am Samstagmorgen auf dem Forster Marktplatz aufgebaut haben und die dafür kämpfen, dass die Stadt nicht nach rechts abdriftet.

Diese Menschen sind die Organisator*innen der Initiative „Wann wenn nicht jetzt“. Das Projekt tourt vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg durch größere und vor allem kleinere Städte in diesen ostdeutschen Bundesländern. Organisiert wird es von einem bundesweiten Zusammenschluss aus linken und zivilgesellschaftlichen Ak­teu­r*in­nen. Sie wollen für eine vielfältige und offene Gesellschaft werben und sich gegen einen Rechtsruck bei den anstehenden Wahlen engagieren. Unter anderem in Zwickau, Bautzen und Cottbus war „Wann wenn nicht jetzt“ schon vertreten – und an diesem Samstag eben in Forst.

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Der Regionalzug fährt aus Cottbus in 15 Minuten nach Forst.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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Auf die Deutschlandfahne sind manche Menschen in der Stadt sehr stolz.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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18 000 Menschen leben in Forst. Arbeit gibt es wenig.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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Ein Plakat von „Wann wenn nicht jetzt“ an einem Lokal in der Innenstadt.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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In zehn Minuten ist man vom Bahnhof zum Marktplatz gelaufen.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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Mehmets Döner-Imbiss direkt am Marktplatz.

Foto: Sophie Aschenbrenner

Da steht mittags schräg gegenüber vom Marktplatz Mehmet hinter der Theke seines Imbisses und macht zwei Döner fertig – „mit Käse, Kräutersoße, nicht scharf“. Seit elf Jahren lebt der 31-Jährige in Forst. Von den Aktionen hatte er bisher noch nichts gehört. „Finde ich aber gut, wenn es sich gegen die AfD richtet“, sagt er. Forst bezeichnet er als „die freundlichste Stadt, die ich in Brandenburg kenne“. Zwei Jahre lang habe er in Hoyerswerda, einer Kleinstadt in Sachsen, gearbeitet: „Da wurde ich offen angefeindet.“ Dass die AfD so beliebt ist, mache ihm dennoch Sorgen. Auch hier in Forst gebe es Menschen, die keine Geflüchteten in der Stadt haben wollten.

„Ein großer Teil des Mittelstands in Forst steht offen für die AfD ein“, meint Henri Kunze

Laut aktuellen Umfragen würden in Brandenburg 21 Prozent der Menschen die Rechtspopulist*innen wählen. Dabei ist Brandenburg traditionell eigentlich ein SPD-regiertes Bundesland: Seit 1990 stellen die Sozialdemokrat*innen den Ministerpräsidenten. Bei der vergangenen Landtagswahl vor fünf Jahren wählten 31,3 Prozent der Menschen hier die SPD, Dietmar Woidke ist seit 2013 Ministerpräsident. Dass der 57-jährige gebürtige Forster das noch einmal schafft, ist unwahrscheinlich: Momentan liegt seine SPD bei 18 Prozent.

Auch in seiner Heimatstadt Forst, in der 18 000 Menschen leben, ist Woidkes Partei nicht unbedingt beliebt: Die SPD holte bei den Kommunalwahlen im Mai 12,5 Prozent der Stimmen. 33 Prozent wählten die AfD. Die Partei ist jetzt stärkste Kraft im Kreistag. „Ein großer Teil des Mittelstands in Forst steht offen für die AfD ein. Das sendet für viele Menschen das Signal: Das ist eine Partei der bürgerlichen Mitte. Die kann man schon wählen“, versucht „Wann wenn nicht jetzt“-Organisator Henri Kunze eine Erklärung. Der Musiker und Musiklehrer will versuchen, einige umzustimmen oder zumindest zu sensibilisieren. Deswegen macht „Wann wenn nicht jetzt“ auch in Forst Station. Seit zehn Uhr gibt es Infostände, eine offene Diskussion auf dem Marktplatz, eine Hüpfburg, Eiscreme und am Abend dann Konzerte.

„Wir sind da. Rassismus hat in Forst keinen Platz“, sagt Florian

Dabei hält sich der Andrang in Grenzen. Zwischen den Ständen auf dem Marktplatz schlendern einige Familien mit kleinen Kindern, junge Paare, aber auch ältere Menschen – ob sie die Neugier treibt, politische Überzeugungen oder einfach nur die Lust auf Bier und Bratwurst, ist ungewiss. Mit Menschenmassen habe er ohnehin nicht gerechnet, sagt Henri Kunze. Der 41-Jährige wurde in Forst geboren und kam nach dem Studium wieder in seine Heimatstadt zurück. Vor „Wann wenn nicht jetzt“ habe es in der Stadt keine aktiven linken Strukturen gegeben, sagt er. Durch die Initiative habe sich das geädert. Vor allem die Jungen vernetzen sich auch mit anderen Aktivist*innen, zum Beispiel aus Berlin oder Leipzig. So schafft das Projekt auch langfristige Netzwerke.

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Florian und Friedrich kommen aus Forst.

Foto: Sophie Aschenbrenner

Einer dieser Jungen ist Florian. Der 16-jährige Forster ist in einem politischen Haushalt aufgewachsen, erzählt er. Er steht mit seinem Cousin Friedrich hinter einem Stand mit der Aufschrift „Interkulturelles Kochen“. Gegen Spenden kann man hier vegane und vegetarische Teigtaschen bekommen, Bohneneintopf und Hähnchencurry. „Das ist die perfekte Möglichkeit, um zu zeigen: Wir sind da. Rassismus hat in Forst keinen Platz“, sagt Florian. Vielen in seinem Alter sei Politik eher egal: „Die meisten denken, sie könnten eh nichts ändern.“ Friedrich ist in das politische Engagement „eher reingerutscht“, erzählt er. Der 18-Jährige hat gerade sein Abitur in Forst gemacht, was danach kommt, weiß er noch nicht. Ein Studium könne er sich vorstellen, aber auch eine Tischlerlehre. Vor allem kocht er gern, deswegen hat er für diesen Tag Rezepte aus aller Welt ausgedruckt und sich an den Herd gestellt.

Es reden vor allem die, die auch hinter den Infoständen stehen

Am Nachmittag wollen die Organisator*innen mit Einheimischen ins Gespräch kommen – und zwar richtig. Die moderierte Diskussion auf dem Marktplatz steht unter dem etwas sperrigen Titel „Multikulturelles Miteinander – Chancen und Herausforderungen“. Dabei melden sich vor allem diejenigen zu Wort, deren Meinung ohnehin schon feststeht: Aktivist*innen, die sich auch hinter ihren Ständen gegen rechts einsetzen. Doch Henri Kunze weiß genau, dass da am Rand der Diskussion auch Menschen stehen, die ganz andere Ansichten haben. Die wollen zwar trotz mehrfacher Aufforderung nichts ins Mikrofon sagen, doch sie gehen auch nicht weg, hören sich an, was andere denken. Das sei schon ein Erfolg, sagt Kunze, sonst bestärke sich die Filterblase ja immer nur gegenseitig. „Wir haben immerhin an Grenzen gekratzt, ausgetestet, wo es weh tun könnte. So sollte es sein.“ Zur Sprache kommen strukturelle Probleme und offener Rassismus genauso wie die Hundehaufen in vielen Ecken der Stadt, die ein älterer Mann beklagt.

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Henri Kunze auf dem Forster Marktplatz.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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Zur Diskussion auf dem Marktplatz kamen viele interessierte Menschen.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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Sechs Freund*innen aus Berlin touren in den kommenden Wochen durch Brandenburg, um ins Gespräch zu kommen.

Foto: Sophie Aschenbrenner
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Diskutiert wurde unter anderem über Migration und Integration.

Foto: Sophie Aschenbrenner

Ein paar Meter weiter stehen Damaris und Joel und rauchen eine selbstgedrehte Zigarette. Gemeinsam mit vier Freund*innen sind sie aus Berlin angereist. Die sechs haben ein ambitioniertes Projekt: Unter dem Motto „Brandenburg, wir möchten reden“ fahren sie in den kommenden zwei Wochen mit dem Bus durch das Bundesland und sprechen bei Kaffee und Kuchen mit den Menschen: über rechts und links, über Geflüchtete und Heimat, über Vorurteile und Ängste. Darüber, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll. Und wie unsere Stimme auf dem Wahlzettel diese Entwicklung beeinflusst. „In Berlin diskutieren wir vor allem in unserer Blase, das wollen wir ändern“, sagt Damaris. Dass die AfD laut aktuellen Prognosen in Brandenburg stärkste Kraft werden könnte, macht den sechs Freund*innen Angst. Sie wollen zuhören und dabei für die Werte eintreten, die ihnen wichtig sind: Toleranz, Vielfalt, Offenheit.

„Wir haben hier wirklich ein Problem“, sagt Linken-Abgeordnete Anke Schwarzenberg

Dafür steht auch Anke Schwarzenberg ein. Als der Samstag schon fast vorbei ist, kurz, bevor die Konzerte auf der großen Bühne auf dem Marktplatz beginnen, sitzt die Forster Landtagsabgeordnete der Linken auf einem Stein mitten auf dem Platz. Ernüchtert, könnte man sagen. So wenige Menschen seien gekommen, sagt sie. Dabei sei die Aktion so wichtig. „Wir haben hier wirklich ein Problem. Wir müssten wirklich alle ins Gespräch zu kommen.“ In der Stadt gebe es zu wenige Jobs, keine Industrie, man stehe immer im Schatten von Cottbus. Die jungen Menschen ziehen weg, es bleiben die älteren. „Dabei ist Forst so eine schöne Stadt. Die dürfen wir nicht aufgeben“, sagt Schwarzenberg. Dass junge Leute hier etwas auf die Beine stellen, findet sie gut und wichtig.

Als von der Bühne dann die ersten Töne klingen, strömen immer mehr Menschen in Richtung Marktplatz. Es spielen unter anderem die Rostocker Rapper Waving The Guns und die Berliner Electropunker Egotronic. Und der Pavillon, er steht immer noch, hat sich nicht vom Wind wegtreiben lassen. Genauso wenig wie diejenigen, die diesen Tag organisiert haben. Und die hoffen, an diesem Samstag in Forst zumindest ein paar Berührungspunkte geschaffen zu haben.

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