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„Warum ausgerechnet ich?“

Foto: Pierre Jarawan

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Seit die Polizei während der Silvesternacht in Köln über 1000 Männer nordafrikanischer Herkunft kontrollierte, wird in Deutschland über Racial Profiling diskutiert. Dabei ist das Phänomen, das Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder Herkunft ohne besonderen Verdachtsmoment überprüft werden, nicht neu. Zwei Betroffene erzählen:

Temye Tesfu, Autor aus Berlin

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Foto: Pierre Jarawan

„Die Polizeipräsenz in Deutschland hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Ich gehöre zu den Menschen, denen das ohnehin kein höheres Sicherheitsgefühl gibt – aber noch dazu rechne ich immer damit, von der Polizei kontrolliert zu werden. Wirklich ausnahmslos immer. 

Ich wurde in meinem Leben mindestens ein gutes Dutzend Mal kontrolliert, also im Sinne einer tiefgehenden Leibesvisitation: Ausweiskontrolle, filzen, in die Tasche schauen. Meistens war das an den dafür besonders typischen Orten, an Bahnhöfen oder in Zügen, und meistens, wenn ich alleine unterwegs war. Erst mal wurde dann meine Identität festgestellt, ob ich mich auch rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalte, dann wurde geschaut, ob ich Drogen oder sonst irgendwelche illegalen Gegenstände dabei habe. 

Einmal wurde ich in Kassel am Bahnhof kontrolliert, ich war in Eile und aus offensichtlichen Gründen genervt. Also habe ich den Polizisten eben gefragt: 'Warum ausgerechnet ich?' Ihm war das dann sehr unangenehm und er entschuldigte sich mit den Worten: 'Naja, Sie passen halt ins Raster.' Ich glaube zwar nicht, dass es allen so unangenehm ist wie diesem Beamten, aber es gibt offenbar ein Bewusstsein darüber, dass diese Praxis diskriminierend ist und welche Demütigung sie den Menschen damit zufügen. Denn das ist Racial Profiling vor allem: demütigend. Entwürdigend. 

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann mir zum ersten Mal bewusst geworden ist, dass es so etwas wie Racial Profiling gibt. Relativ früh. Weil es sehr offensichtlich ist, wenn du als einzige Person im ganzen Zugabteil kontrolliert wirst. Oder mit einer Gruppe von Freunden auf eine Demo gehst und das Augenmerk der Beamten vor allem auf dir liegt. Meine weißen Freunde hat das übrigens nie überrascht – die waren immer wach genug, um zu verstehen, warum das passiert.

„Ich habe gelernt, dass mein Deutsch fehlerfrei sein muss“

Durch diese und ähnliche Erfahrungen habe ich im Alltag die Tendenz zur Über-Performance: Ich bin zum Beispiel sehr bedacht auf meine Sprache. Denn ich habe schon als Kind erlebt, wie mit Menschen umgegangen wird, die gebrochen Deutsch sprechen – mit meinen Eltern etwa. Sie wurden weniger ernst genommen, es wurde besonders langsam mit ihnen gesprochen. Zum Teil hatte ich das sogar internalisiert und habe Menschen, die gebrochen Deutsch sprachen, selbst belächelt. Ich habe also gelernt, dass mein Deutsch fehlerfrei sein muss. Je mehr ich das Gefühl habe, mich beweisen zu müssen, desto gewählter drücke ich mich aus. Um das Klischee nicht nur nicht zu bestätigen, sondern zu über-widerlegen. 

Eine Sache ist mir im Zusammenhang mit Racial Profiling erst in der Retrospektive aufgefallen: Früher trug ich einen Afro. Zwar habe ich mir die Haare nicht abgeschnitten, um angepasster zu sein – aber seit sie kurz sind, werde ich definitiv weniger kontrolliert. 

Dass es Racial Profiling gibt, überrascht mich nicht. Es reiht sich ein in eine rassistische Tradition. Der Rassismus in unserer Gesellschaft ist strukturell und bis zur Unsichtbarkeit verankert und diese Art von Polizei-Kontrolle ist da nur ein Symptom. Es gab in den letzten Jahren vielleicht immer mehr Kritik daran, andererseits wird das Ganze von der Mehrheitsgesellschaft anerkannt und immer weiter normalisiert. Zum Vorgehen der Kölner Polizei an Silvester hört man ja jetzt auch immer wieder die Frage: 'Was hätte die Polizei denn machen sollen?'

Ich würde sagen: das Grundgesetz wahren. Die Polizei hat versucht, bei ihrer Arbeit eine Differenziertheit vorzutäuschen, die es nicht gab – denn alle, die nicht weiß waren, wurden kontrolliert. Es sei denn, sie waren in der richtigen Begleitung oder eloquent genug, auf ihre Rechte zu pochen. Und die Grundaggressivität, die in den Kesseln entstanden ist, speist dann natürlich wieder das Vorurteil vom 'aggressiven Araber' oder 'Nordafrikaner'. Das sind ganz alte, kolonialrassistische Bilder, die da mit reinspielen. Rassismus hat schließlich nichts mit einem persönlichen Irrtum zu tun und ist nicht unbedingt Intention: das Meiste läuft unbewusst ab. Und das gilt natürlich auch für die Polizei.“

Sandhya Kambhampati 24, ist US-amerikanische Datenjournalistin, arbeitet derzeit für correctiv.org in Berlin

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Foto: privat

„Ich bin in den USA geboren und aufgewachsen. Dort habe ich auch hin und wieder rassistische Bemerkungen gehört wie zum Beispiel: „Du gehörst nicht hierher“ oder „Geh zurück in dein Heimatland.“ Das ist natürlich bescheuert, denn ich war ja bereits in den USA. Auch auf meinen Namen haben manche Leute dort schon seltsam reagiert. Schlechte Erfahrungen mit der Polizei habe ich in den USA allerdings noch nie gemacht. Anders als in Deutschland. Hier wurde ich bereits 23 Mal von der Polizei angehalten und kontrolliert. Ich habe das so genau gezählt, ich bin ja immerhin Datenjournalistin (lacht).  Das erste Mal passierte es morgens beim Joggen. Ein Polizist fragte mich nach meinem Ausweis, den ich natürlich nicht dabei hatte. Ich war noch müde und dementsprechend verwirrt, ich wusste ja nicht, dass man den in Deutschland mit sich rumtragen muss. Ich habe dem Polizisten das dann erklärt und das war auch okay. Als ich später im Büro meinen Kollegen von der Kontrolle erzählt habe, meinten die meisten, das sei nicht normal. Von da an war ich natürlich sensibler für diese Kontrollen. Richtig geglaubt, dass das kein Zufall ist, habe ich aber erst, als ich zum zehnten Mal kontrolliert wurde. Es hat mich geärgert, im Supermarkt immer wieder vom Sicherheitspersonal gefragt zu werden, ob ich die Sachen in meinem Wagen auch bezahlen möchte. Oder dass beim einfachen Spaziergang im Park bereits mein Ausweis kontrolliert wird. Ich wollte herausfinden, wie groß das Problem Racial Profiling wirklich ist.

"Ich persönlich fühle mich durch die Kontrollen kriminalisiert. Dieses Gefühl hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben"

Ich habe dann relativ schnell festgestellt, dass das Thema von der Polizei offiziell nicht erfasst wird, offiziell machen sie auch kein Racial Profiling. Sie sagen stattdessen, dass sie nur Leute überprüfen würden, die verdächtig aussehen. Ich habe mich dann noch in Gerichtsunterlagen eingelesen, habe mit NGOs und internationalen Organisationen darüber gesprochen, was sie zu dem Thema vorliegen haben. Viele haben tatsächlich schon vor einigen Jahren Berichte über Racial Profiling angefertigt. Dass das ein Problem ist, ist also nicht neu. Schließlich habe ich auch noch in einem Text meine eigenen Erfahrungen aufgeschrieben und eine Umfrage zu dem Thema angelegt in der Hoffnung, dass sich so Leute melden, die das auch erlebt haben. Ich mache mir quasi meine eigene Statistik. 

Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland das Thema Rasse sehr stark tabuisiert wird, vermutlich auch wegen der deutschen Vergangenheit. Gleichzeitig sind die Leute, seit so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, unsicherer geworden. Das ist aber kein deutsches Phänomen, Menschen haben weltweit Angst vor dem Fremden.

Umso wichtiger ist es für mich, mit der Studie und meinem Erlebnisbericht nicht auf die Polizisten zu zeigen und zu sagen „Ihr seid Rassisten“. Im Gegenteil. Aber wenn ich rausfinde, wie groß das Problem ist, kann man vielleicht auch besser darüber diskutieren, wie man es lösen kann. Viele der von mir befragten Organisationen hatten da auch Lösungsansätze: Zum Beispiel könnten die Leute, die kontrolliert werden, sich Datum, Ort und die Nummer des kontrollierenden Polizisten aufschreiben. Eine Kopie des Zettels geben sie dann bei der Wache ab. So könnte man nach einem gewissen Zeitraum erheben, wie häufig diese Kontrollen vorkommen und wer vielleicht besonders häufig Racial Profiling betreibt. Denn nur, wenn man auch bei der Polizei Bewusstsein dafür schafft, dass das Problem tatsächlich existiert, kann sich etwas ändern.

Mir ist klar, dass das natürlich nicht so leicht umzusetzen ist, auch, weil nicht alle Polizisten eine Erkennungsnummer haben. Aber es wäre eine Idee. Ich persönlich fühle mich durch diese Kontrollen kriminalisiert. Dieses Gefühl hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben. Trotzdem würde ich jetzt nicht sagen, dass ich vor Polizisten Angst habe oder sowas. Ich habe deswegen auch nicht mein Verhalten geändert. Für mich ist Berlin immer noch neu, ich will hier alles entdecken und schaue jedes Wochenende eine neue Nachbarschaft an. Ich hatte es mir vielleicht nur einfach anders vorgestellt in Deutschland: Dass ich, wenn überhaupt, nur beruflich mit der Polizei zu tun habe und nicht, weil ich eine Straße überquert habe.“

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