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„Wir wollen der Unsichtbarkeit von Frauen entgegenwirken“

Prune Antoine und Elina Makri
privat

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Wie geht es dem Feminismus in Europa, hundert Jahre nach der Suffragetten-Bewegung und ein Jahr nach #metoo? Um diese Frage zu beantworten, haben Prune Antoine und Elina Makri „Sisters of Europe“ gestartet. Mit dem Projekt, das vom Ideenwettbewerb „Advocate Europe“ unterstützt wird, wollen die beiden 37-jährigen Journalistinnen aus Frankreich und Griechenland Frauen in Europa stärken und vernetzen, indem sie Geschichten von verschiedenen Europäerinnen erzählen, Events organisieren und konkrete politische Vorschläge ausarbeiten. Im Interview haben sie uns mehr darüber erzählt. Es fand als Skype-Konferenz zwischen Athen, Berlin und Brüssel statt  – ziemlich europäisch also.

jetzt: Inwiefern fühlt ihr euch als „europäische Frauen“?

Prune Antoine: Europa ist Teil meines Lebens und meiner Biographie. Ich bin ein reines Produkt der „Generation Erasmus“ und habe in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet: in England, Spanien, Ungarn, Belgien, Frankreich, Deutschland.

Elina Makri: Das ist bei mir genauso. Ich bin in Athen geboren und aufgewachsen, aber ich war auf einer französischen Schule, habe in Frankreich und Belgien studiert, lebe teilweise in Berlin. Während der Finanzkrise ist mir das europäische Gefühl manchmal etwas verloren gegangen – und dann wurde es umso stärker, weil ich die europäische Identität eben auch in schlechten Momenten durchlebt habe. Aber ich fühle mich nicht nur europäisch, sondern auch mediterran.

Wie meinst du das?

Elina: Ich komme aus einem europäischen Land, das an zwei Kontinente grenzt. Dadurch weiß ich sehr gut, dass mein Leben ein paar Kilometer weiter komplett anders hätte verlaufen können. Ich hatte großes Glück, auf diesem Kontinent geboren zu sein.

„Es fehlen Rollenvorbilder für junge Frauen“

Warum habt ihr ein Projekt über und für europäische Frauen gestartet?

Prune: Weil wir immer noch zu wenig über Frauen und ihre Rolle sprechen. Seit #metoo haben viele Frauen erzählt, was sie durchleiden mussten, das waren also meist Geschichten aus der Opferperspektive. Mir fehlen inspirierende Geschichten von Frauen, darüber, wie sie in verschiedenen Ländern mit verschiedenen Problemen umgehen. Wir wollen neue Stimmen und Gesichter in die öffentliche Debatte einbringen und so der generellen Unsichtbarkeit von Frauen entgegenwirken.

Elina: Es geht uns um „Empowerment“. Es fehlen Rollenvorbilder für junge Frauen. In den Medien werden meistens nur Schauspielerinnen porträtiert oder es gibt mal eine Moderatorin – dabei gibt es so viel interessantere Geschichten zu erzählen.

Der erste Schritt eures Projekts sind 17 Porträts von Frauen. Wie habt ihr die Auswahl getroffen?

Prune: Als erstes haben wir uns gefragt: Aus welchen Ländern berichten wir? Irgendwann hatte ich die Idee, dass wir außereuropäische Länder dazu nehmen sollten, weil man sich ja auch über den Vergleich mit den Nachbarn definiert. Darum haben wir auch Porträts aus dem Kosovo, der Ukraine und der Türkei. Nachdem wir uns für die Länder entschieden hatten, haben wir 17 Autoren-Fotografen-Teams rekrutiert.

Nur aus Frauen oder waren auch Männer dabei?

Prune: Es gab sowohl weibliche als auch männliche Autoren, Fotografen, Grafik-Designer und Webentwickler. Es war uns sehr wichtig, Männer nicht auszuschließen, sondern ihre Sichtweise mit aufzunehmen, zum Beispiel als Fotografen oder Autoren. Insgesamt haben 13 Männer an dem Projekt mitgearbeitet, etwas mehr als ein Drittel aller Mitarbeiter. Eigentlich wollten wir es 50:50 machen, aber ehrlich gesagt habe ich mehr – und bessere – Bewerbungen von Frauen bekommen.

Elina: Auch bei unserer ersten Veranstaltung in Berlin ist ein männlicher Speaker dabei. Ich mache mir viele Gedanken darüber, wie man auch Männer für das Thema interessieren kann.

Gibt es eine Geschichte, die euch besonders beeindruckt hat?

Prune: Ich liebe die ukrainische Minenarbeiterin! Sie ist 45 und man spürt so richtig ihre Kraft, sie hat sich im Leben durchgeboxt. Wir haben auch ein wundervolles Interview mit Petra De Sutter, eine belgische Grüne. Sie ist Gynäkologin, Expertin für Reproduktionsmedizin und Transgender. Wenn man das Gespräch mit ihr liest und was sie alles gemacht hat, kriegt man das Gefühl, in seinem eigenen Leben bisher rein gar nichts getan zu haben.

Elina: Ich entscheide mich auch für Petra De Sutters Geschichte. Weil sie bei mir die meiste Selbstreflexion ausgelöst hat und die Frage: Was ist überhaupt ein Mann, was ist eine Frau? Darüber habe ich seitdem viel diskutiert.

Prune: Mir fällt noch die Französin Emma ein, die den Comic über „Mental Load“ gemacht hat: das Phänomen, dass Frauen all diese Extraarbeit übernehmen, sich für so viele kleine Sachen verantwortlich fühlen. Ihr Comic ging um die Welt, er wurde ins Deutsche, Englische und Japanische übersetzt. Im Interview ist Emma sehr kämpferisch, sie sagt: „Wir brauchen die Gelbwesten des Feminismus.“

Der zweite Schritt eures Projekts sind öffentliche Debatten, sogenannte „Agoras“, in Berlin, Paris, Warschau und Athen. Worum wird es da gehen?

Elina: Um die Frage, wo wir hundert Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts stehen. Dieser „Offline-Teil“ des Projekts mit der Einteilung in Nord, Süd, Ost und West ist wichtig, um mit den Realitäten vor Ort in Kontakt zu kommen. Bei den Gesprächen im Vorfeld habe ich schon gemerkt, dass die Diskussionen unter den Frauen in den verschiedenen Ländern komplett unterschiedlich sind.

Gibt es in den unterschiedlichen Ländern auch unterschiedliche Interessen?

Elina: Bei dem Event in Berlin wird es um den „Gender Pay Gap“ gehen, das ist den deutschen Frauen am wichtigsten, haben wir in unseren Gesprächen vorab gemerkt. In Paris wollen sie über „la seduction française“ sprechen (die Debatte um #metoo und das Flirten; die Diskussion wurde vor allem durch die Kritik von Catherine Deneuve und anderen Französinnen an #metoo angestoßen, Anm. d. Red.), in Polen über Schwangerschaftsabbruch. In Gesprächen mit griechischen Frauen habe ich gemerkt, dass sie eher generell die Erfolge und Vermächtnisse des Feminismus hinterfragen.

Am Ende sollen aus den Diskussionen konkrete politische Vorschläge entstehen, die ihr ans Europaparlament übergeben wollt.

Prune: In den Interviews für die Porträts haben wir alle Frauen gefragt: Welche EU-Verordnung würdest du zugunsten von Frauen ändern? Darum soll es auch in den Debatten letztlich gehen: Nicht darum, sich zu beschweren, zu sagen, dass wir Opfer sind – sondern so proaktiv wie möglich zu sein, und konkrete Vorschläge zu machen, die wir auf politischer Ebene präsentieren wollen.

Terry Reintke, Europaabgeordnete der Grünen, sagt, dass es derzeit einen „Backlash“ bei den Frauenrechte in der EU gibt. Seht ihr das auch so?

Elina: Ich komme aus einem Land, dass eine sehr ernste Finanzkrise durchgemacht hat, die jeden getroffen hat. Natürlich trifft eine Krise Bevölkerungsgruppen, die insgesamt verletzlicher und weniger unabhängig sind, meist härter, und das sind oft Frauen. Aber ich glaube, in Griechenland war das nicht unbedingt der Fall. Und ich persönlich wurde noch nie wegen meines Geschlechts diskriminiert.

Prune: Ich würde schon sagen, dass es in Osteuropa einen Backlash gibt. Es ist oft so, dass in Krisenzeiten Frauenrechte zurückgedreht werden. Aber es ist auch unsere Verantwortung, das zu ändern, wir müssen für unsere Rechte kämpfen. Wir können nicht einfach sagen: „Die Männer sind schuld, sie wollen uns unterdrücken.“ Die 17 Frauen in unseren Porträts sind alle komplett verschieden – aber was sie alle gemeinsam haben, ist diese Kämpfernatur. Sie wissen, dass nichts selbstverständlich ist und dass man sehr, sehr wachsam bleiben muss.

Wie wird es nach den Agoras und der Ausarbeitung der Vorschläge weitergehen? Soll das Netzwerk sich weiter entwickeln?

Elina: Ich hoffe, dass das passiert. Themen wie der „Gender Pay Gap“ sind wichtig, aber ich habe das Gefühl, dass wir noch nicht sehr tief eingestiegen sind in die Themen Geschlecht und Feminismus. In die Geschichte und das Erbe der Bewegung. Dafür hatten wir bisher noch keine Zeit.

Die erste Veranstaltung von „Sisters of Europe“ zum Thema „Geld Macht Unabhängigkeit“ findet am 6. März um 18:30 Uhr in der „Schwarzkopf Stiftung Junges Europa“ in Berlin statt. Als Speakerinnen sind u.a. die Soziologin Jutta Allmedinger und die Poetry Slammerin Svenja Gräfen dabei. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung wird gebeten. Mehr Infos gibt es hier.

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