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„Wir haben alles verriegelt und verrammelt“

Foto: Danilo Campailla

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Nachdem am Sonntag und Montag Tausende Neonazis durch Chemnitz marschiert sind, soll nun am Dienstag auch in Dresden eine Kundgebung stattfinden. Um 15:00 Uhr haben rechte Gruppen eine „Mahnwache“ vor dem sächsischen Landtag angemeldet. Die Seenotrettungs-Organisation „Mission Lifeline“ hat bereits gestern Abend einen Tweet veröffentlicht, in dem sie die sächsische Polizei kritisiert, darauf nicht vorbereitet zu sein.

Wir haben mit Axel Steier, einem der Gründer von „Mission Lifeline“, gesprochen und gefragt, wie es dazu kam und wie er und seine Mitarbeiter mit der Gefahr eines neonazistischen Aufmarsches umgehen. Die Lifeline-Räumlichkeiten liegen in der Dresdner Neustadt – nicht weit vom geplanten Start der rechten Kundgebung.

jetzt: Was bedeutet die geplante Kundgebung für euch ?

Axel Steier: Wir hatten in der Vergangenheit schon mehrfach Besuch von Neonazis. Das war zum Glück immer, wenn wir gerade nicht im Büro waren, und beschränkte sich auf Sachbeschädigung. Jetzt, nach Chemnitz, hat jeder mitbekommen: Die Polizei ist sich erst sicher, dass sie alles im Griff hat – und hat das dann doch nicht. Genauso ist es in Dresden heute auch. Die Polizei hat uns in der Vergangenheit immerhin signalisiert, dass sie uns nicht schützen kann. Als wir mitbekommen haben, dass Menschen, die mit der „Gruppe Freital“ und anderen rechtsterroristischen Gruppierungen zu tun haben, den Plan haben, in Dresden „mobil“ zu machen, haben wir den Tweet gepostet.

Darauf hat die Polizei Sachsen auch reagiert*.

Ja, die Polizei Sachsen hat getwittert, dass sie den Schutz gefährderter Objekte in die Einsatzplanung miteinbezieht. Davon haben wir aber noch nichts mitbekommen. Und wir werden auch nichts mitbekommen. Wenn heute Nachmittag in Dresden tatsächlich was los ist, wird vielleicht eine Streife vorbeifahren. Aber mehr nicht. Wir haben jedenfalls Vorkehrungen getroffen. Wir haben alles verriegelt und verrammelt, damit man nicht reinkommt ins Haus, aber wir sind in der Nähe, damit wir dokumentieren können, was passiert.

Gibt es heute Nachmittag ein zweites Chemnitz?

Das muss man sehen. Wir haben hier in Dresden auf jeden Fall eine gewaltbereite Hooligan-Szene. Das sind etwa 3000 Hooligans, die auch schon in der Anfangszeit bei Pegida mitgelaufen sind. Und das, was in Chemnitz passiert ist, war ja im wesentlichen eine deutschlandweite Hooligan-Mobilisierung aus dem rechten Spektrum. Daher kann man davon ausgehen, dass die auch hier mobilisierbar sind. Zusätzlich gibt es hier auch noch 1000 bis 1500 Pegida-Anhänger. In Dresden kann man mit einer nicht unerheblichen Anzahl von gewaltbereiten Menschen rechnen, würde ich sagen.

„Wir tragen schon eine ganze Weile den Gedanken mit uns herum, unseren Vereinssitz umzuziehen“

Widerstand gegen eure Arbeit seid ihr gewohnt.  Aber machen dir Vorkommnisse wie in Chemnitz Angst?

Angst würde ich nicht sagen. Die Leute, die wir retten, haben viel mehr Angst. Aber wir tragen schon eine ganze Weile den Gedanken mit uns herum, unseren Vereinssitz umzuziehen. Teile unserer Verwaltung haben wir bereits an einen geheimen Ort verlegt.

Kann man Initiativen wie die „Mission Lifeline“ in Sachsen nur noch im Geheimen vorantreiben?

Ich denke zum Teil: ja. Es ist einfach gefährlich. Der Verfolgungsdruck für Neonazis von Seiten der Justiz ist relativ gering. Das ist das Hauptproblem. Wenn überall der Rechtsstaat da wäre und den Vorkommnissen Einhalt gebieten würde, dann würde das nicht so ausufern. Aber wenn man das Problem jahrelang leugnet und sich wegduckt, wie es die Regierung in Sachsen tut, dann wird sich die Lage nicht verbessern.

Müsst ihr also  raus aus Sachsen, um weiterarbeiten zu können?

Wir haben schon überlegt nach Berlin zu gehen. Wenn sich das hier so zuspitzt und die Regierungsverantwortung sich noch mehr nach rechts verschiebt, dann ist es mehr als realistisch, aus Sachsen wegzugehen. Wir werden hier massiv unter Druck gesetzt.

Dabei wolltet ihr mit der „Mission Lifeline“ ursprünglich einmal das Image von Sachsen verbessern.

Wir hatten noch vor der Vereinsgründung im Jahr 2016 einen recht umfangreichen Projektplan dazu entworfen, wie man das Image Sachsens aus dem Keller holen kann. Unsere Idee war:  Sachsen rettet Menschenleben im Mittelmeer. Wir dachten, man muss etwas machen, das über Sachsen hinausreicht. Das Projekt landete bei Ministerpräsident Stanislaw Tillich auf dem Tisch, wurde aber abgelehnt. Andere sächsische Politiker hetzen gleich offen gegen Initiativen, die Seenotrettung betreiben. Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth sieht uns zum Beispiel als „Fluchthelfer“.  Unsere Arbeit wird von der Politik negativ konnotiert. Damit werden nicht mehr die konservativen Wähler bedient, sondern die rechten.

*Die Polizeistelle in Dresden wollte sich auf unsere Nachfrage hin weder zu ihrer Reaktion auf Twitter noch zur „Mission Lifeline“ äußern.

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