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Hambi, Lauti, Transpi – hä?

Foto: Sascha Schuermann / afp / Berabeitung: jetzt.de

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Foto: Sascha Schuermann / afp / Bearbeitung: jetzt.de

Wer im deutschsprachigen Raum schon mal auf einer Demo war, die von eher linken Gruppen organisiert wurde, hatte womöglich erst mal ein Verständnisproblem. „Lass’ uns mal am Lauti treffen!“  – „Hast du dein Transpi dabei?“ –  „Von welcher Ini kommt ihr eigentlich?“ Äh, ja. Dagegen ist „Hambi“, wie der Hambacher Forst von seinen Unterstützerinnen und Unterstützern liebevoll bezeichnet wird, fast schon reif für den Duden, so oft hat man das Wort in den vergangenen Wochen gehört. Auch bei der großen #unteilbar-Demo am Samstag in Berlin, wo eine Viertelmillion Menschen für Weltoffenheit und Toleranz protestierte, war „Lauti“ ein fester Begriff.

Lösen wir mal kurz auf: „Lauti“ meint den großen Lautsprecherwagen, der bei Demos oft der Kern des Protestzugs ist und von dem nicht nur die Sprechchöre gerufen werden, sondern auch Musik kommt – genau wie Anweisungen, wo und wie es weitergeht. „Transpi“ meint Transparent, was als Bezeichnung ein bisschen irreführend ist, denn bei Demonstrationen hält man ja eher bemalte Plakate oder einfach beschriftete Pappschilder hoch, aber nichts durchsichtiges. „Ini“ ist schon eher Expertenlevel: Es ist die Abkürzung für Initiative, das kennt man vielleicht von der Uni, wo viele Fachschaften sich als Mathe-Ini oder KuWi-Ini organisieren.

Woher kommt die Neigung der Linken, Wörter abzukürzen?

Kurz: Die linke Bewegung hat ihre ganz eigenen Vokabeln. Teilweise nimmt das absurde Züge an, etwa dann, wenn von „Flüchtis“ gesprochen wird und Geflüchtete gemeint sind. Und wenn Aktivisten von „Spucki“ sprechen, meinen sie kein Lama, sondern Aufkleber mit politischer Botschaft, die man anleckt und auf Laternen oder Ampelmasten klebt. Aber woher kommt die Neigung der Linken, Wörter abzukürzen und dann ein -i dranzuhängen? Warum diese Verniedlichung?

Der Linguist Fabian Klinker und seine Kolleginnen Judith Felten und Michaela Schnick von der TU Dresden vermuten, dass es einerseits schlicht mit Zeitersparnis zu tun hat: „Lauti“ sei schneller gesagt als „Lautsprecherwagen“. Klingt logisch – das kennen wir auch aus unpolitischeren Zusammenhängen: „Ersti“ statt Erstsemester, „Zivi“ statt Zivildienstleistender. Eine größere Rolle spielt laut den Dresdner Forschern aber die Bindung zu dem, was die Begriffe bezeichnen. Das zeige sich gerade beim Hambi: „Es geht einem eben doch schwerer von der Hand, einen Wald zu roden oder einen Baum zu fällen, dem man einen (Spitz-)Namen gegeben und zu dem man somit eine emotionale Beziehung aufgebaut hat“, erklärt Klinker.  

Beim Hambi ergibt das Sinn. Aber warum sollte man zu einem Lautsprecher eine emotionale Beziehung haben? Die Potsdamer Linguistin Heike Wiese hat diminuierte Partikeln – das ist der sprachwissenschaftliche Fachausdruck für solche Wortendungen – in einem Aufsatz untersucht. Ihre These: Abkürzungen wie Transpi „markieren nicht nur generell eine informelle Sprechweise, sondern weisen den Sprecher auch als zugehörig zu bestimmten sozialen Gruppen aus, indem sie ein gewisses Maß an Insider-Wissen für die Interpretation voraussetzen.“ Das heißt: Wer sich mit der linken Bewegung identifizieren will, muss im wahrsten Sinne des Wortes mitreden können. Und präsentiert sich umgekehrt als Teil der Gruppe, wenn er so redet wie die anderen.

Das Ganze hat einen historischen Ursprung: Spontis nannten sich in den 70er und 80er Jahren verschiedene linke Gruppen, die sich als Nachfolger der 68er sahen. Damals gab es noch eine zweite linke Bewegung: Die sogenannten K-Gruppen, die sich als kommunistische Kaderorganisation begriffen und sich streng wie eine marxistisch-leninistische Partei organisierten. Die Spontis wollten damit nichts zu tun haben, sondern undogmatisch sein: Nicht nur protestieren, sondern auch Spaß haben dabei. Sie feierten die „Spontaneität der Massen“ – mit Hausbesetzungen, Flugblättern („Flugis“) und eben Demos. Aus dieser Zeit stammt nicht nur der Hang der Linken zur Verniedlichung von Wörtern, sondern Protest-Slogans wie„Keine Macht für niemand“ oder „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“.

Heute benutzt diese Sprüche kaum noch jemand. Der linke Diminutiv mit dem -i wurde dagegen längst auch von rechts vereinnahmt: „Multikulti“ ist ein beliebter Kampfbegriff von AfD bis Neonazis geworden. Im Gegensatz zu linken nutzen rechte Bewegungen diese Sprachform aber eher, „um emotionalisierte Feindbilder zu konstruieren“, wie Fabian Klinker erklärt – im Fall von „Multikulti“ eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft. Im rechten Sprachgebrauch signalisiert das -i also nicht die von Wiese beschriebene Gruppenzugehörigkeit, sondern wenig überraschend das genaue Gegenteil.

Die linke Demo-Sprachverniedlichung kann gelegentlich anstrengend sein – und wirkt immer ein bisschen schräg: „Gib mir mal das Flugi“ klingt, als würden sich Kinder über Modellflugzeuge unterhalten. Der Insider-Charakter dieses Sprachgebrauchs hat außerdem einen Nachteil: Wer nicht mitreden kann, fühlt sich schnell ausgeschlossen. In Zeiten, in denen der breite Protest gegen rechts immer wichtiger wird, kann das ein Problem darstellen.

Dabei lohnt es sich, die paar Demo-Vokabeln zu kennen, auch wenn man mit linkem Aktivismus sonst gar nichts anfangen kann. Denn in den letzten Monaten gab es immer mehr Großdemonstrationen in Deutschland, die – endlich! – nicht länger von Rechten besetzt waren wie Pegida, sondern eher von links bis in die bürgerliche Mitte hinein. Ob #ausgehetzt, #noPAG, die Massendemos im Hambacher Forst oder #unteilbar: Inzwischen gehen viel mehr Menschen auf die Straße, die mit Linksaktivismus eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Weil die linke Szene aber natürlich ebenfalls bei den Protesten aktiv ist und sie teilweise mitorganisiert, gehören Begriffe wie „Lauti“ und „Transpi“ zu einer Demo einfach dazu – erst recht zu einer gegen rechts.

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