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Rückt die Junge Alternative nach rechtsaußen?

Illustration: Katharina Bitzl

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Lars Steinke ist jung, rechts und ehrgeizig. Vor einigen Wochen wurde der 24-jährige Politikstudent zum Landesvorsitzenden der niedersächsischen Junge Alternative (JA) gewählt, der Jugendorganisation der AfD. Seine Wahl führte umgehend zu mehr als 20 Austritten. „Für uns war eine rote Linie überschritten“, sagt Mario Olsson, bisheriger Bezirksvorsitzender Lüneburg und Gegner von Steinke in Niedersachsen. Der 23-jährige angehende Erzieher hatte auf dem niedersächsischen Landeskongress Auszüge aus Whatsapp-Konversationen vorgelegt, in denen JA-Mitglieder unter anderem schrieben: „Wir sollten endlich über eine Endlösung für die Musels in Deutschland nachdenken.“ Und: „Wir sollten Tierversuche stoppen und Flüchtlinge dafür nehmen.“

Steinke war Mitglied dieser Chatgruppen. Die Hetzer kommen aus seinem Braunschweiger Bezirksverband, der als besonders rechts gilt. Warum wurde er trotzdem gewählt? „Weil viele das heimlich unterstützen“, sagt Mario Olsson. „Die finden das sagbar.“ Ein anderer ausgetretener Ex-Funktionär nennt die Gegner ganz deutlich: „Neonazis“ und „Rechtsextreme“.

Steinke gilt vielen als Personifizierung eines Rechtsrucks der JA, parallel zum Rechtsruck der AfD in Person des ostdeutschen Politikers Björn Höcke. Auch, weil Steinke im Sommer 2016 in Wien und Berlin bei Aufmärschen der Identitären Bewegung (IB) mitlief. Davon existiert sogar ein Youtube-Video, in dem er das Pfefferspray der Polizei „voll abbekommt“, aber kurz darauf „wieder mittendrin“ ist, immer die Kamera dabei, ganz im Sinne der medienaffinen IB.

So geht die Guerilla der Identitären: Durch Aktionen wie der versuchten Besetzung des Bundesjustizministeriums oder zuvor des Brandenburger Tors soll Aufmerksamkeit geschaffen werden. Für  martialische Forderungen wie die nach einer „Festung Europa“. Dabei treten die „Ibster“ (=Identitäre Hipster) mit Undercut und Skinny Jeans anders auf, als man es von Rechtsradikalen mit Glatze und Springerstiefeln gewohnt ist. Sie bespielen Instagram und Facebook versiert mit Hochglanz-Videos. Und werden seit August 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet. 

Die JA, die vor allem bürgerliche Studenten und Burschenschaftler anspricht, könnte die IB als Kraft auf der Straße gut gebrauchen. Die IB wiederum kann ihre Ideologie über JA und AfD ins verhasste System tragen. Rückt die Junge Alternative also immer weiter nach rechts? Wird sie gar von der Identitären Bewegung unterwandert, obwohl man schon 2016 einen „Unvereinbarkeitsbeschluss“ zwischen JA- und IB-Engagement verabschiedete? Oder ist das alles nur Taktik?

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Foto: imago/ipon

Die Abgrenzung von Rechtsextremen ist das Kernproblem der AfD und JA

„Sympathisch, was ihre Aktionen und ihre Kreativität angeht“, findet Markus Frohnmaier, 26 Jahre alter Vorsitzender der JA, am Telefon die Identitäre Bewegung. Er ist auf dem Rückweg von einer Podiumsdiskussion in Karlsruhe, steckt mitten im Bundestagswahlkampf. Als Vertreter des nationalkonservativen Flügels hat er einen guten Listenplatz. „Wenn wir fünf Prozent holen, bin ich drin.“ Während die AfD in einer Allensbach-Umfrage zur Bundestagswahl zuletzt auf 6,5 Prozent sank, fallen die Identitäre auf. Mit Attacken auf den öffentlichen Frieden wie zuletzt vor dem Justizministerium. Die Aktion scheiterte kläglich, machte aber Schlagzeilen. Frohnmaier sagt:  „Es gibt viele inhaltliche Gemeinsamkeiten. Aber auch Dinge, die uns trennen.“

Er hat recht: Beide Organisationen sind Migrationsgegner, islamfeindlich, kulturreaktionär. Für ein traditionelles Rollenbild in Sachen Geschlechter und Familie, kritisch gegenüber der Gleichstellung von Minderheiten. Die IB propagiert dazu einen „Ethnopluralismus“, gegen jede „Durchmischung“. Ihr Kulturbegriff ist ein pseudo-medizinischer. Danach gibt es so etwas wie die Genetik einer Kultur, die jedes Volk für sich hat. Diese ist rein zu halten. Vermischung bedeutet Verunreinigung, Krankheit und letztlich Tod der einzelnen Kulturen. Soweit will Frohnmaier nicht gehen: „Wir können als Partei und Jugendorganisation ja nicht ein Angebot an alle Deutschen machen, aber einen großen Teil von ihnen auf Grund von irgendwelchen Abstammungsprinzipien nur als Papierbürger behandeln. Das wäre ausgrenzend und unklug.“ Er ist pragmatisch, will „den Trichter breit halten“, was die Zielgruppe der AfD angeht.

Der Rassismus der IB ist aber nicht der Grund, dass die JA sich im August 2016 offiziell von der IB distanziert hat. Sondern ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Dessen Chef Hans-Georg Maaßen sagte damals, man sehe „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ Sowohl für AfD als auch JA war damit klar: Eine offizielle Zusammenarbeit schadet uns mehr, als sie nutzt. „So lange diese Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet wird“, sagt Markus Frohnmaier, „müssen wir, alleine schon im Sinne unserer Mitglieder, die als Lehrer, Polizisten oder Soldaten verbeamtet sind, eine klare Linie ziehen.“ Ob die Beobachtung gerechtfertigt sei? „Falls ich in den Bundestag einziehe, werde ich durch Anfragen zu klären versuchen, ob die IB-Beobachtung tatsächlich gerechtfertigt ist – oder bloß politisch motiviert. Aber erstmal müssen wir uns damit abfinden.“ Das bedeutet konkret: Der Unvereinbarkeitsbeschluss hinsichtlich der IB soll durchgesetzt werden. Dazu hat die JA Leitlinien formuliert, die später an die Öffentlichkeit gelangten.

 

In dem vom ARD-Faktenfinder veröffentlichten Dokument heißt es, der AfD-Nachwuchs dulde „keine Aktivitäten von Funktionsträgern, welche die Junge Alternative in einen Zusammenhang mit vom Verfassungsschutz beobachtete Organisationen" bringe. Mitglieder hingegen würden lediglich sanktioniert, wenn "es sich um besonders schwerwiegende Fälle handelt" – beispielsweise Werbung für neonazistische Gruppierungen. Gegen hohe Funktionäre aus Bundes- und Landesvorständen würde ohne Vorwarnung vorgegangen werden.

 

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke erklärte dem ARD-Faktenfinder, die „Leitlinien“ und ihre Anwendung zeigten, dass die Abgrenzung von Rechtsextremen das Kernproblem der AfD und ihrer Jugendorganisation sei. Seit der Gründungsphase der AfD sei „keine ernsthafte Abgrenzungspolitik gegenüber rechtsextremen Akteuren betrieben worden, auch wenn diese Abgrenzung auf dem Papier beschlossen war“, so Funke. Der Politikwissenschaftler sprach von einer „Politik des gezielten Wegschauens“. „Ich kann einem Mitglied nunmal nicht vorschreiben, auf welche Demos es geht", sagt Frohnmaier. „Einem Funktionär und damit Repräsentant schon eher. Aber auch hier muss der Vorgang entsprechend juristisch geprüft werden.“

markus frohnmaier
Foto: Junge Alternative

Auch die Mutterpartei AfD flirtet immer wieder mit den hippen Jung-Rechten

 

Und die Identitäre Bewegung selbst? Ist leicht genervt von der Diskussion um Kooperation oder Koexistenz mit der JA. Daniel Giß, einer ihrer Sprecher, hat auch nach mehreren Anläufen keine Lust, sich zu äußern. Man könne „mit ein wenig Recherche“ leicht alles Wissenswerte dazu nachlesen. Er hat Recht: Googelt man „IB und JA“, findet man eine längere gemeinsame Geschichte. Immer wieder gab es Kontakt, personelle Überschneidungen, Sympathiebekundungen. Vor, nach und trotz des Unvereinbarkeitsbeschlusses. Immer wieder denken JA-Funktionäre öffentlich über eine Zusammenarbeit nach, laufen bei IB-Märschen mit, zeigen dort Schilder mit der Aufschrift: „JA ❤️ IB."

 

Auch die Mutterpartei AfD flirtet gerne mit den hippen Jung-Rechten. Der bayerische AfD-Landeschef Petr Bystron sagte im März 2017: „Die Identitäre Bewegung ist eine tolle Organisation“. Seitdem wird auch er vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet – aber nie aus der Partei ausgeschlossen. Und behält seinen vierten Platz auf der Landesliste für die Bundestagswahl. Ein Antrag mehrerer Parteimitglieder, die Abstimmung wegen der Geheimdienst-Beobachtung zu wiederholen, wurde auf dem Listenparteitag von einer großen Mehrheit zurückgewiesen. Die Mutterpartei macht also vor, was Beschlüsse wert sind.

 

Und JA-Chef Markus Frohnmaier? Traf sich im April 2017 mit Martin Sellner, prominenter Kopf der österreichischen Rechten mit guten Kontakten zu Götz Kubitschek, Gründer des Instituts für Staatstheorie (IfS), dem wichtigsten Think Tank der Neuen Rechten. Eine Journalistin des Tagesspiegel war mit dabei. Sie schrieb einen vielbeachteten Text über das Gipfeltreffen. „Das habe ich auch gemacht, um ganz klar zu zeigen, wo wir Gemeinsamkeiten haben. Und wo nicht“, sagt Frohnmaier. Er will verstanden wissen, dass die JA „parlamentarisch denkt und arbeitet, wie eine Partei eben.“ Und die IB als Aktivisten „im vorpolitischen Raum aktiv sind. Das sind unterschiedliche Felder.“ 

 

Aber ist das nicht eine perfekte Ergänzung? Und wer hält sich wirklich an den Beschluss? „Die allermeisten tragen unsere offizielle Linie konsequent mit.“ Angesprochen auf den Berliner JA-Vorstand Thorsten Weiß, der mit der IB öffentlich sympathisierte, sagt Frohnmaier: „Weiß hat immerhin Jannik Brämer nach seiner Verhaftung ausgeschlossen.“ Jannik Brämer, Schatzmeister des Berliner Landesverbandes der JA Berlin, war im Juni in Berlin festgenommen worden, nachdem er mit fünfzig Mitgliedern der „Identitären Bewegung“ (IB) versucht hatte, das Bundesjustizministerium zu besetzen. Er wurde per Haftbefehl gesucht, gefasst – und flog aus der JA. 

 

Außer bei solchen kriminellen Fällen scheint man aber wenig handlungsfreudig. Viele Ausschlussverfahren seien dem Bundesvorstand zwar bekannt, sagt ein ehemaliges JA-Mitglied. Passieren würde aber lange nichts. Und so gibt es in der JA vermutlich viele, die mehr oder weniger offen mit der IB liebäugeln. Und die, mit Unterstützung vieler IB-Sympathisanten, langsam, aber sicher aufsteigen in dieser jungen, formbaren Organisation. So wie eben Lars Steinke.

 

„Gegen Lars Steinke laufen zwei Partei-Ausschlussverfahren“, sagt Markus Frohnmaier. „Beide werden keine Chance haben“, ist sich Steinke hingegen sicher. Einmal geht es zum eine Veranstaltung in Göttingen, zu der er ausgerechnet den IB-Chef Martin Sellner einladen wollte. Die Veranstaltung kam nie zustande. Der andere Grund ist seine Mitorganisation erster Aufmärsche der „Heimatfreunde Niedersachsen“, eine Kundgebung nach Vorbild von Pegida. „Ich wurde getäuscht. Dass sich die Leute, die da mitmachen, als rechtsradikal herausstellen würden, wusste ich nicht“, verteidigt sich Steinke. Und bleibt weiter in der Partei aktiv.

 

Niemand scheint etwas gegen den Rechtsruck tun zu können – oder zu wollen

 

JA-Chef Frohmaier hat trotz all dieser Anzeichen keine Angst, dass seine Organisation von Rechtsaußen unterwandert wird. „Wir hatten gar nicht so viele Beitritte, dass sich da etwas gravierend ändern könnte. In NRW, unserem stärksten Landesverband, wurde gerade ein sehr bürgerlicher Kandidat gewählt. Und unser Programm ist das gleiche wie vor zwei Jahren“. Sein Co-Vorsitzender Sven Tritschler vertritt den wirtschaftsliberalen Flügel der JA, dessen Anhänger man auch in der CDU und FDP finden könnte. Mit ihnen hofft Frohnmaier, dass inzwischen alle in der Partei verstanden hätten, dass am rechten Rand weniger Stimmen zu holen sind als bei den bürgerlichen Nicht-Wählern. Denen man immer wieder zeigen müsse, dass die AfD nicht „zu rechts“ sei, weil die Protestwähler sonst zur FDP überliefen. Die IB schrecke da eher ab. Auch wenn fast alle JAler sie für ihre Aktionen bewundern. 

 

Auch, wenn sie im Mittelmeer Schiffe von NGOs daran hindern wollen, schiffbrüchige Flüchtlinge nach Europa zu bringen? „Gut“, findet Steinke das, wenn die Geretteten zurück nach Libyen gebracht werden. „Mutig“, sein Bundesvorsitzender Frohnmaier, „immerhin ist das machen, nicht schwätzen.“ Wo die Grenzen des Machbaren und Sagbaren verlaufen, zeigt Steinke auch, wenn er ein Video von Bibi auf Youtube als „entartet“ kritisiert. „Das ist für mich kein Nazi-Begriff. Man sollte das auch endlich mal ruhen lassen. Man kann ja nicht ewig Worte verbieten, nur weil sie damals missbraucht wurden.“ 

 

Ex-JAler Mario Olsson findet so ein Vokabular „Schwachsinn". Für ihn bewegt sich die JA, seit er vor dreieinhalb Jahren eintrat, in einigen Landesverbänden klar nach rechts. „In Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt, wo um die 20 IBler eingetreten sind, um den Landesverband überhaupt erst zu gründen. Und jetzt aktiv zu gestalten."

 

Der Unvereinbarkeitsbeschluss scheint nicht zu wirken. Von oben herab kann man die vielen Verflechtungen zwischen JA und IB kaum lösen. Mehr noch: Die Vermischung von Kulturen, welche die IB so ängstigt, in diesem Fall von parlamentarischem Ehrgeiz der JA und der Straßen-Guerilla der IB, scheint am rechten Rand längst Strategie. Und niemand scheint etwas dagegen tun zu können – oder zu wollen. 

 

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