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Die EU in verständlich

Das Team hinter „eu.for.you“:  Constantin Tran, Marco Moschovidis, Maike Steen, Luca Scotellaro (von links nach rechts).
Screenshot: Instagram / eu.for.you

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Sieht so die Zukunft Europas aus? Der eine trägt Nike-Sneaker, der andere eine Casio-Watch, der dritte hat seinen weißen Hoodie tief ins Gesicht gezogen. Marco Moschovidis, Luca Scotellaro und Constantin Tran wollen Europa gestalten. Zusammen mit ihrer Freundin Maike Steen versuchen die drei Münchner zwischen 22 und 30 der angeblich so politikverdrossenen Generation Z die Politik der EU näher zu bringen. Auf ihrem Instagram-Account „eu.for.you“ erklären sie ihren knapp 10 000 Abonnenten wie das Europaparlament funktioniert und was Online-Shopping mit der EU zu tun hat.  

Die Idee dazu hatten  die drei Politikstudent*innen und der Grafiker Constantin wenige Wochen vor der Europawahl am 26. Mai. Von Palina Rojinski bis zur SPD-Politikerin Katharina Barley trugen auf einmal alle diesen königsblauen Pulli mit aufgedruckter Europaflagge. Plötzlich war die Europäische Union hip, unter dem Hashtag #thistimeimvoting riefen auf den sozialen Netzwerken Tausende dazu auf, wählen zu gehen. „Aber niemand erklärte mir, warum ich wählen gehen soll und weshalb die EU überhaupt wichtig ist für mich“, sagt Marco. Mit Blick auf die niedrige Wahlbeteiligung junger Leute bei den Europawahlen findet Marco das fahrlässig.

Tatsächlich hielten laut der Jugendstudie der TUI-Stiftung kurz vor der Wahl 2019 nur 50 Prozent der 16- bis 26-Jährigen, die Europawahl für wichtig. Und nur 20 Prozent glaubten, dass das Europaparlament sie angemessen repräsentiert.

Jetzt, drei Monate nach der Wahl haben die Abgeordneten längst ihre Arbeit in Brüssel aufgenommen. Die haben immerhin auch viele Erstwähler*innen als ihre Vertreter in das Europaparlament gewählt. Aber die Europapullis ihrer Wähler*innen verstauben im Kleiderschrank. Auch sonst ist die EU kaum noch Thema auf WG-Partys oder in den sozialen Netzwerken.

Für Marco, Maike, Luca und Constantin ist das unverständlich. Lebensmittelrechte, Fluggastrechte oder Minderheitenschutz, die EU mischt beinahe überall mit. Die Vier meinen: Wer darüber nicht Bescheid weiß, der kann auch nur schwer etwas ändern.

Mit ihrer Idee, Europapolitik auf Instagram zu erklären, treffen die Student*innen offenbar einen Nerv. Influencer*innen und Journalist*innen werden schnell auf den Kanal aufmerksam. Die Autorin Margarete Stokowski und zahlreiche Freunde der vier teilen ihre Beiträge. Innerhalb weniger Wochen sehen über 450 000 User ihre Postings. Einige Abgeordnete und der Account der Kommission der Europäischen Union folgen ihnen. Unmittelbar vor  der EU-Wahl steckte jeder der vier Student*innen mindestens zehn Stunden Arbeit pro Woche in den Account, unentgeltlich neben Uni und Job. Mittlerweile nimmt der Kanal deutlich weniger Freizeit in Anspruch. Das heißt aber nicht, dass sich die vier mit dem Erfolg ihres Accounts zufrieden geben. Jetzt, nach der Wahl, postet „eu.for.you“ hauptsächlich tagesaktuelle Nachrichten aus der Europäischen Union. 

Auch die Europäische Union weiß, dass sie junge Leute nur schwer erreicht

Auch Reinhard Hönighaus, der Sprecher der Europäischen Kommission in Deutschland ist auf „eu.for.you“ aufmerksam geworden. Grundsätzlich findet er Bürgerinitiativen gut. „Wir gucken uns das an”, sagt er, „bleiben aber Zaungäste.“ Er ist der Meinung, dass viele solcher Initiativen gar nicht „institutionell umarmt werden wollen.“ Deshalb gebe es keine Zusammenarbeit. Maike, Luca und Marco sagen hingegen, dass sie mehrmals versucht hätten mit der EU Kontakt aufzunehmen, um Unterstützung für ihr Projekt zu bekommen – ohne Erfolg. Warum, das kann sich Hönighaus auch nicht erklären. Finanzielle Unterstützung könne man zwar nicht leisten, die Europäische Kommission arbeite aber durchaus mit Betreibern von Social-Media-Kanälen zusammen.

Denn auch die Europäische Union weiß, dass sie junge Leute nur schwer erreicht und versucht diese deshalb auf Social Media abzuholen. Allein für die Europäische Kommission arbeiten sieben Mitarbeiter*innen ausschließlich in der Kommunikation via  Instagram, Facebook und Co. Hinzu kommen etliche Kanäle in den einzelnen Landessprachen und die Accounts der anderen Institutionen der EU. Und natürlich hat sich die EU zu diesem Zweck auch ein Hashtag ausgedacht. #EUandMe soll jungen Leuten zeigen, wo ihre Interessen von der EU vertreten werden. Beispielsweise, wenn es um Klimaschutz oder um Plastik im Ozean geht. 

Wer es noch genauer wissen will, kann sich an die Service-Hotline der Europäischen Union wenden: EU-Direct heißt die. Unter der 00800 67891011 geben Mitarbeiter*innen kostenfrei Auskunft zu allen Fragen, solange sie mit Europa zu tun haben.

Doch wer sich gut über die Vorgänge in der Europäischen Union informieren will, für den führe laut Hönighaus an „etablierten Qualitätsmedien“ kein Weg vorbei.

Die vier Student*innen  von „eu.for.you“ sehen das anders. Wer keine Zeitung liest, soll trotzdem wissen, weshalb die EU im Alltag wichtig ist. Manchmal recherchieren sie stundenlang auf EU-Portalen, wühlen sich durch Zeitungsartikel und Pressemitteilungen, bis sie Themen wirklich verstanden haben. Die Informationen wären zwar alle da, aber die wenigsten würden sich so eine Recherche freiwillig antun. Deshalb wollen sie die Themen nah an die Menschen bringen, bis die „keinen Schritt mehr aus ihrem Alltag machen müssen, um an Informationen zu gelangen. Es soll bis an die Haustüre geliefert werden: also auf Instagram“, wie Constantin das Konzept des Kanals beschreibt. Aufklärungsarbeit also, die direkt erreicht und mit ein paar Swipes konsumierbar ist. 

Für zwei der vier ist klar, ihr politische Engagement wird nicht bei Instagram enden. Luca weiß jetzt, dass politische Kommunikation sein Ding ist und kann sich eine Zukunft dort vorstellen. Marco will auf jeden Fall direkt für die EU arbeiten. Am liebsten für die Europäische Kommission.

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