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Jürgen Gradl fordert in einer Petition den "Dienst für alle" und will ein verpflichtendes solidarisches Jahr für junge Menschen
Sie wünschen sich wieder mehr Solidarität in unserer Gesellschaft. Deswegen startete die Initiative „DIENST für ALLE“ im vergangenen Jahr eine Petition auf Change.org, in der sie rein rechtlich betrachtet den Wehr– und Zivildienst zurückfordern. Vor knapp sechs Jahren wurde dieser von der Bundesregierung ausgesetzt. Die damalige Begründung: Der Dienst sei sicherheitspolitisch und militärisch nicht mehr zeitgemäß. Mit ihrem neuen Konzept dem „DIENST für ALLE“ möchte die Initiative ein verpflichtendes solidarisches Jahr für junge Menschen etablieren. Bisher konnten sie 10.000 Unterschriften sammeln. Damit ihre Forderungen von den Bundestagsabgeordneten überhaupt angehört werden, brauchen sie 50.000 Unterstützer.
Das Jahr beim Bund zu verbringen ist nur eine von vielen Optionen in ihrem neuen Konzept. Jürgen Gradl, 35, ist hauptberuflich Referent für das Deutschlandstipendium an der TU München und engagiert sich neben vier weiteren Mitgliedern bei der Initiative. Uns erklärt er, was an dem „Dienst für alle“ neu ist und was er sich davon erhofft.
jetzt: Eine kurze Umfrage unter den Jungs in unserer Redaktion ergab: Die Musterung, die damals jeder Junge über sich ergehen lassen musste, war scheiße. Die wollt ihr zurück für beide Geschlechter?
Jürgen: Die Musterung war schlimm und deswegen fällt sie in unserem Konzept auch weg. Wir möchten einen „Dienst für alle“ einrichten, in dem es nicht darum geht, Menschen nach Schema A, B oder C zu sortieren und daraus abzuleiten, wer geeignet ist und wer vielleicht nicht. Es sollen sich alle solidarisch beteiligen können. Ein Mensch im Rollstuhl hat die gleiche gesellschaftliche Wertigkeit wie jemand, der körperlich gesund ist. Und er soll die gleiche Chance auf eine gesellschaftliche Beteiligung haben.
Was soll der Dienst für alle genau sein?
Der Dienst für alle meint ein zusätzliches Ausbildungselement für alle deutschen Staatsbürger. Nämlich ein solidarisches Jahr nach der Schule. Am besten direkt nach dem Abitur.
Der Wehr- und Zivildienst ist seit fast sechs Jahren ausgesetzt. Ihr fordert diesen Dienst jetzt also zurück – inklusive Wehrdienst?
Das ist kompliziert. Denn es gibt einen juristischen Kniff bei der Sache. Wir fordern den Wehrdienst zwar zurück, aber eigentlich geht es uns eher darum, ein solidarisches Jahr einzubeziehen. Auf dem Papier fordern wir beide Dienste zurück, fokussieren uns aber viel mehr auf den Zivildienst und möchten ein größeres Angebot schaffen. Der Wehrdienst ist nur eine von zig Optionen. Ob jemand dann in der Behindertentagesstätte, der Kita oder beim Bund arbeitet, ist ihm selbst überlassen. Intern haben wir darüber lange diskutiert und ich persönlich würde niemals freiwillig eine Waffe in die Hand nehmen. Da die Bundeswehr aber fest in unserem Grundgesetz verankert ist, können wir unser Konzept gar nicht anders realisieren. Wir wollen aber so viele soziale Institutionen wie möglich einzubeziehen.
Welchen gesellschaftlichen Effekt erhofft ihr euch?
Heutzutage geht es nur noch darum, seine Leistungen zu beschleunigen. Wir werden maximal effizient ausgebildet. Der solidarische Teil kommt dabei einfach zu kurz. Die meisten fangen sehr jung an zu studieren. Durch das Bachelor-Master-System ist alles stark verschult. Das Extrembeispiel: Nach dem Abi folgt der nahtlose Übergang auf die Uni, mit 23 Jahren ist das Studium dann beendet, zwei Jahre später ist man dann Topmanager in einem großen Unternehmen. Mit 27 Jahren folgt dann aber auch der erste Burn-out. Es bleibt also keine Zeit, sich persönlich weiterzuentwickeln. Über den Tellerrand zu blicken, mal Menschen aus anderen Schichten zu treffen, mal die eigene Filterblase zu verlassen.
Verklärt ihr das nicht auch ein bisschen? Viele haben während des Zivis oder des Grundwehrdienstes ja auch eher gechillt, als die Welt zu einem besseren Ort gemacht.
Ich glaube nicht daran, dass wir die Gesellschaft durch den „Dienst für alle“ zu einer voller Weltretter machen können. Ich denke aber, dass jeder etwas mitnehmen kann. Unsere Verantwortung liegt dann nachher in der richtigen Ausgestaltung. Das Konzept „geben und nehmen“ richtig umzusetzen. Dass Menschen, die ihren Dienst zum Beispiel in einem Verein ableisten, einen Trainerschein erhalten. Oder Menschen, die Essen austragen, einen finanziellen Zuschuss für ihren Führerschein bekommen.
Natürlich wird es immer einen geben, der weiß, wie man das System maximal ausnutzt und der dann im Krankenhaus nur rumchillt. Vielleicht lernt er dort aber trotzdem, dass seine Unzuverlässigkeit Konsequenzen für andere hat.
Ihr wollt die Gesellschaft also solidarischer machen. Warum hilft der Dienst für alle dabei eurer Meinung nach besonders?
Um zu lernen wie man sich solidarisch verhält, reicht ja auch schon Mannschaftssport. Beim „Dienst für alle“ geht es eher um den solidarischen Grundgedanken in einer Gesellschaft. Dass junge Menschen wissen, wofür sie später Steuern zahlen und warum das vielleicht auch wichtig ist. Dass wir mit den Steuern ein soziales Netz erhalten möchten, durch das keiner durchfallen soll. Wie zum Beispiel, dass es Bildung für alle gibt oder eine Behindertentagesstätte. Das wird ja auch durch Steuern finanziert. Dass sie einfach wissen, wie ein Staat überhaupt funktioniert. Derzeit lernen junge Menschen in ihrer Berufsausbildung eher, wie sie besonders gut performen können.