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Wie blicken junge Iraner auf die Proteste?

Foto: dpa

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Mittlerweile hört man fast gar nichts mehr von den Protesten aus Iran. Von den abertausenden Menschen, die dort auf die Staßen gingen, um gegen die schlechte wirtschaftliche Situation, aber auch für mehr Freiheit im autoritär geführten Gottesstaat zu demonstrieren. Mindestens 21 Menschen sind iranischen Medien zufolge seit Beginn der Proteste getötet worden.

Nach langem Hin und Her fanden wir zwei Iraner, die bereit waren, uns ihre Sicht auf die Proteste zu schildern. Parsa und Mohammad erzählen, was sie über die Demonstrationen denken, was sie erlebt haben und wohin das Land ihrer Meinung nach steuert. Dabei sind sie sehr unterschiedlicher Meinung. Der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen lässt sich natürlich nur schwer überprüfen – sie geben aber dennoch einen Eindruck davon, was junge Menschen in Iran momentan beschäftigt.

"Wir wollen eine neue Republik ohne Ayatollah"

 

 

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Illustration: Daniela Rudolf

Parsa (28) aus Lahidschan, einer Stadt im Nordwesten Irans

„Als ich 18 war, wurde ich von einem Polizisten aus einem Van heraus angesprochen. Ich dachte, er hätte eine Frage und ging auf den Wagen zu. Dann zerrten sie mich ins Auto, sagten mir, dass ich mich nicht bewegen oder etwas sagen dürfe und brachten mich und andere junge Männer aufs Polizeirevier. Ich hatte wahnsinnige Angst und wusste überhaupt nicht, was ich eigentlich verbrochen hatte. Im Revier schrien sie uns an und schlugen einige von uns. Langsam fand ich heraus, dass sie mich wegen meines angeblich zu kurzen T-Shirts mitgenommen hatten. Dabei war es gar nicht besonders kurz, man konnte allerdings meinen Gürtel sehen – das war zu viel. Nach fünf Stunden durften mich meine Eltern abholen und ich musste ein Dokument unterschreiben, nie wieder zu kurze Shirts zu tragen.

Von diesem Tag an habe ich begonnen, mich gegen dieses System zu stellen – zunächst nur sehr leise, da ich natürlich weiterhin Angst hatte. Aber in den vergangenen Tagen konnte ich endlich frei sprechen, alles herausschreien und war nicht mehr allein, sondern unter lauter Gleichgesinnten. Das war natürlich nicht ungefährlich, aber es hat mich sehr glücklich gemacht!

Bei diesem Protest kämpfe ich in erste Linie für Freiheit, eine bessere Regierung und Frieden mit anderen Ländern. Und genau das ist leider völlig unmöglich, so lange Iran ein islamischer Gottesstaat ist. Ich habe nichts gegen Religionen, jeder soll glauben, was er will. Ich aber will, dass in meinem Land die Rationalität und Wissenschaft herrscht und nicht religiöse Führer!

Natürlich haben viele auch protestiert, weil sie sich „nur“ ein paar Reformen und eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erhoffen, und Rohani ist ein schlauer Fuchs, sicherlich wird er versuchen, solche Reformen anzustoßen. Aber echte Veränderungen sind mit den religiösen Führern eben nicht zu machen. Deswegen denke ich schon, dass die meisten von uns das theokratische System an sich ablehnen. Wir wollen eine neue Republik ohne den Ayatollah und ohne Einfluss des politischen Islams.

Die Revolutionsgarden sind Werkzeuge der Herrschenden, sie kennen keine Gnade oder Ehre. Leider kann man gegen ihre Gewalt nicht viel tun und auf echte internationale Unterstützung kann hier auch niemand zählen. Momentan ist es deswegen gefährlich, auf die Straße zu gehen, das macht vielen Angst. Auch ich gehe nur dann wieder raus, wenn die Menge groß genug ist, sonst werde ich sofort verhaftet. Aber selbst wenn der Protest nun endgültig vorbei sein sollte, hat das System durch unseren Einsatz bereits viel Unterstützung verloren. Irgendwann werden wir gewinnen, wenn auch nicht heute oder morgen.“

„Wenn der Ayatollah sagt, dass ausländische Kräfte den Protest angeheizt haben, ist da schon was dran“

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Illustration: Daniela Rudolf

Mohammad (26) aus Tabriz, Hauptstadt der iranischen Region Ost-Aserbaidschan

„In meiner Heimatstadt, immerhin eine der größten in Iran, war es in den vergangenen Tagen sehr ruhig – und zwar nicht erst, seit die Proteste wieder so gut wie vorbei sind. Ich glaube, dass man im Westen gerade eine völlig falsche Wahrnehmung von unserem Land hat, als wäre Iran ein wütendes Dorf, in dem alle Menschen 24 Stunden am Tag demonstrieren. Hier in Tabriz hat es meiner Ansicht nach keine größeren Proteste oder gewalttätigen Ausschreitungen gegeben. In der vergangenen Woche war ich außerdem in anderen Städten unterwegs, selbst in Teheran habe ich nichts von den Protesten gemerkt.

Natürlich sind vielerorts Menschen auf die Straße gegangen, das will ich gar nicht leugnen. Aber die Proteste waren zeitlich sehr begrenzt und auch nur halb so groß, wie man vielleicht annehmen könnte, wenn man der Berichterstattung im westlichen Fernsehen folgt. Wenn Ayatollah Ali Chamenei sagt, dass ausländische Kräfte den Protest angeheizt haben, ist da schon was dran: Es gibt hier viele von Großbritannien oder den USA gesponsorte Satellitenkanäle auf Persisch, die ein paar wenige Demonstrationen zu einer riesigen Bewegung erklärt und zur Rebellion aufgerufen haben.

Natürlich gibt es aber tatsächlich eine große Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung. Die Menschen sind unglücklich mit ihrer Lebenssituation und der wirtschaftlichen Lage. Viele suchen die Schuld dafür bei den religiösen Führern, von denen sie sich ausgebeutet fühlen. Andere wiederum sagen, dass die schlechten Verhältnisse nichts mit dem Gottesstaat zu tun haben, sondern vielmehr mit westlichen Ländern, die eine positive Entwicklung im Land immer wieder torpediert haben. Einigkeit besteht allerdings darüber, dass es hier Regierungsbeamte gibt, die das Geld im Land für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.

Was ich von den Protesten halte? Natürlich sollte jeder das Recht haben, seine Meinung kundzutun und leider ist es mit der Meinungsfreiheit hier nicht sonderlich gut bestellt. Meiner Meinung nach waren die Proteste aber dennoch sinnlos, sie haben Instabilität in unser Land getragen und der Kurs des iranischen Rial ist gesunken. Davon hat niemand etwas.

Ich glaube auch nicht, dass sich die Protestierenden auch nur ansatzweise auf ein echtes Ziel geeinigt hatten. Erst einmal planlos die Regierung zu stürzen, würde Iran in ein zweites Syrien verwandeln – und das wäre natürlich ein Albtraum: Am Ende hätten wir hier den „Islamischen Staat“ oder US-Truppen im Land.

Der berechtigte Frust über die wirtschaftlichen Verhältnisse hat sich meiner Meinung nach viel zu schnell zu einer Pseudo-Revolution gewandelt. Ich finde, dass sich die Lage auch ohne einen Systemwechsel verbessern ließe.“

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