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„Die CSU ist sehr zufrieden – das kann nichts Gutes bedeuten“

Foto: Michael Kappeler / dpa

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jetzt: Kevin, die SPD und die Union haben heute von einem „Durchbruch“ in den Sondierungsgesprächen gesprochen. Du hast dazu getwittert: „Beim Blinddarm, wie auch in Sondierungsgesprächen: Obacht bei Durchbrüchen.“ Warum?

Kevin Kühnert: Dass die Gespräche beendet sind, ist an sich noch kein positives Zeichen, die Frage ist schließlich: Was steht denn nun am Ende in dem Sondierungspapier? Nachdem ich es gelesen habe, muss ich sagen: Es reicht zwar noch nicht für eine Blinddarmentzündung, für erhebliche Bauchschmerzen aber schon.

Was bereitet dir diese Bauchschmerzen?

In diesem Papier fehlen wichtige Forderungen der SPD. Beim Thema Steuern hat die SPD etwa gefordert, dass Personen ab einem Jahreseinkommen von knapp 100 000 Euro drei Prozent mehr Spitzensteuersatz bezahlen – davon steht nichts drin. Der zweite Punkt, der richtig wehtut: Faktisch steht in diesem Papier nun eine Obergrenze für Geflüchtete. Sie wird in der entsprechenden Passage zwar nicht so genannt. Aber die CSU ist sehr zufrieden – das kann nichts Gutes bedeuten.

Kannst du dich mit deiner Partei noch identifizieren?

Na ja, die haben das ja nicht reingeschrieben, weil sie davon überzeugt sind. Sie glauben halt, dass die Obergrenze so ohnehin nicht durchsetzbar ist. Das ist aber zum einen ein komischer Politik-Stil. Man sollte schon gerade heraus sagen, was man möchte und was nicht. Zum anderen warne ich sehr davor, zu glauben, dass sich idiotische Vorschläge der CSU vor dem Verfassungsgericht oder wo auch immer von allein erledigen werden. Den gleichen Fehler haben wir vor vier Jahren mit der PKW-Maut gemacht. Damals dachte keiner, dass die durchgeht. Heute ist sie beschlossen und wird in den nächsten Jahren gültig werden. Das sollte nicht noch mal passieren.

Sollte es zu einem Koalitionsvertrag kommen, muss die Parteibasis darüber abstimmen. Ich nehme an, die Jusos werden für „Nein“ stimmen.

Auf jeden Fall. Inhaltlich ist jetzt ja klar, wohin die Reise geht. Was in dem Sondierungspapier aufgeschrieben wurde, reicht nicht aus, um unsere Zustimmung zu bekommen.

„Angela Merkel vertritt eine sehr prinzipienlose Politik“

Wenn die SPD für eine große Koalition nicht zur Verfügung stünde, wäre wohl mit Neuwahlen zu rechnen.

Ganz so einfach ist es nicht. Deutschland steht nicht nur vor der Entscheidung: große Koalition oder Neuwahlen. Falls die SPD aussteigen würde, gingen die Blicke erst mal Richtung Angela Merkel. Sie müsste dann erklären, ob sie noch mal mit den Jamaika-Parteien spricht oder auch bereit wäre, eine Minderheitsregierung zu führen. Dass sie auf Letzteres keine Lust hat, hat sie hinreichend deutlich gemacht. Aber in Deutschland wählen wir nicht einfach neu, nur weil das der Kanzlerin am bequemsten ist.

Welche Lösung wäre dir denn am liebsten?

Ich halte eine Minderheitsregierung in der aktuellen Situation für das Ehrlichste. Wir sehen doch, wie schwer es Angela Merkel fällt, noch Koalitionspartner für ihren komischen Regierungsstil zu finden. Schließlich vertritt sie eine sehr prinzipienlose Politik und hat im Zweifelsfall jede Position schon mal vertreten. In einer Minderheitsregierung müsste sie für jedes einzelne Anliegen um Mehrheiten ringen, argumentieren und versuchen, andere Parteien ins Boot zu holen. Vielleicht hätten wir dann wieder Diskussionen, in denen das beste Argument gilt, nicht der faulste Kompromiss.

Ebenso gut könnte eine Minderheitsregierung zur endgültigen Lähmung führen.

Viel mehr Lähmung als im Moment ist meines Erachtens kaum möglich. Schau dir zum Beispiel das Thema Investitionen an. Die bräuchten wir dringend im Bereich der Bildung, der Verkehrsinfrastruktur und der digitalen Infrastruktur. Angela Merkel ist aber nur ausgeglichener Haushalt wichtig. Unsere Generation wird irgendwann die ganze Infrastruktur erben. Wenn die im Eimer ist, bringt uns das ausgeglichene Konto auch nichts.

 

Die große Erneuerung der SPD, von der nach der Wahl alle gesprochen haben: Ist die in einer großen Koalition noch möglich?

Sie ist zumindest extrem erschwert. Wie sollen wir uns als Partei absetzen und wieder eigene Positionen finden, wenn wir uns weiter an die Parteien ketten, von der viele Wählerinnen und Wähler uns nicht mehr genug unterscheiden können?

 

„Es gab immerhin sechs Nein-Stimmen zu dem Vorschlag, Koalitionsgespräche mit der Union zu führen“

 

Was würden vier weitere Jahre in einer Koalition mit der Union also aus der SPD machen?

Das ist natürlich schwer zu sagen. Aber wir hatten innerhalb der vergangenen zwölf Jahre zweimal eine große Koalition und sind beide Male deutlich geschrumpft daraus hervor gegangen. Ich kenne keine plausible Analyse innerhalb der SPD, die aufzeigt, wie man es nun ganz anders machen könnte, damit nicht wieder der gleiche Effekt eintritt.

 

Du saßt heute in der Vorstandssitzung. Wie denken die Kollegen im SPD-Vorstand über die Situation?

Es ist schon eine sehr ernste Stimmung. Man merkt, dass alle an der Situation zu knabbern haben, egal, ob sie nun für oder gegen die große Koalition sind. Niemand ist sich letztlich sicher, ob es richtig ist, was wir tun. Was mich gefreut hat: Es gab immerhin sechs Nein-Stimmen zu dem Vorschlag, Koalitionsgespräche mit der Union zu führen. Es muss endlich aufhören, dass im SPD-Vorstand alle Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Jeder weiß doch, dass es in der SPD zum Thema große Koalition rumort – dann soll man das anhand unserer Abstimmungsergebnisse auch sehen.

Mehr über die Jusos: 

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