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Krieg im Jemen: Wir sprachen mit einer jeminitischen NGO-Helferin
Normale Telefongespräche gehen nicht. Yousra sagt, sobald Anrufe aus Europa länger als ein paar Minuten dauern, kappt die Regierung sie. Yousra, 30, lebt in Sanaa, der Hauptstadt des in Krieg und Chaos versunkenen Jemen. Yousra arbeitet dort unter anderem für die Vereinten Nationen und verschiedene NGOs. Das haben wir überprüft. Alle anderen Angaben lassen sich jedoch nur schwer gegenchecken, weil große Teile des Landes, vor allem der Norden, nahezu komplett abgeriegelt sind und es nur vereinzelt Journalisten hineinschaffen. Deshalb führen wir das Interview über einen relativ sicheren Internet-Telefon-Anbieter.
Die politische Lage im Jemen ist so komplex wie verfahren. Das Land wird seit 2015 von zwei Konfliktparteien kontrolliert. Die Huthi-Rebellen auf der einen Seite. Sie sollen Unterstützung von Iran erhalten. Das Königreich Saudi-Arabien und eine von ihm geführte Koalition stehen auf der anderen Seite und unterstützen die von den Huthis gestürzte Regierung.
Saudi-Arabien, das reichste Land der Region, bombardiert seit drei Jahren das ärmste Land der Region. Auch deutsche Waffensysteme spielen in dem Krieg eine Rolle. Wenngleich Deutschland vor ein paar Wochen alle Rüstungsexporte an das Königreich auf Eis gelegt hat (mit Ausnahme der bereits genehmigten): Allein im dritten Quartal 2017 lieferte die Bundesrepublik Rüstungsgüter und Waffensysteme im Wert von 148 Millionen Euro. 2016 genehmigte Deutschland noch Rüstungsexporte in Höhe von fast 530 Millionen Euro nach Riad.
Das Bombardement der Saudis führt dazu, dass Jemen mittlerweile eigentlich kein Staat mehr ist. Es gibt kein Bankensystem, keine Müllabfuhr, kein funktionierendes Wasser- und Abwassersystem. Das Personal in Schulen und Krankenhäusern bekommt für seine Arbeit kein Geld. Es gibt so gut wie keine Infrastruktur, Brücken und wichtige Straßen sind zerstört. Und als wäre das noch nicht schlimm genug für die 27 Millionen Jeminiten, blockiert Saudi-Arabien Häfen, über die unter anderem Lebensmittel und Medizin ins Land kommen sollen. Im Land grassieren Seuchen. Laut UN-Angaben starben bislang rund 15.000 Menschen, mehr als 20 Millionen Menschen benötigen Hilfe, sieben Millionen leben unter Bedingungen, die einer Hungersnot gleichen.
Wir sprachen mit Yousra über die Lage der Millionen von Flüchtlingen, den Grund, weswegen es so wenige Berichte über diese Katastrohe gibt, und darüber, was jetzt passieren muss.
jetzt: Was hat sich durch den Krieg verändert?
Yousra: Nichts ist so wie vor dem Krieg. Nichts. Die Leute sind fertig. Man sieht viele Menschen, die auf den Straßen mit sich selbst reden. Die Leute werden verrückt. Sie wissen, dass überall und jederzeit eine Bombe der Saudis explodieren kann. Huthis kontrollieren hier in Sanaa alles – die Leute sind sehr vorsichtig und wollen in nichts verwickelt werden. 2017 gab es eine schlimme Choleraepidemie, aber die ebbt langsam ab. Dafür breitet sich Diphterie stark aus, vor allem auf dem Land. Die Supermärkte sind zwar wieder voll mit Lebensmitteln, aber die sind mittlerweile sehr teuer. Alles muss importiert werden. Es gibt sehr viele Produkte aus Saudi-Arabien und Ägypten. Schon komisch: Wir Menschen können nicht raus aus dem Land, aber diese Produkte dürfen alle hinein.
Wie überleben die Menschen?
Ich kann es dir nicht sagen. Jeder schaut, wo er bleibt. Ich kenne einen Lehrer, der alles verkauft hat in seiner Wohnung. Seinen Fernseher, seinen Kühlschrank, alles eben, was er zu Geld machen konnte. Nur um seiner Familie etwas zu essen besorgen zu können. Angestellte der Regierung haben seit fast einem Jahr kein Gehalt mehr bekommen. Manchmal bekommen sie ein Gehalt alle paar Monate. Die Regierung lässt sie alleine. Und die Probleme in Krankenhäusern werden auch immer größer. Wir haben kein öffentliches Stromnetz mehr. Es gibt zwar diverse Projekte von NGOs, die Krankenhäuser mit Notstromaggregaten ausstatten. Aber deren Unterhalt ist sehr teuer, man braucht Treibstoff. Oft werden deshalb die Behandlungskosten verteuert, um das bezahlen zu können. Dann aber können sich die Menschen das Krankenhaus nicht mehr leisten.
Deine Arbeit bringt dich auch oft aufs Land. Was machst du da genau und wie ist die Lage dort?
Ich besuche häufig Dörfer und andere, kleinere Städte, aber die meiste Arbeit ist in Sanaa. Ich arbeite für NGOs und dokumentiere für sie, ob und wie gut ihre verschiedenen Hilfsprojekte funktionieren. Im Prinzip heißt das: Ich rede mit den Leuten und frage sie, ob dieses oder jenes Projekt etwas gebracht hat. Die Begegnungen machen mich oft sehr traurig. Es ist wirklich schrecklich, wie viele Menschen leiden. Sehr viele Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze.
Was heißt das?
Die meisten Leute im Jemen sind arm. Aber es geht immer noch weiter nach unten. Die Leute haben oft keine Türen und Dächer auf ihren Häusern. Du kommst zu Familien, in denen alle krank sind. Die Kinder haben keinerlei Schulbildung. Ich treffe beinahe jeden Tag Menschen, die sich in solchen Situationen befinden. Die Menschen erzählen mir ihr ganzes Leid, obwohl sie mich nicht mal kennen. Das nimmt mich sehr mit. Und am Schluss kommen noch ihre Nachbarn und erzählen mir auch ihre Geschichten.
Welche Geschichten sind das?
Am stärksten erinnere ich mich an die eines 11-jährigen Mädchens, das vor einem Jahr verheiratet wurde. Ihr Mann vergewaltigte sie regelmäßig. Und das war noch nicht mal das schlimmste: Ihr Vater hatte sie sogar schon vor dieser Ehe vergewaltigt. Sie lief von zu Hause weg, eine NGO fand sie auf der Straße und kümmerte sich um sie. Als ich ihre Geschichte dokumentieren wollte und sie bat, von ihrer Vergangenheit zu erzählen, brach sie zusammen. Sie wurde direkt vor mir bewusstlos, für eine halbe Stunde. Ich fühlte mich so schlecht, weil ich der Grund war, weswegen sie sich wieder erinnerte. Als sie wieder zu sich kam und sah, dass ich deshalb weinen musste, entschuldigte sie sich bei mir, dass ich wegen ihr traurig war. Ein paar Wochen später besuchte ich sie wieder und wir verbrachten einen ganzen Tag zusammen. Ich fuhr mit ihr ans Meer und kaufte ihr ein paar Dinge.
Gab es Zwangsehen auch schon vor dem Krieg?
Ja, leider. Frauen im Jemen verklagen ihre Familie nicht, denn das gilt hier als Schande. Die ganze Gesellschaft würde sich gegen sie richten. Das Mädchen ist jetzt sicher, aber ihr Vater suchte sie und will sie zurückbringen. Sie sagte mir, wenn sie zurück muss, bringe sie ihren Vater um. Ich wollte sie ablenken und fragte sie, was sie später mal werden möchte. Sie sagte: Wenn ich älter bin, will ich meinen Vater umbringen.
Berichte aus dem Jemen gibt es in Deutschland praktisch nicht. Kannst du dir erklären, woran das liegt?
Die Kriegsparteien wollen nicht, dass über den Krieg berichtet wird. Das ist der Hauptgrund. Als ich 2017 mit einem internationalen TV-Team gearbeitet habe, gab es extreme Probleme, sie hierher zu bringen. Recht viel mehr Journalisten aus dem Ausland gab es hier nicht im letzten Jahr, soweit ich weiß.
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Es gibt drei Millionen Flüchtlinge innerhalb des Landes. Wo leben diese Menschen?
Die UNO baute Lager für sie und kümmert sich, so gut sie kann.
Versuchen die Menschen ins Ausland zu fliehen?
Sehr viele Menschen versuchen, das Land zu verlassen. Aber sie schaffen es nicht. Saudi-Arabien kontrolliert die Grenzen und schickt sie alle wieder zurück. Es gibt nur zwei Flughäfen, die funktionieren. Die liegen alle im von Saudi-Arabien kontrollierten Gebiet. Und von dort geht es nur nach Jordanien und Ägypten. Nur die UNO-Flüge starten und landen in Sanaa.
Stimmt es, dass die Saudis internationale Lieferungen wie Medikamente und Nahrung immer noch blockieren?
Soweit ich weiß ja, aber das weiß ich nur vom Hören-Sagen und habe es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen.
Wie ist das Leben für dich?
Ich arbeitete 2013 schon kurz für die UNO. Danach hatte ich monatelang gar nichts, kein Einkommen, keine Ersparnisse. Ich musste ganz von vorne anfangen, in einem Kriegsgebiet. Das war sehr hart. Sogar für die sehr reichen Familien war es hart. Ein Freund von mir besaß Fabriken, die sind alle zerstört jetzt. Die müssen auch schauen, wie sie durchkommen. Ich lebe mit meiner Mama. Sie ist alles, was ich noch habe. Meine Mama ist meine Familie. Alles, was ich mache, ist, mich um sie zu kümmern.
Was muss passieren, damit die Situation im Jemen besser wird?
Das ist sehr schwer zu sagen. Selbst wenn Saudi-Arabien aufhört, Krieg zu führen, existieren viele Probleme weiter. Innenpolitische Probleme. Die sind nicht schnell zu lösen. Ich hatte viele Jobanagebote von außerhalb Jemens. Ich habe sie alle abgelehnt. Ich liebe mein Land und ich will es nicht verlassen. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. Ich hatte vor ein paar Wochen ein Gespräch mit einer sehr alten Frau, die eigentlich nichts besaß. Sie fragte mich, ob ich zum Mittagessen bleibe. Ich lehnte höflich ab, aber sie bestand darauf. Es gab ein Stück Brot mit Joghurt und Gurken.