Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ein Rap-Video hat einem Verein und der Berliner Polizei viele Feinde eingebracht

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Es war im September 2009, als Yousef Ayoub genug hatte und den Klingelknopf an der Polizeiwache in Berlin Wedding drückte. Er wollte reden. Über seine Heimat, den Soldiner Kiez, in dem man sich damals zwei Mal überlegte, ob man ihn als Adresse ihn seiner Bewerbung angeben sollte. Die Zustände dort machten den damals 25-Jährigen wütend, verzweifelt – aber er hatte eine Idee, mit der sie sich vielleicht bessern ließen.

Der Auslöser für seinen Besuch auf der Wache war ein Großeinsatz an der Soldiner Straße, Ecke Koloniestraße gewesen. Jemand hatte die Polizei gerufen, obwohl diesmal gar nichts vorgefallen war, falscher Alarm. Die Polizei rückte mit einer Hundertschaft an. Die Mannschaftswagen hielten mitten auf der Kreuzung. Als die Polizisten merkten, dass sie umsonst angerückt waren, so erzählt es Ayoub, hätten sie alle Menschen auf dem angrenzenden Spielplatz kontrolliert: Erwachsene, Jugendliche, Kinder. Wahllos, sagt er, Repression in Reinform. Als sie fertig waren, hob ein Jugendlicher ein kleines Baby aus dem Kinderwagen, streckte es einem der Polizisten in schusssicherer Weste entgegen und sagte: „Hier, den haben sie vergessen!“

Ein bisschen peinlich, aber was soll's?

Neun Jahre später stellt die Polizei Berlin ein Video auf Youtube, der Titel „KbNa – Füreinander da“. Es soll das Ergebnis der Zusammenarbeit im Nachbarschaftsnetzwerk KbNa zeigen, Ayoubs Idee, die mit seinem Besuch bei der Wache begann. Darin zu sehen: Der Spielplatz an der Soldiner Straße. Anwohner des Viertels, ihre zwei lächelnden Kinder, eines davon auf dem Arm eines Polizisten. Man sieht Jugendliche, die Polizisten zur Begrüßung in die Arme fallen. Menschen verschiedenen Alters, Kleidung und Hautfarbe, sie tanzen, spielen Fußball, lachen. Und ein Polizist, der zusammen mit Jugendlichen Sätze rappt wie „Ich arbeite für die Polizei, aber trotzdem kann ich auch dein Homie sein“.

Man kann das Sozialkitsch nennen, alles im Video scheint für die Kamera zu passieren. Gleichzeitig zeigt es eben genau das, was Ayoub damals vorschwebte: Begegnungen der unterschiedlichen Menschen im Viertel, auf Augenhöhe, in einem positiven Rahmen, im Video natürlich überzeichnet. Genau wie den Kitsch kann man auch die mehr als überdehnte Masche belächeln, Jugendliche und die nötige Street-Credibility ausgerechnet mit Raptexten erreichen zu wollen. Das Video hätte ein Lacher für die Netzgemeinde bleiben können, eines von vielen verunglückten Videos über ein Sozialprojekt. Ein bisschen peinlich, aber was soll's?

In der aufgeladenen deutschen Öffentlichkeit ist ein solches Video aber vor allem: eine Provokation. Polizeikritisch eingestellte Menschen trauten der heilen Welt im Video nicht. Wo bleibt da die Kritik an Polizeigewalt, Racial Profiling? Freundschaftliche Umarmungen sei man ja von Polizisten eher nicht gewöhnt. Der Clip also: Reine Bullen-PR, garniert mit ein paar Alibi-Migrantenjugendlichen, um das Image gerade zu rücken.

Viel größer aber war der Hass von rechts, der sich schon nach wenigen Stunden über den Machern des Videos entlud: Eine Polizei, die vermeintlich kriminellen Migranten, Araber-Clans und Messerstechern die Hände reicht, anstatt Härte zu zeigen, das sei doch die endgültige Kapitulation des Rechtsstaats. Unterwerfung, Schande, gute Nacht Deutschland, so die Kommentare. Das vermeintliche Zeichen gegen Hass führte zu: Hass. Als dann herauskam, dass der verantwortliche Produzent 2016 für den Rapper SadiQ ein Video zu dessen Islamismus verherrlichenden Track „Charlie Hebdo“ gedreht hatte, war endgültig alles zu spät. Medien von Vice bis Junge Freiheit griffen das Thema auf, jeder mit seiner eigenen Art von Kritik. Die Meinung zu „Füreinander da“ war also – und das ist für die aufgeladene Öffentlichkeit eher ungewöhnlich – einhellig: Keiner fand es gut.

„Wir sind davon ausgegangen, dass alle so denken wie wir: tolle Sache, schönes Projekt“

„Das war richtig zerstörend für uns, wir haben mit völlig anderen Reaktionen gerechnet“, sagt Eckhard Mantei. Er sitzt im Aufenthaltsraum der Wache, auf den Ledersofas um ihn die Polizisten aus dem Video, die Kaffeemaschine blubbert, Funksprüche scheppern aus den Geräten. Mantei ist 57 Jahre alt, Hauptkommissar in der Dienstgruppe 4 und wirkt wie direkt aus einer Folge von „Polizeiruf 110“ gefallen: Kugelrunder Kopf, freundliche Augen, kein Beamtendeutsch, sondern Brandenburger Schnauze, aber in nett. Auf seinem Arm sitzt im Video das lächelnde Kind. Der etwas jüngere rappende Polizist, laut Video-Beschreibung nennt er sich „Cop 36“, sitzt nicht in der Runde. „Den hat es besonders schwer getroffen, kein Wunder“, sagt Mantei, „wir sind davon ausgegangen, dass alle so denken wie wir: tolle Sache, schönes Projekt. Das war für uns Realität. Wir wussten gar nicht, was man darin für negative Dinge sehen kann.“ Synchron-Seufzen bei seinen Kollegen.

Wie sieht sie denn genau aus, ihre Realität? „Vor zehn Jahren gab es noch richtig heftige Angriffe auf Polizisten, auf Einsatzwagen, man hat uns mit Steinen beworfen oder die Reifen zerstochen. Jugendliche und Polizisten haben sich bekriegt.“ Die damals naheliegende Lösung war „Mannpower“, wie es Mantei nennt: Stärke zeigen, Präsenz, Machtdemonstration, Kontrollen. „Hat aber nichts gebracht, es wurde nur noch unangenehmer für alle Seiten. Die Polizisten waren fix und fertig und die Jugendlichen genervt, andauernd kontrolliert und zum Ziel von Repressionsmaßnahmen zu werden.“ sagt Mantei. „Und dann kommt Yousef Ayoub und sagt: Können wir uns nicht mal kennenlernen? Der stand einfach so vor der Wache.“

Ayoubs Idee: Ein Netzwerk aus allen für das Zusammenleben im Kiez relevanten Einrichtungen, seien es die Jugendzentren, Nachbarschaftscafés, Theater, Kirchen, Moschee, Krankenhäuser – und eben auch die Polizei. Für den Anfang schlug er vor, dass sich Polizisten und die Jugendlichen aus der Freizeiteinrichtung JFE, wo er als Sozialarbeiter tätig war, zum gemeinsamen Kicken treffen.

„Ich war da selbst sehr skeptisch anfangs“, erzählt Mantei. „Ich dachte: Die greifen uns doch ständig an, zerstören die Einsatzmittel, Polizisten werden verletzt. Ich hatte schon echt Herzklopfen, als ich zum ersten Mal in diesen Jugendclub reingelaufen bin.“ Zunächst aus Mangel an Alternativen habe man sich aber auf die Idee eingelassen – und wurde positiv überrascht. In den vergangenen neun Jahren ist die Polizei zu einem festen Bestandteil des Projekts mit dem etwas sperrigen Namen KbNa geworden, die Abkürzung steht für „kiezbezogener Nachbarschaftsaufbau“. Zumindest gilt das für diejenigen Polizisten, die dem präventiven Ansatz offen gegenüberstehen.

„Für viele Jugendliche sind wir jetzt nicht mehr die bösen Polizisten, sondern bekannte Gesichter mit Namen“

Dadurch sei die Lage im Soldiner Kiez mittlerweile wesentlich entspannter. „Den Hass, der uns da früher entgegengeschlagen ist, den haben wir ziemlich erfolgreich abgebaut, er ist kaum noch zu spüren. Aus einem einfachen Grund: Weil wir uns jetzt alle untereinander kennen. Für viele Jugendliche sind wir jetzt nicht mehr die bösen Polizisten, sondern bekannte Gesichter mit Namen. Manchmal sogar echte Ansprechpartner bei Problemen.“

Schön und gut. Aber lernen die Polizisten dabei auch etwas? Zum Beispiel über Erfahrungen mit Racial Profiling, der Auswahl vermeintlich Verdächtiger nach rassistischen Kriterien? „Klar, die Jugendlichen fragen oft: Warum werde ich gerade ich immer kontrolliert? Ist es, weil ich Ausländer bin? Wir diskutieren das aus, das ist keine Einbahnstraße.“ Mantei senkt seine Stimme. „Und dass es eben leider oft tatsächlich so ist, lässt sich ja nicht von der Hand weisen. Da gibt es durchaus ein Problem.“

Er wird unterbrochen, ein weiterer Polizist betritt den Raum und fragt, ob er „die zwei jungen Männer vor der Tür“ reinlassen soll. Mantei nickt, die beiden sind alte Bekannte, als Jugendliche waren sie regelmäßig beim Fußball dabei, stecken bereits in Studium und Ausbildung, Mantei nennt sie „die zweite Generation“. Es ist halb sechs Uhr abends, Zeit für Fußball. In drei Wagen geht es zu einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche in der Residenzstraße und dem Flüchtlingsheim gegenüber.

Dort angekommen, wartet bereits eine Traube an Kindern und Jugendlichen. Ein kleiner Junge, vielleicht acht Jahre alt, springt ins Auto, lacht zu seiner Erzieherin rüber und sagt: „Guck mal, ich fahr’ in den Knast!“ Mantei begrüßt unterdessen einen etwa 13-Jährigen. Sie gehen ein paar Schritte zur Seite, unterhalten sich kurz unter vier Augen. Später wird Mantei erzählen, dass er ihn schon länger begleitet, schweres Elternhaus, gerade auf Zwischenstation in der Einrichtung, weil ein Elternteil im Gefängnis sitzt.

Auf der Fahrt zur Turnhalle tauschen sich die Jugendlichen auf dem Rücksitz aus. Der Tonfall hat etwas von Smalltalk, allerdings geht es hier um prügelnde Väter, Hartz-IV-Stress und die Vor- und Nachteile von Verhaltenstherapie. Dass alle hier in einem mit Gittern versehenen Polizei-Mannschaftswagen sitzen, merkt man nur, weil die tiefergelegten Limousinen um einen plötzlich in Richtgeschwindigkeit fahren.

dsc 0112

Mantei, Kollegen, Jugendliche beim wöchentlichen Fußball

Foto: Quentin Lichtblau

An der Turnhalle wartet bereits Yousef Ayoub, heute 35, dicke Daunenjacke und Brillengläser, die kurzen Locken nach hinten gegelt. Während sich Mantei mit zwei anderen Polizisten um die Aufteilung der Teams kümmert, erzählt Ayoub in einem Nebenraum von seinem Projekt und dem Video. Man merkt, dass er in den vergangenen Wochen viele Interviews geben musste, er redet zunächst aus der Verteidigungshaltung eines Pressesprechers heraus, fährt sich fahrig durch den Dreitagebart. Er gibt zu, dass das, was er „schlechte Resonanz“ nennt, auch für ihn niederschmetternd gewesen sei. „Viele haben im Video einfach nur die Polizisten gesehen, die mit den Jugendlichen rappend im Kiez stehen, und dachten sich dann eben: Klar, billige Polizei-Promo, ganz toll. Oder die Rechten eben: Warum stehen die da mit den Migranten rum, anstatt deren Kriminalität zu bekämpfen? Das könnte man ja alles erklären, die meisten haben aber gar nicht erst gefragt.“ Vielleicht sei missverständlich gewesen, das Video über den Youtube-Kanal der Berliner Polizei hochzuladen, der Verein und seine Botschaft sei dadurch etwas in den Hintergrund geraten: „Dass die Polizei nur eine von mittlerweile 35 Einrichtungen ist, die bei KbNa mitmachen, das kapiert man wahrscheinlich nicht sofort“. 

Er erzählt vom Tag der offenen Moschee, für den die gegenüber liegende Kirche spontan ihre Stühle zur Verfügung gestellt hat. Oder vom vorweihnachtlichen Plätzchenbacken, mit denen die Jugendlichen Patienten im jüdischen Krankenhaus überraschen sollten: „Es geht hier um alle in der Nachbarschaft, nicht nur um ein bisschen gutes Gefühl bei der Polizei.“

Aber zurück zum Video: Der Produzent habe die KbNa unterstützen wollen, man habe allerdings nichts von dessen Video für SadiQ gewusst und sich als Verein von Ehrenamtlichen über sein Angebot gefreut, das Video ohne Honorar zu produzieren. „Ich glaube, sowohl der Regisseur als auch wir haben aus diesen Erfahrungen gelernt“, sagt Ayoub, „aber klar, für unsere Botschaft war das nicht sehr nützlich.“

Die Kritik, dass der Alltag im Soldiner Kiez im Video zu friedlich daherkommt, will der 35-Jährige aber nur teilweise gelten lassen: „Die Situation hat sich ja tatsächlich enorm verbessert in den vergangenen neun Jahren. Das kann ich besser beurteilen als jeder Kritiker, ich wohne schließlich dort.“

„Hier geht es ja nicht nur um Friede, Freude, Fußball.“

Und was ist mit der linken Seite, die dem Video Verharmlosung von Rassismus und Polizeigewalt vorwirft? „Hier geht es ja nicht nur um Friede, Freude, Fußball. Natürlich kracht es auch heute noch hier im Kiez. Aber wir versuchen dann, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen: Was war da los? Warum haben sich Polizisten oder die Jugendlichen so verhalten? Was wurde als Provokation empfunden?“ Manchmal reiche es dabei schon aus, dass sich Polizisten und Jugendliche schon einmal in einem anderen Kontext getroffen haben als bei einer Kontrolle. „Das heißt ja nicht, dass die beste Freunde sein müssen. Aber das Fremde ist eben weg. Heute gehen viele Jugendliche von sich aus zur Wache, um etwas zu klären“, sagt Ayoub. All diese Aspekte auch noch in den Song im Video zu packen, hätte den Rahmen gesprengt, findet er. Vielleicht hätte man vor dem Rap-Part zunächst ganz nüchtern das Projekt vorstellen sollen. Nebenan endet das Fußballturnier, Team drei hat gewonnen. Mantei verabschiedet sich von den Jugendlichen, bis nächste Woche.

dsc 0146

Eckhard Mantei in seinem Büro im Abschnitt 36

Foto: Quentin Lichtblau

Ein Tag später, Kaffee in der vierten Dienstgruppe. Manteis Büro, sympathisch unaufgeräumt, mehrere angebrochene Eistee-Flaschen. In der Ecke eine große Karte des Abschnitt 36, der von der Grenze zu Mitte bis tief in den Wedding reicht. Mantei zeigt auf eine Stelle, auf der die als schwarze Flecken markierten Gebäudestrukturen besonders dicht stehen: „Das ist der Soldiner Kiez, da ist es einfach eng.“ Mantei geht weiter zur Fotowand daneben: Ayoub und er mit Thomas de Maizière, ein anderes zeigt sie mit der aktuellen Polizeipräsidentin Berlins, Barbara Slowik. „Die Behördenleitung steht hinter dem Projekt, das ist sehr erbauend“, sagt Mantei.

Hier im Abschnitt sei der Zuspruch eher mäßig. Zwar engagieren sich in jeder Dienstgruppe einige Kollegeen bei KbNa, der größere Teil sei aber skeptisch. Inwiefern? Der sonst so redselige Mantei bleibt kurz still. Dann setzt er an: „Im Vergleich zum Hass im Netz nimmt sich das teilweise nicht viel. Die eigenen Kollegen sagen: Es ist sinnlose Arbeit, sich mit diesen Migranten oder den Jugendlichen hier zu befassen. Das sei hoffnungslos, verlorene Zeit, eh alle kriminell. Ihr seid doch keine richtigen Polizisten. Sowas kriegen wir hier täglich zu hören.“

Für ein paar Fotos geht es raus vor die Wache. Ein Jugendlicher läuft vorbei, fragt Mantei nach Feuer. Der verneint, er rauche nicht. „Sportlich“, sagt der Jugendliche und geht weiter. „Eins ist sicher“, sagt Mantei „kaum einer von denen, die jetzt meckern, hat mitbekommen, wie es hier vor zehn Jahren zuging.“ Er schon.

Mehr über die Polizei:

  • teilen
  • schließen