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„Genau der gehört zu unserer Zielgruppe“

Das ist das Logo von „Exit“.
Screenshot: Facebook; Bearbeitung: jetzt

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„Exit Deutschland“ ist das bekannteste Aussteigerprogramm für Rechtsradikale in der Bundesrepublik. Der Kriminalist Bernd Wagner hat es zusammen mit dem ehemaligen Neonazi Ingo Hasselbach gegründet. Seitdem begleitet die Organisation Menschen auf ihrem Weg aus dem Extremismus zurück in die demokratische Gesellschaft. Nach eigenen Angaben hat „Exit“ seit der Gründung im Jahr 2000 schon 750 Neonazis beim Ausstieg aus der Szene begleitet. Momentan betreut die Organisation nach eigenen Angaben 115 Aussteiger.

Um ihre Arbeit machen zu können, ist man auf Spenden angewiesen – und den guten Willen der Bundesregierung. Die hat zuletzt durch eine Maßnahme des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Projekt finanziert, 2018 waren das 225 000 Euro. Doch momentan sieht es so aus, als würde „Exit“ nur noch bis Ende des Jahres weitermachen können. Wir haben mit dem Gründer Bernd Wagner gesprochen.

jetzt: Herr Wagner, Sie haben vor fast 20 Jahren „Exit“ gegründet und in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Neonazis beim Ausstieg aus der Szene begleitet. Warum ist „Exit“ so wichtig?

Bernd Wagner: Mit Slogans wie „Demokratie fördern“ oder „Vielfalt fördern“ kann man Neonazis nicht ansprechen. Solche komplett durchideologisierten Menschen wollen keinen Dialog führen. Stattdessen identifizieren sie dich sofort als „Antifa“ und sehen dich als Feindbild. Bei solchen Menschen ist ein Format nötig, das sich an dieses Feld herantraut. Es braucht Menschen, die es auch aushalten, mit den ideologisch aufgeladenen Personen zu kommunizieren. Man benötigt dafür ein fundiertes Wissen um die inneren Strukturen dieser Gruppierungen und muss die verschiedenen Mythen und Narrative kennen.

Warum steht das Neonazi-Aussteigerprogramm „Exit“ jetzt auf der Kippe?

Das Ende kann aus mehreren Gründen nahen: Der Hauptgrund ist, dass das Bundesfamilienministerium eine Ausschreibung für das Programm „Demokratie leben!“ verabschiedet hat, in dem das Format „Deradikalisierung“ auf Bundesebene nicht mehr enthalten ist. Wir gelten aber genau als so ein Format auf Bundesebene. Jetzt können wir uns noch höchstens auf Länderebene bewerben, aber das würde nicht funktionieren.

Warum nicht?

Wir haben schon immer auf nationaler Ebene gearbeitet, weil sich auch der Radikalismus nicht an Ländergrenzen hält. Wenn man uns jetzt in Thüringen fördern würde, könnten wir nicht einmal mehr einen Aussteiger bei einem Umzug nach Bayern begleiten, weil der Dienstreiseantrag nicht bewilligt werden würde.

Hat man Ihnen denn schon abgesagt?

Obwohl wir ja jetzt nicht mehr ins Programm passen, haben wir wieder Interesse bekundet.  Aber es wird eisern geschwiegen. Sämtliche Anfragen von uns, von Anwälten, Beamten, Medienvertreten wurden bisher abgebügelt. Aber immerhin haben wir heute eine Nachricht vom Ministerium bekommen: Nachdem die Kritik so öffentlich wurde und sich auch andere betroffene Organisationen gewehrt haben, haben wir einen Termin für ein Gespräch im Ministerium in der nächsten Woche bekommen. Was da besprochen werden soll, wurde uns allerdings nicht mitgeteilt.  

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Foto: privat

Sie kritisieren vor allem die grundsätzliche Neuausrichtung der Förderung von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus. Warum?

Diese Neuausrichtung ist das Grundproblem, weil ihr ein Trennungsmodell zugrunde liegt, wie es auf staatlicher Ebene stattfindet: nämlich in Prävention und Intervention. Wobei da als Interventionsmethoden vor allem polizeiliche Mittel, Gefängnis und Geheimdienste verstanden werden. Dieses Programm wurde in den 1950er Jahren entworfen. Nur: Seitdem gab es eine Entwicklung und wir haben es heute nicht mehr mit Karnickel-Dieben zu tun. Die Deradikalisierung, die wir betreiben, wird in diesem Modell völlig ausgeklammert, obwohl sowohl von der Wissenschaft, als auch von der praktischen Seite bekannt ist, dass sie funktioniert.

Der offenbar rechtsextreme Täter, der am Mittwoch in Halle zwei Menschen erschossen hat und versuchte, in eine Synagoge einzudringen –  ist der so etwas wie Ihre „Zielgruppe“?

Ja, genau der gehört zu unserer Zielgruppe. Ich habe in meinem Leben schon vor mehr als 20 Jahren solche Täter kennenlernen können, erst in meinem Job im Staatsschutz und jetzt mit „Exit“. Täter wie er tauchen immer wieder auf. Allerdings sind die sehr schwer zu erreichen – übrigens auch für die Sicherheitsbehörden. Denn so jemand agiert sehr im Verborgenen und hat sich ideologisch vorpräpariert und bewegt sich relativ isoliert. Aber sie sind auf der ideologischen Ebene erreichbar. Also muss man in die Foren rein, die sie rezipieren. In diesen Foren kann man etwas erreichen, aber da muss man sich natürlich auf eine sehr kritische Form der Kommunikation einlassen.

„Exit“ gilt als das bekannteste Aussteigerprogramm in Deutschland. Auch in der rechten Szene?

In der Szene ist „Exit“ sehr bekannt. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass jeder Neonazi „Exit“ kennt, weil die Szene in den letzten Jahren sehr viel größer geworden ist und auch Generationen nachgewachsen sind. Aber die meisten Führungspersonen an rechten Rand kennen uns und kennen auch die Personen, die hinter der Organisation stehen, weil wir an die Öffentlichkeit gehen und keine Tarnnamen tragen. Wir bereiten der rechten Szene auch ein mulmiges Gefühl. Offenbar gilt dort der Spruch, dass sie den Verfassungsschutz lieber in Kauf nehmen als „Exit“.

Warum?

Weil sie befürchten, dem Druck, der von uns ausgeht, geistig nicht standhalten zu können. Sie fürchten unsere eher inhaltliche rhetorische Stärke.

Wie würde in der rechten Szene ein Ende von „Exit“ aufgenommen werden?

Das Ende von „Exit“ wird Freudenstürme bei den Neonazis auslösen. Wir sind ja nicht zum ersten Mal in unserer Existenz bedroht und haben das schon öfter erlebt. Eigentlich ist diese Situation nur peinlich. Und die Rechtsextremen sehen diese Situation als ein Zeichen der Schwäche der Demokratie. Und jede Schwäche des anderen ist deren Freude.

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