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Neuer Gesetzesentwurf des Paragraphen 219a: Gegner sind nicht zufrieden
„ÄrtzInnen müssen ihre Patientinnen offen informieren dürfen“
Der Paragraph 219a hat bisher verhindert, dass Ärzte öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Dagegen sind kürzlich Hunderte Frauen und Männer in mehreren Städten auf die Straße gegangen, sie forderten eine Abschaffung der Regelung. Jetzt haben die Gegner des Paragraphen einen vermeintlichen Erfolg erzielt: Die große Koalition handelte einen neuen Gesetzesentwurf aus, der einen Zusatz zum Paragraphen 219a vorsieht.
Ärzte sollen in Zukunft darüber informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und auf weitere Informationen von offiziellen Stellen wie der Bundesärztekammer verweisen dürfen. Außerdem wird es eine öffentlich zugängliche Liste mit Ärzten geben, die derartige Eingriffe anbieten.
Viele Gegner des Paragraphen halten diese Änderungen allerdings nicht für ausreichend. Johanna Warth zum Beispiel. Sie engagiert sich im „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, einem Bündnis aus Beratungsstellen, feministischen Gruppen, Verbänden und Gewerkschaften. Sie erklärt, warum sie auch den neuen Gesetzesentwurf für problematisch hält.
jetzt: Seid ihr als Bündnis mit der Regelung zufrieden?
Johanna Warth: Wir sind damit absolut nicht zufrieden. Wir haben uns eine Streichung erhofft, für die wir von Anfang an plädiert und gekämpft haben. Auch die meisten Parteien waren für eine Streichung des Paragraphen. Allerdings ist die SPD leider bereits bei den Koalitionsverhandlungen umgekippt und hat sich auf einen Kompromiss mit der CDU/CSU eingelassen.
„Wir empfinden das als extreme Bevormundung für Personen, die ungewollt schwanger sind“
Aber Ärzte dürfen jetzt informieren – das ist doch gut, oder nicht?
Der Paragraph ist absolut nicht zeitgemäß – er ist in der NS-Zeit entstanden. Außerdem leben wir in einer Informations- und Wissensgesellschaft, in der sich eigentlich jede Person zu allen möglichen Themen Informationen einholen kann, insbesondere zu allen medizinischen Eingriffen, die angeboten werden. Der einzige Eingriff der davon nach wie vor ausgenommen ist, ist der Schwangerschaftsabbruch. Wir empfinden das als extreme Bevormundung von Personen, die ungewollt schwanger sind.
Hinzu kommt, dass der neue Gesetzesentwurf keine angemessene Rechtssicherheit für ÄrztInnen bietet. ÄrtzInnen müssen ihre Patientinnen offen informieren dürfen und Informationen transparent auf ihren Websites darstellen können. Für mich ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, warum dafür eine Behörde zwischengeschaltet werden muss, die als weitere Kontrollinstanz entscheidet, welche Informationen Betroffene erhalten dürfen.
Der Paragraph schützt ja auch davor, dass man Werbung für Abtreibungen macht, also sich quasi an Schwangerschaftsabbrüchen bereichert.
Das ist eine komplette Scheinargumentation. Es gab in Deutschland nie Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Auch in anderen Ländern, in denen es keinen vergleichbaren Paragraphen gibt, wurden nie Flyer verteilt oder großflächige Plakatwerbung dafür betrieben. Der Paragraph soll verhindern, dass sich ÄrztInnen an Schwangerschaftsabbrüchen bereichern – aber das tun sie gar nicht. Sie verdienen damit vergleichsweise wenig Geld. Würde eine Patientin eine Schwangerschaft austragen, wäre das wesentlich lukrativer für die ÄrztInnen. Die, die Schwangerschaftsabbrüchen vornehmen, machen das aus der Überzeugung, dass sie Teil der Familienplanung und des Selbstbestimmungsrechts sind.
Johanna Warth kämpft für sexuelle Selbstbestimmung von Frauen.
Junge Frauen sollen die Pille nun zwei Jahre länger von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Auf eurer Seite liest man: „Verhütung sollte grundsätzlich kostenlos sein.“ Warum?
Das ist eine zentrale Bündnisforderung von uns. Wir möchten, dass alle Verhütungsmethoden kostenlos sind und damit auch Menschen in ihrer Wahl frei sind. Jede Frau sollte frei darüber entscheiden können, ob sie schwanger werden will oder nicht, sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Wir finden aber grundsätzlich, dass diese Regelung im Gesetzesentwurf nichts verloren hat, weil es mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch gar nichts zu tun hat. Es verschiebt vielmehr den Fokus, denn dadurch macht es den Anschein, dass vor allem junge Frauen betroffen sind. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass das nicht der Fall ist. Die meisten Schwangerschaftsabbrüche finden im Alter von 25 bis 30 Jahren und bei Frauen, die bereits Kinder haben, statt.
„Beratung muss es absolut geben – aber eben freiwillig“
Momentan sind Abtreibungen laut Paragraph 218 noch strafbar. Unter gewissen Voraussetzungen wie Fristen und Beratung werden die Ärzte dafür aber nicht rechtlich belangt. Wie steht ihr dazu?
Das sehen wir absolut kritisch. Der Paragraph ist eine massive Einschränkung für die sexuelle Selbstbestimmung und erhält ein Tabu aufrecht. Wir sehen das als Diskriminierung und Kriminalisierung von Frauen, denn es sind Frauen, die die „Schuld“ an einem Schwangerschaftsabbruch vermeintlich alleine tragen.
Aber machen Pflichtberatung und Fristen nicht auch Sinn? Beratung heißt ja nicht automatisch „überreden wollen“.
Beratung muss es absolut geben – aber eben freiwillig. Wir sind nicht der Auffassung, dass jede schwangere Person eine Beratungsstelle aufsuchen muss. Die im Strafgesetz festgelegte Frist von drei Tagen, die nach jeder Beratung eingehalten werden muss, bevor man einen Schwangerschaftsabbruch erhält, halten wir für ebenso nicht angebracht und bevormundend. Viele Betroffene empfinden das als große Belastung. Wer Bedenkzeit braucht, kann sich diese ja nehmen.
Ab welchem Punkt wird die sexuelle Selbstbestimmung der Frau weniger wichtig als das Leben des Kindes?
Für mich persönlich geht es immer um die Person, die sich gerade in dieser Situation befindet – einen genauen Zeitpunkt kann man da nicht festlegen. Es geht um die körperliche Autonomie der betroffenen Frau. In deren Körper passiert etwas und sie muss die gesamte Zeit ihres Lebens die komplette Selbstbestimmung über ihren Körper haben. Eigentlich dürfte da niemand von außen etwas zu beurteilen haben.
Wie steht ihr zu Frauen, die finden, dass Schwangerschaftsabrüche nur unter strengen Umständen möglich sein sollten? Entzieht ihnen das die Glaubwürdigkeit als Feministinnen?
Ich als Feministin bin nicht der Meinung, dass es Fristen oder Pflichtberatung geben sollte. Unsere fundamentale Forderung ist aber, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden – das wäre der größte Schritt. Viele haben dazu einen moderateren Ansatz und finden Beratung und Einhaltung der Fristen wichtig und das ist völlig in Ordnung. Natürlich kann man sich dafür aussprechen und trotzdem Feministin sein.