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"Die katalanische Regierung vertritt uns nicht mehr!"

Foto: privat, Illustration: Daniela Rudolf

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Seit einer Woche halten die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens Europa in Atem. Die Front zwischen den Separatisten und denjenigen, die Katalonien in Spanien behalten wollen, scheint komplett verhärtet. Sie verläuft einmal quer durch das Land, durch Familien und Freundeskreise. Was passiert, wenn Katalonien seine Unabhängigkeit erklärt, obwohl das der spanischen Verfassung nach illegal ist? Marschiert dann spanisches Militär in Katalonien ein, um die territoriale Integrität des Landes zu sichern? Welche Konsequenzen hätte das alles für die Stabilität Europas? 

Wir haben junge Katalanen, die gegen eine Abspaltung sind, nach ihren Sorgen gefragt. Und nach Lösungen für diese Krise mitten in Europa.  

„Ich glaube, wir Katalanen würden sehr viel mehr verlieren, als gewinnen“

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Foto: privat, Illustration: Daniela Rudolf

Carla Sonego, 20, Studentin der Theaterwissenschaft

„Das Problem vor einer Woche war, dass es mehr darum ging, überhaupt wählen zu dürfen. Weil die spanische Regierung das von Anfang unterbinden wollte, protestierten die Leute, und zwar zu Recht. Was ich sagen will: Da geht es meiner Meinung nach nicht vordergründig um die Unabhängigkeit, sondern eben um das demokratische Recht, zu wählen. Egal, ob du für oder gegen die Unabhängigkeit bist.

Ich jedenfalls bin klar gegen die Abspaltung von Spanien, weil ich mich sowohl katalanisch als auch spanisch fühle. Ich liebe mein Land und ich habe Angst davor, was passieren könnte, wenn sich Katalonien tatsächlich für unabhängig erklärt. Wären wir dann noch Teil der Europäischen Union? Eher nicht. Wir bekämen große Probleme mit den Banken, weil wir den Euro nicht mehr hätten. Vielleicht würden wir auch nicht mehr Spanisch, sondern nur noch Katalanisch reden –  das ist nicht besonders international und modern gedacht. Ich glaube, wir Katalanen würden sehr viel mehr verlieren, als gewinnen.

Aber es muss sich trotzdem etwas verändern. Wir sind mit der spanischen Regierung nicht einverstanden, wir zahlen mehr Steuern als irgendeine andere Region in Spanien. Das wollen wir nicht, das ist nicht fair.

Wir brauchen dringend eine andere spanische Regierung, die vor allem daran etwas ändert.

Klar kommen zur Steuerpolitik noch die Unterschiede in Sprache und Kultur dazu. Die Hälfte meiner Freunde sind Spanier, die anderen Katalanen. Manche sind für, manche gegen die Unabhängigkeit. Wir diskutieren da viel drüber, aber wir lieben und respektieren uns. Was da letztes Wochenende passiert ist, wie die spanische Polizei gegen die Wähler vorgegangen ist, das tolerieren wir nicht. Diese Gewalt ist nicht akzeptabel. Da macht es überhaupt keinen Unterschied, ob man für oder gegen die Unabhängigkeit ist.“ 

„In Katalonien hat sich die Stimmung in den letzten Jahren umgedreht: Alles „spanische“ gilt als Bedrohung“

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Foto: privat, Illustration: Daniela Rudolf

José Manuel Sarrion, 33, Ingenieur, lebt seit sieben Jahren in Berlin, geboren in Barcelona

„Im Moment könnte man den Eindruck bekommen, dass die meisten Katalanen ihre Unabhängigkeit wollen. Das stimmt nicht. Zwei Millionen Menschen haben zwar am vergangenen Sonntag für die Abspaltung gestimmt – aber selbst wenn die Abstimmung legal und repräsentativ gewesen wäre: Es leben siebeneinhalb Millionen Menschen in Katalonien. Es gibt eine schweigende Mehrheit, die Teil von Spanien bleiben will. Ich unterstütze diese Mehrheit.

Natürlich ist mir meine Identität als Katalane wichtig. Ich verstehe auch, dass die Leute sich ihrer regionalen Tradition und Sprache näher fühlen als der spanischen. Aber in Katalonien hat sich die Stimmung in den letzten Jahren umgedreht: Alles „spanische“ gilt als Bedrohung, zumindest denen, die für die Abspaltung sind. Als ich ein Kind war, wollten meine Eltern, dass ich meine Bildung auf Spanisch erhalte, damit ich später mehr Möglichkeiten habe. Dafür mussten sie mich aber auf eine Privatschule schicken, weil öffentliche Schulen in Katalonien nur auf Katalanisch unterrichten. In Katalonien gilt man schon als reaktionär, wenn man sagt „Ich bin Katalane, aber auch Spanier“. Das ergibt für mich keinen Sinn. Es macht mich traurig, dass die katalanische Gesellschaft so gespalten ist. In meiner Familie führt es dazu, dass wir politische Themen vermeiden.

Seit der Wirtschaftskrise von 2009 haben wir in Spanien eine Menge durchgemacht. Viele haben ihre Jobs verloren, viele junge Leute haben erst gar nicht in den Arbeitsmarkt gefunden. Aber die Krise überwinden wir nur als stabiles Land, als gemeinsam agierender internationaler Player. Wir wollen nicht, dass große Banken und Unternehmen in andere Regionen ziehen, wie es diese Woche schon passiert ist.

Zum Glück haben die Befürworter eines vereinten Spaniens keine Angst mehr, sich zu äußern. Morgen gibt es mehrere Pro-Spanien-Demos in Katalonien. Dann wird die Mehrheit endlich sichtbar. Die katalanische Regierung dagegen hat sich delegitimiert, als sie ein illegales Referendum durchgeführt hat. Sie vertritt uns Katalanen nicht mehr. Ich denke deshalb, dass es am besten wäre, wenn Katalonien bald ein neues Parlament wählt.“

 

„Ich glaube, dass die Bürger, die für die Unabhängigkeit protestieren, nicht ausreichend über die Konsequenzen nachdenken“

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Foto: privat, Illustration: Daniela Rudolf

Inés Sauret, 23

 

„Ich bin gegen die Unabhängigkeit, weil ich mir sicher bin, dass es der Region mit Spanien besser geht als ohne. Ich wurde in Barcelona geboren, habe hier gelebt, bis ich 14 war, und wohne heute südlich der Stadt. Natürlich fühle ich mich katalanisch, ich liebe die Menschen hier, die Sprache und die Kultur. Genauso fühle ich mich aber spanisch, reise gerne durch das Land und besuche meine Verwandten dort. Wenn Katalonien sich abspaltet, würde das vielleicht nicht mehr so ohne Weiteres gehen.

 

Dass die Situation im Moment so ungewiss ist, macht mir Sorgen. Mein Vater arbeitet oft im Ausland, Deutschland, Italien, er hat viele Kunden dort. Vielleicht müsste er sehr hohe Steuern bezahlen, meine Familie könnte sich das Leben hier dann nicht mehr leisten. Vor ein paar Tagen saßen wir zusammen und haben über die Lage gesprochen. Meine Eltern meinten, dass sie im Falle einer Abspaltung womöglich nach Madrid ziehen würden. Ich arbeite aber in Katalonien und kann hier nicht einfach weg. Das würde also bedeuten, dass meine Eltern gehen und mein Bruder und ich bleiben. Das macht mir Angst.

 

Ich glaube, dass die Bürger, die für die Unabhängigkeit protestieren, nicht ausreichend über die Konsequenzen nachdenken. Niemand weiß, wie es weitergehen würde. Ob wir noch in der EU wären, ob uns andere Staaten unterstützen würden. Ich bin natürlich nicht einverstanden mit der Gewalt, mit der die spanische Polizei vorgegangen ist. Aber man muss auch sagen: Das Unabhängigkeitsreferendum war illegal – darauf muss ein Staat irgendwie reagieren.

 

Vielleicht wird Katalonien irgendwann für den Schritt in die Unabhängigkeit bereit sein, doch das dauert. Jetzt wäre dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Den Menschen und der Wirtschaft hier geht es heute besser als noch vor zwei Jahren. Wenn wir jetzt unabhängig werden würden, fürchte ich, dass die Katalanen viel leiden müssten.“

 

„Ich selbst fühle mich als Spanier, Katalane, genauso wie als Deutscher und als Europäer“

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Foto: privat, Illustration: Daniela Rudolf

Alberto, 26, ist in Barcelona aufgewachsen und lebt dort. Er arbeitet bei VW.  Seine Mutter ist Spanierin, sein Vater Deutscher

 

„Ich bin zwar für ein Referendum, aber gegen die Abspaltung. Vor allem fürchte ich mich vor den wirtschaftlichen Konsequenzen, die entstehen würden, wenn Katalonien nicht mehr zur EU gehört. Denn falls die katalanische Regierung sich für eine Abspaltung entscheidet, befürchte ich, dass viele hier ansässige Unternehmen ihren Sitz ins Ausland verlagern.

 

Ich habe aber schon Angst, dass die Investitionen in die Region Katalonien immer weniger werden. Ich bin mir sicher, dass viele internationale Firmen hier für den Tag danach einen Plan B haben. Wenn all diese Unternehmen ihre Steuern woanders zahlen, bedeutet das für Katalonien vor allem massive finanzielle Einbußen. Ich habe auch schon von Kunden gehört, die ihr Geld sicherheitshalber von den katalonischen Bankkonten geholt haben.

 

Ich selbst fühle mich als Spanier, Katalane, genauso wie als Deutscher und als Europäer. Für mich ist die Nationalität nicht so bedeutend. Es gibt hier allerdings auch Leute, die eine katalanische Flagge sehen und sofort anfangen zu singen. Was Kataloniens Zukunft angeht, bin ich auf jeden Fall ängstlich. Ich wünsche mir, dass die beiden Parteien jetzt endlich mal anfangen, miteinander zu sprechen. Ich sehe das im Moment zwar noch nicht kommen, hoffe es aber sehr.

 

Die Abstimmung hat die katalanische Gesellschaft auf jeden Fall gespalten. Manche meiner Freunde wollen nicht mit mir über das Thema reden, denn sie haben Angst, dass das Gespräch in einem Streit enden könnte. Grundsätzlich ist die Mehrheit in meinem Freundeskreis gegen die Unabhängigkeit. Ein Referendum wünschen sie sich aber trotzdem.

 

Meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, wenn die spanische Regierung das Referendum von Anfang an zugelassen hätte. Zuvor hätten sich allerdings alle Parteien an einen Tisch setzen und Kriterien für eine gültige Abstimmung vereinbaren müssen. Da hätten sie auch die Konsequenzen festlegen und offen kommunizieren müssen. Ich bin überzeugt, dass dann das Nein-Lager gewonnen hätte.

 

Die Gewalt seitens der spanischen Regierung war wenig clever, denn am Ende hat die Wahl trotzdem stattgefunden und die Bilder der prügelnden Polizisten sind durch die internationalen Medien gegangen. Der katalanischen Regionalregierung hat das alles sicher in die Karten gespielt, denn so haben sie noch mehr Zuwachs für ihre Unabhängigkeitsforderungen bekommen.“

 

 

„Ausgerechnet mein bester Freund ist leidenschaftlicher Separatist und engagiert sich für die Unabhängigkeit Kataloniens“

 

Adriana, 23, Politikwissenschaftlerin und Jura-Studentin aus Barcelona

 

„Ich fühle mich als Katalanin und Spanierin und halte das nicht für einen Widerspruch. Meine Eltern wurden in Barcelona geboren, meine Großeltern stammen aus Andalusien und Kastilien-La Mancha. Wenn ich bei meiner Oma in Sevilla Urlaub mache, fühle ich mich genauso zuhause wie hier. Die Separatisten wollen mir diesen Teil von mir wegnehmen.

 

Ich bin Politikwissenschaftlerin und studiere im Abendstudium Jura, eben weil mir Rechtsstaatlichkeit wichtig ist. Tagsüber arbeite ich in einer Firma, die öffentliche Institutionen berät - mein Foto will ich deshalb hier zu diesem Thema lieber nicht veröffentlichen. Privat stehe ich aber zu meiner Meinung und engagiere mich bei der „Ciudadanos“-Jungpartei, die 2006 ursprünglich nur in Katalonien antrat, um eine Alternative zu Nationalismus und Separatismus zu bieten. Ein Uni-Dozent hat mich einmal in der Vorlesung wegen meiner Einstellung kritisiert, die „Ciudadanos“ “widerten” ihn an; auch auf Instagram oder Twitter werde ich beschimpft.

 

Ausgerechnet mein bester Freund ist leidenschaftlicher Separatist und engagiert sich für die Unabhängigkeit Kataloniens. Am Tag des Referendums saß ich den ganzen Tag vor dem Fernsehen, während er draußen unterwegs war. Er schrieb mir per Whatsapp: “Ihr verprügelt uns”, und ich antwortete: “Ihr brecht das Gesetz.”

 

Morgen gehe ich zu einer Demonstration zugunsten von Kataloniens Verbleib in Spanien. Die Separatisten haben eine Gegendemo angekündigt. Wer soll uns dann beschützen? Die Mossos (katalanische Regionalpolizisten, Anm. d. Red.), die sich nicht einmal getraut haben, sich den Separatisten beim illegalen Referendum entgegenzustellen und ein paar Urnen einzusammeln? Ich bin froh, dass wir auch die spanische Nationalpolizei haben. Sobald es eine Notlage gibt, wie einen Großbrand oder eine Überschwemmung, kommen uns Rettungskräfte aus ganz Spanien zu Hilfe. Gemeinsam sind wir viel stärker – was sich übrigens auch an der Fußballnationalmannschaft zeigt, deren Siege hier genauso enthusiastisch gefeiert werden wie anderswo im Land.

 

Ich sehe uns auch Europa gegenüber in der Pflicht. Wenn Katalonien ein Auseinanderdriften Spaniens provoziert, gefährdet es die ganze Europäische Union – in Zeiten, in denen wir mehr denn je zusammenrücken sollten.“ 

 

 

* Protokolle von Patrick Wehner, Peter Weissenburger, Josef Wirnshofer, Annalena Sippl und Katarina Lukač. 

 

Hier kommen Menschen zu Wort, die die Unabhängigkeit wollen:

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