Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Rassismus wird totgeschwiegen“

Asma Aiad sagt: Wir müssen eingreifen, wenn wir Rassismus sehen.
Foto: Privat

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

„Du Hure, geh zurück in dein Land“, „Wie redest du mit mir, du freches Tier“, „Verschwinde, verschwinde, du Scheiße!“ – so beschimpft eine Frau eine junge Muslima mitten in Wien. Die 25-Jährige ist gerade auf dem Weg ins Fitnessstudio, als sie an einer Straßenbahnhaltestelle unvermittelt massiv angegangen wird. Sie filmt den Vorfall und die Frau, die sie über anderthalb Minuten wüst rassistisch beschimpft und anspuckt. Dann meldet sie sich bei einer Freundin, der Wiener Fotografin Asma Aiad. Die beiden entscheiden sich, das Video auf Facebook und Instagram zu teilen, es geht viral. Sogar Österreichs Kanzler Sebastian Kurz schaltet sich ein und verurteilt die Attacke auf Twitter. Wir haben mit Asma gesprochen.

jetzt: Wie ging es dir, als deine Freundin dir das Video geschickt hat?

Asma Aiad: Ich musste weinen, war geschockt. Das hat mich sehr mitgenommen. Ich habe sie sofort angerufen, um zu verstehen, was genau passiert ist. Meine Freundin konnte selbst nicht glauben, dass sie den Mut hatte, diese Situation zu filmen. Aber sie wollte einen Beweis für das haben, was passiert ist. Erst wollten wir das Video nicht veröffentlichen.

Wieso habt ihr es dann doch online gestellt?

Um zu zeigen: Rassismus ist etwas, das tagtäglich passiert. Das ist sehr schlimm und verletzt die Betroffenen sehr. Rassistische Übergriffe sind grauenvoll. Das wollten wir thematisieren. Durch das Video hat man das Gefühl, man ist wirklich dabei, man könnte selbst die Person sein, die beschimpft und angespuckt wird. Das berührt die Menschen.

Hat dich der Vorfall überrascht?

Der Vorfall in seiner Brutalität hat mich schockiert. Aber leider bin ich nicht überrascht, weil ich weiß, wie häufig so etwas passiert. Das ist leider keine Ausnahme. Viele Menschen haben mir geschrieben, dass ihnen so etwas auch schon passiert ist, und dass sie sich mit meiner Freundin solidarisieren.

Auf das Video gibt es auch andere Reaktionen: Menschen, die schreiben, das sei ein Fake, die glauben, die Täterin sei psychisch krank und die sagen, man könne ihr das nicht vorwerfen.

Das ist so schlimm! Was soll denn noch alles passieren, damit Menschen begreifen: Rassismus ist ein Problem. Das ist wahnsinnig verletzend für alle, die davon betroffen sind. Und dabei geht es nicht nur um einzelne Vorfälle. Rassismus ist ein strukturelles Problem. Jetzt diskutieren viele Menschen darüber, ob das Video echt ist oder nicht, und nicht über den Rassismus in unserer Gesellschaft. Sollen wir etwa Entschuldigungen für die Täterin suchen? Von ihr geht die Gefahr aus, nicht von meiner Freundin.

„Täglich finden Übergriffe statt“

Hat deine Freundin Hilfe von Umstehenden bekommen?

Ja, das hat sie mir erzählt. Ein Mann hat versucht dazwischen zu gehen, auch er wurde beschimpft. Danach sind sehr viele Menschen zu meiner Freundin gekommen, um sie zu trösten, sind extra nicht in die nächste Straßenbahn eingestiegen, um noch mit ihr zu sprechen. Das ist sehr schön. Und das ist das Wichtigste: dass wir solidarisch miteinander sind. Oft ist es nämlich so, dass niemand etwas sagt, dass Menschen sich umdrehen und so tun, als ob sie nichts gesehen hätten. Ich fordere Zivilcourage.  

Du hast auch eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um Geld für Projekte und Aktionen gegen Rassismus zu sammeln.

Die Idee kam, weil mich sehr viele Menschen gefragt haben, was sie denn tun könnten. Wir müssen schauen: Wie können wir uns und einander beschützen? Antimuslimische Anfeindungen sind in der letzten Zeit massiv angestiegen, täglich finden Übergriffe statt. Darüber sollen sich die Betroffenen austauschen können, bei Seminaren, Workshops und anderen Projekten. Es ist wichtig, jetzt zu handeln. Die Zivilgesellschaft muss Druck machen. Wir wollen die Trauer in etwas Positives und Produktives umwandeln.

Hoffst du, dadurch auch langfristig etwas bewirken zu können, etwas, das mehr ist als der kurzfristige Schock über das Video?

Ja. Jetzt sind viele Menschen schockiert, aber Rassismus hat noch viele andere Gesichter. Muslime und Muslima spüren ihn oft bei der Jobsuche, bei der Wohnungssuche, in der Schule. Sie werden beschimpft, weil sie ein Kopftuch tragen. Das passiert jeden Tag, und davon gibt es keine Videos. Das wird totgeschwiegen. Und das muss sich ändern.

  • teilen
  • schließen