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„Von uns aus können wir den Heimatbegriff den Rechten überlassen“

Hengameh Yaghoobifarah und Fatma Aydemir, Herausgeber*innen von „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (Ullstein Verlag)
Foto: Valerie-Siba Rousparast

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Die Liste der Autoren und Autorinnen liest sich wie ein who is who des jungen Literatur- und Debattenbetriebs: Max Czollek, Margarete Stokowski, Sascha Marianna Salzmann, Reyhan Şahin und zehn weitere schreiben in „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (Ullstein Verlag) über ihre Beziehung zu Deutschland, zur Mehrheitsgesellschaft und zum von Horst Seehofer forcierten Heimatbegriff.  Der Bundesinnenminister hatte mit seinen Aussagen über Migration und den Islam Anfang 2018 für Irritation gesorgt und damit den Anstoß für das Buch geliefert. Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah, Herausgeber*innen des Buches, können mit einem derartigen Verständnis von Heimat nicht viel anfangen. Wir haben sie am Morgen nach einer ausverkauften Lesung in Berlin gesprochen.

jetzt: Fatma, Hengameh, euer Buch ist nach drei Wochen bereits in der vierten Auflage, was unter anderem auch damit zu tun hat, dass die erste Auflage nur sehr klein war. Hat euer Verlag nicht mit einem derartigen Erfolg gerechnet?

Fatma: Es gab vorher wohl Bedenken, dass sich eine solche Anthologie nicht gut verkauft, Menschen könnten abgeschreckt von einem Buch mit 14 Namen drauf sein, hieß es. Deswegen war man da vorsichtig. Dabei sind gerade bei so einem Thema die verschiedenen Perspektiven wichtig!

Habt ihr das Gefühl, dass die Leute Bücher von Migrant*innen oder Queers als vorübergehenden Trend wahrnehmen? Macht man sich da Sorgen, dass die Aufmerksamkeit für eure Themen bald wieder abnehmen könnte?

Hengameh:  Es ist natürlich schon so, dass marginalisierte Stimmen gerade lauter sind als vor zehn Jahren. Dass immer mehr Autor*innen nicht weiß sind oder aus einem queeren Kontext kommen. Aber wenn man so ein bisschen rauszoomt und sich den Buchmarkt an sich anschaut, sind wir ja immer noch eine kleine Minderheit. 

Fatma: Sascha Salzmann, die auch einen Text zu unserem Buch beigetragen hat, wurde schön öfter vorgeworfen, dass sie mit ihrem ersten Roman, in dem es um trans* Personen geht, auf so einer Art trendy Welle gesurft ist. Und das finde ich ziemlich dreist: wenn die Lebensrealität bestimmter Menschen zum „Trend“ erklärt wird. Olga Grjasnowa schreibt in unserem Buch auch, dass sie mit dem Begriff „Migrantenliteratur“ ein Problem hat. Er impliziert, dass alles, worüber sie schreibt, nur im Kontext ihres Migrantinnen-Daseins zu sehen ist. Dabei schreibt sie über ganz universelle Themen wie Leben, Liebe, Tod. Ich hoffe, dass die vielen Bücher gerade ein Tor aufstoßen, das dann auch offen bleibt.

„Heimat ist etwas ausschließendes, etwas völkisches“

Anstoß für euer Buch war die versuchte Wiederbelebung des Begriffs „Heimat“ im Jahr 2018, vor allem durch Horst Seehofer. Selbst Leute wie der Grünen-Chef Robert Habeck meinten damals, man dürfe den Begriff nicht Rechten überlassen, müsse ihn mit neuem, weniger nationaltümelndem Inhalt füllen. Wie steht ihr zu dem Wort „Heimat“? 

Hengameh: Wenn man den Heimatbegriff eines Horst Seehofer ablehnt, ist es glaube ich nicht besonders konstruktiv, sich noch großartig um eine bessere Umdeutung zu bemühen. „Heimat“ ist etwas ausschließendes, etwas völkisches. Von uns aus können wir den Heimatbegriff gerne den Rechten überlassen. 

Fatma: Ich finde es auch eigenartig, diesen Begriff neu besetzen zu wollen. Erstens ist es schlichtweg zu spät: Diese Umdeutung hätte schon stattfinden müssen, bevor uns Seehofer das Heimatministerium beschert hat. Das ging ja einher mit Aussagen wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und „Migration ist die Mutter aller Probleme“ – die Ausrichtung war also eindeutig. Zweitens gibt es einfach so viele andere Wörter, die völlig frei von einer rechten oder nationalsozialistischen Vergangenheit sind. Warum muss es unbedingt dieses vorbelastete Wort sein? Ich verstehe natürlich, dass die Politik da angesichts einer auseinanderdriftenden Gesellschaft ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen will. Aber ich glaube, dass sich diese Zusammengehörigkeit produktiver und auch einfacher herstellen ließe, wenn man dafür nicht diesen alten Begriff aus dem Keller holt.

„Wenn jemand zu mir sagt: Geh zurück in deine Heimat – dann ist das ganz klar rassistisch“

Wenn nun jemand zum Beispiel seinen Kiez als „Heimat“ bezeichnet und den Begriff damit eher für einen Ort des Zusammenhalts und der Gemeinschaft, über Klassen und Hintergründe hinweg, verwendet – ist das für euch dann auch falsch?

Hengameh: Ich finde, „Heimat“ und „Kiez“ sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Wenn jemand zu mir sagt: Geh zurück in deine Heimat – dann ist das ganz klar rassistisch, er meint damit nicht meinen Geburtsort, denn das wäre ja Deutschland. Kaum jemand sagt aber „Verpiss dich in deinen Kiez!“, und selbst wenn, meint er das wohl kaum rassistisch.

Fatma: Ich finde aber schon, dass sich diese Kiez-Analogie nicht ganz von der Hand weisen lässt. Mithu Sanyal schreibt in unserem Buch darüber, dass die Linke in den Siebzigern mit dieser Art von Kiez-Heimatbegriff versucht hat, ein neues Verständnis des Wortes hinzubekommen. Aber so wirklich geklappt hat das eben auch nicht.

Aber von mir aus kann jeder privat den Begriff Heimat benutzen – das ist ja nicht das Problem. Nur im politischen Kontext eben lieber nicht. Es bringt einfach nichts, in einer politischen Talkshow über irgendein verlorenes Heimatgefühl zu sprechen. Der dabei mitschwingende Rassismus ist ja eigentlich wesentlich greifbarer, kommt aber viel seltener auf die Tagesordnung. Und wenn doch, dann wird er immer den „Sorgen und Ängsten der Bürger“ gegenübergestellt, womit aber nie meine Sorgen oder die meiner Familie gemeint sind.

Stört es euch, dass in deutschen Talkshows zu Themen wie Feminismus oder in der Integrations-Debatte seit 20 Jahren die selben Fragen besprochen werden? Dass zum Beispiel die Realität, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, immer noch als Ja-oder-Nein-Debatte geführt wird?

Hengameh: Ich weiß nicht, ob das an der Einstellung der Redaktionen liegt, die tatsächlich noch nicht weiter sind, oder ob sie ihr Publikum einfach für ungebildet halten. Wenn ich zu solchen Themen interviewt werde, habe ich schon oft das Gefühl, wirklich noch mal ganz von vorne anfangen zu müssen. Wenn ich wiederum Leute für das Missy-Magazine (feministisches Magazin über Pop und Politik Anm. d. Red.) interviewe, dann sind die Interviewten auch oft dankbar, dass ich eben nicht diese Fragen stelle. Wir müssen aber natürlich auch aufpassen, dass wir nicht zu selbstreferentiell werden und nicht nur in so einer Art Insider-Sprache reden. Aber das heißt nicht, dass jede Diskussion erstmal bei Fragen wie „Warum brauchen wir Feminismus?“ oder „Ist Deutschland ein Einwanderungsland?“ anfangen muss. 

In letzter Zeit nähern sich Talkshows ja auch immer wieder rechter Rhetorik an, wenn zum Beispiel „Hart aber fair“ fragt: „Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?“

Was meint ihr: Passiert sowas aus Versehen? Oder ist das bewusst?

Hengameh: Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Leute nicht bewusst sind, was sie da tun. Die Wortwahl ist natürlich eindeutig rechts, die Gäste oft auch. Aber in dieser Hinsicht scheint es keine großen Hemmungen zu geben. Es geht wohl eher darum, möglichst kontrovers zu wirken, Dinge anzusprechen, die Werner und Brigitte vor dem Fernseher aufhorchen lassen. 

Fatma: Das ist natürlich auch ein Teufelskreis. Wenn man die Öffentlichkeit jahrelang mit AfD-naher Rhetorik und Themenwahl füttert, wird auch das Interesse daran zwangsläufig steigen. Und darauf beruft man sich dann später und sagt: Das interessiert die Leute nun mal.

Eine solche Antwort bekommt in eurem Buch auch der Protagonist der Kurzgeschichte von Enrico Ippolito, als er einer Talkshow-Redaktion ihre rassistischen Fragestellungen vorwirft.

Am Ende seines Textes kommt er allerdings zu dem Schluss, dass auch er ein Rassist ist, dass eigentlich kaum jemand frei von Rassismus ist. Empfindet ihr euch selbst auch als rassistisch?

Hengameh: Ich glaube, Rassismus haben alle Leute internalisiert, die in einem rassistischen System aufwachsen. Es gibt ja auch in migrantischen Kreisen Anti-Blackness oder Anti-Romaismus, um nur mal zwei Beispiele zu nennen.

Fatma: Oder die Abneigung gegenüber Kurd*innen unter Türk*innen.

Hengameh: Oder gegen Afghan*innen unter Iraner*innen. Nur weil man selbst von Rassismus betroffen ist, ist man nicht in seinem eigenen Denken frei davon. Oft fehlt es deswegen ja auch innerhalb der migrantischen Communitys an Solidarität, zum Beispiel zwischen denen, die bis in die Neunziger hierher gekommen sind und denen, die ab 2015 gekommen sind. Die einen haben sich hier schon etwas aufgebaut und blicken nun teilweise abfällig auf die, die neu sind.

„Ich finde nicht, dass ich dankbar sein muss, dass ich hier leben darf“

Wie ist das denn bei älteren Menschen in eurem Umfeld, euren Eltern zum Beispiel? Können die zum Beispiel etwas damit anfangen, wenn Max Czollek in eurem Buch schreibt, dass man sich vom alten Anpassungs-Gedanken abwenden sollte, sich eher desintegrieren als integrieren sollte?

Hengameh: Ich glaube nicht, dass man für solche Gedanken ein bestimmtes Alter haben muss. Ich war letzte Woche bei einem Streitgespräch, das Thema war „German Dream oder Albtraum?“. Die Wortmeldungen dort kamen größtenteils von Menschen über 60, die – genau wie ich – den Heimatbegriff ablehnen. Aber was meine Eltern betrifft: Meine Mutter schaut nicht besonders oft die deutschen Nachrichten, sie ist nicht in jeder Debatte absolut up to date.

Fatma: Das ist dann aber auch eine Frage der sozialen Herkunft. Nicht nur meine Eltern, auch viele meiner Freund*innen haben keinen akademischen Background. Die Ausgrenzungserfahrungen haben sie aber natürlich trotzdem, weswegen ich ihnen ohne Probleme die Diskurse näherbringen kann, die in unserem Buch verhandelt werden. Das war auch unser Ziel bei dem Buch: Zugänglich für alle zu sein, auch komplexe Dinge möglichst über persönliches Erzählen zu vermitteln.

Aber wenn die eigene Tochter sich gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft auflehnt und schreibt: „Ich will den Deutschen ihre Arbeitsplätze wegnehmen“, stört das nicht vielleicht Eltern, die es gewohnt waren, sich als Neuankömmlinge eher zu fügen?

Fatma: Teils teils. Meine Eltern erkennen sich in vielen meiner Texten wieder. Aber klar bleibt da ein Generationenunterschied: Meine Eltern sind nicht in Deutschland aufgewachsen, haben in der Türkei unter schlechten Bedingungen auf dem Land gelebt. Für sie war es schon ein hoffnungsvoller Neuanfang, nach Deutschland zu ziehen. Ich hingegen bin in Deutschland geboren, Teil dieses Landes – und trotzdem wird von mir eine Bringschuld eingefordert. Das macht mich eben sauer. Ich finde nicht, dass ich dankbar sein muss, dass ich hier leben darf oder die Uni besuchen durfte. Wegen dieser unterschiedlichen Wahrnehmungen kommt es schon manchmal zu Meinungsverschiedenheiten. In erste Linie sind meine Eltern aber stolz auf meine Texte.

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