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Anonyme Accounts leaken Infos aus dem Weißen Haus

Terlina / photocase.com

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Seit Donald Trumps Amtseinführung vergeht kaum ein Tag ohne einen neuen Aufreger, eine weitere Eskalation oder zumindest einen präsidialen Faux-Pas. Selbst die eigenen Mitarbeiter scheinen dem Präsidenten kritisch gegenüber zu stehen. Dieser Eindruck entsteht zumindest in den sozialen Medien.

Beim Kurznachrichten-Dienst Twitter tauchen seit Trumps Amtsantritt mehr und mehr Accounts auf, die vorgeblich von Regierungsmitarbeitern betrieben werden. Mittlerweile gibt es zu fast jedem US-Ministerium wenigstens einen dieser inoffiziellen Accounts. Die anonymen Betreiber agieren weitgehend unabhängig voneinander, verstehen sich aber als Verbündete im Kampf gegen die ungeliebte Regierung. Sie zeigen Trumps Fehler auf, beleuchten Zusammenhänge und stellen unbequeme Fragen. Unter dem Hashtag #resist erklären sie außerdem, in welcher Form unzufriedene Wähler ihren Unmut am effektivsten zum Ausdruck bringen können.

Und was @RoguePOTUSStaff zu berichten weiß, macht viele Follower wütend: Drohte Trump eine Reinigungskraft zu feuern, weil die es nicht schaffte, einen hartnäckigen Fleck aus seiner Tasse zu entfernen? War er wirklich mit Twittern beschäftigt, während der US-Militäreinsatz im Jemen eskalierte? Ist er am Ende nur eine störrische Marionette, die von konkurrierenden Fraktionen im Weißen Haus manipuliert wird? Laut @RoguePOTUSStaff geht es hinter den Kulissen der Regierung Trump drunter und drüber. Während der Präsident selbst kürzlich von einer "gut geölten Maschine" sprach, sehen die Twitterer Inkompetenz, Korruption und Chaos. Seit der Twitter-Account am 26. Januar 2017 aktiv wurde, gab es nicht eine positive Nachricht zu vermelden. Selbst Trumps Entscheidung, den unter Obama eingeführten LGBT-Diskriminierungsschutz zunächst beizubehalten, wurde relativiert: Dies, erklärten die Twitterer, sei allein Trumps Beratern zu verdanken, die ihm den Widerruf untersagt hätten, um eine weitere Welle der Empörung zu vermeiden.

@RoguePOTUSStaff bestätigt die schlimmsten Befürchtungen aller Trump-Kritiker. Offen bleibt dabei allerdings, ob der Account tatsächlich von Mitarbeitern des Weißen Hauses geführt wird. Die Betreiber haben bis heute nichts unternommen, um ihre Aussagen zu belegen. Entsprechende Vorschläge der Twitter-Community lehnten sie ebenso ab wie Anfragen von Journalisten. Als Begründung führen sie das hohe persönliche Risiko an: Sollten sie entdeckt werden, würde der Twitter-Account sie den Job und die Karriere kosten. Aus diesem Grund nimmt @RoguePOTUSStaff auch keine präsidialen Dekrete auf Twitter vorweg – dies, meinen die Betreiber, könnte ihnen nämlich als Spionage ausgelegt werden.

Auch Gewalt gegen Trump oder Mitglieder seiner Regierung ist Tabu. Wer im virtuellen Umfeld des Accounts hierzu aufruft, wird umgehend blockiert. Derart abgestrafte Twitterer haben keinen Zugriff mehr auf die Posts von @RoguePOTUSStaff und können den Account auch nicht mehr auf Twitter kontaktieren. Wenn es darum geht, zögern die Betreiber nicht lange: Selbst ein User, der schrieb, er würde Trump liebend gern mal eine Ohrfeige verpassen, wurde prompt aus der Leserschaft ausgeschlossen.

Die Umsicht und das Detailwissen der Account-Betreiber könnte für ihre Echtheit sprechen. Dem entgegen stehen einige Tweets, die beinahe satirisch überzogen wirken und bei vielen Lesern Zweifel verursachten. So will einer der Autoren von @RoguePOTUSStaff den kanadischen Premierminister Justin Trudeau nach dem Treffen mit Trump belauscht haben. Bei dieser Gelegenheit soll Trudeau den US-Präsidenten mit einem Kind verglichen haben, das nur deshalb nicht verprügelt würde, weil es die Mühe nicht wert sei. Dies zu glauben, fiel vielen Lesern schwer. Auch die Aussage, Trumps Assistenten würden sein Smartphone verstecken, um ihn vom Twittern abzuhalten, wirkte nicht unbedingt glaubhaft.

An der Beliebtheit von @RoguePOTUSStaff ändern die ungeklärten Fragen aber nichts. Die Zahl der Follower steigt täglich weiter. Bjoern Krass überrascht das nicht. Er ist Lehrbeauftragter für Journalismus und Sprecherziehung an verschiedenen Hochschulen und beschäftigt sich intensiv mit dem Medienkonsumverhalten junger Menschen. "Bei Jugendlichen, aber auch bei vielen Erwachsenen, findet keine kritische Einordnung von Medium und Inhalt mehr statt. Die Tagesschau hat den selben Stellenwert wie 'RTL 2 News' oder 'Frauentausch' oder ein YouTube-Video", erläutert Krass. "Wenn dann noch ein unterhaltendes und ein informierendes Moment aufeinander kommen, dann ist es eigentlich relativ klar, dass ein User sagt, 'Das mag ich, das nehme ich an'."

Tatsächlich scheint die Glaubwürdigkeit der gelieferten Informationen oft weniger ins Gewicht zu fallen als die Frage, wie gut sie ins persönliche Weltbild des Lesers passen. Offenbar wird hier aber mit zweierlei Maß gemessen. Berufen Trump-Unterstützer sich auf anekdotische Belege oder unsichere Quellen, um ihre Weltanschauung zu rechtfertigen, werden sie hierfür zurecht kritisiert. Dass auch Trumps liberale Gegner anfällig für potenzielle Fake News sind, beweist der Umgang mit Quellen wie @RoguePOTUSStaff. Es ist natürlich möglich, dass hinter dem Twitter-Account wirklich Mitarbeiter des Weißen Hauses stehen; den Beweis gedenken die Betreiber aber nach eigenen Aussagen nicht anzutreten. Wer ihre Tweets nun ohne Rücksicht darauf für bare Münze nimmt, tut letztlich nichts anderes als ein Trump-Anhänger, der blindlings auf das Wort des Präsidenten vertraut, wenn der über die ungerechte Presse, gekaufte Demonstranten oder die Flüchtlingskrise in Schweden wettert.

 

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