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Jura-Studenten klagen gegen das Polizeiaufgabengesetz

Foto: Stephan Rumpf

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Im vergangenen August hat die bayerische Regierung ein neues Polizeiaufgabengesetz erlassen – und erntet mittlerweile starken Protest dafür – und für die Verschärfungen, die die Regierung noch plant. Denn: Die Eingriffs- und Kontrollbefugnisse der Polizei wurden in einem Maß ausgeweitet, bei dem selbst manche Rechtsexperten bezweifeln, dass es mit dem Rechtsstaat vereinbar ist.

Ein paar der umstrittensten Punkte: Die Polizei soll schon bei „drohender Gefahr“ eingreifen können – wenn der Staat also vermutet, eine Person könnte eine Straftat begehen, ohne dass eine konkrete Gefahr besteht. Eingreifen, das kann laut dem Gesetz das Anlegen einer Fußfessel bedeuten. Oder das Aussprechen von Aufenthalts- und Kontaktverboten. Potenzielle Gefährder sollen außerdem drei Monate in Präventivhaft genommen werden können, wobei diese von einem Richter beliebig lange verlängert werden kann.

Jura-Studierende aus München, Würzburg und Erlangen wollen nun vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen dieses Gesetz vorgehen. Im Rahmen eines Studienprojektes haben sie mit Professoren und Lehrbeauftragten eine Popularklage verfasst. Tim Schilderoth, 21, ist einer von ihnen. Wir haben mit ihm über die Klage gesprochen. Darüber, was das aktuelle Polizeiaufgabengesetz für unsere Demokratie bedeutet – und wie die Landesregierung es in den kommenden Wochen erneut verschärfen möchte.

jetzt: Tim, du willst im Mai zusammen mit anderen Studierenden vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen das geltende Polizeiaufgabengesetz klagen. Wie fühlt es sich an, als Student den Freistaat Bayern zu verklagen?

Tim Schilderoth: Als wir beschlossen haben, die Klage einzureichen, habe ich darüber nicht nachgedacht. Uns ging es eher darum, dass dieses Gesetz verfassungswidrige Bestandteile hat. Und wenn man die Möglichkeit hat, dagegen vorzugehen, sollte man das auch machen.

Um welche Bestandteile geht es da?

Bislang hat das Polizeirecht besagt, dass Polizeibeamte nur bei einer konkreten Gefahr zu Eingriffen und Maßnahmen berechtigt sind. Jetzt ist das schon bei einer „drohenden Gefahr“ möglich. Aus Sicht eines Polizisten müssen also viel weniger Anhaltspunkte als früher dafür vorliegen, dass sich jemand gegen die bestehende Rechtsordnung verhält, um einzugreifen. Außerdem geht aus dem Gesetz nicht ausreichend hervor, was mit dem Begriff „drohende Gefahr“ gemeint ist. Er ist also zu unbestimmt, um verfassungsgemäß zu sein.

Den Begriff der „drohenden Gefahr“ hat aber nicht der Freistaat Bayern erfunden. Das Bundesverfassungsgericht hat ihn bereits 2016 eingeführt.

Das ist richtig. Aber der bayerische Gesetzgeber hat nicht einfach vom Bundesverfassungsgericht abgeschrieben, sondern einige Bestandteile weggelassen oder anders dargestellt. Das Urteil vom Bundesverfassungsgericht bezieht sich nur auf Überwachungsmaßnahmen und Terrorismusgefahr. Bedeutet: Es darf überwacht werden, wenn Gefahr durch Terrorismus vorliegt. Das ist im bayerischen Gesetz nicht mehr so. Da geht es nicht nur um Terrorismus, sondern die Gefahr kann alles Mögliche sein. Außerdem muss laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts immer eine bestimmte Person feststehen, von der diese „drohende Gefahr“ ausgeht. Auch dieses Erfordernis ist im bayerischen Polizeiaufgabengesetz nicht gegeben.

„Ich lebe lieber in einer Demokratie, in der die Polizei den Bürgern vertraut“

Als problematisch wertet ihr außerdem, dass die Präventivhaft ausgeweitet wurde. Jene Haft, in die Menschen genommen werden können, wenn der Staat vermutet, dass sie eine Straftat begehen werden.

Genau. Das war bislang nur für die Dauer von zwei Wochen möglich. Jetzt aber geht das bis zu drei Monate lang und kann beliebig oft verlängert werden. Theoretisch kann ein Mensch also unendlich lange eingesperrt werden, ohne eine Straftat begangen zu haben. Das ist verfassungswidrig, weil es unverhältnismäßig ist.

Was bedeutet dieses Gesetz für unsere Demokratie?

Das hängt davon ab, wie man Demokratie als Staatsform definiert. Wenn man sagt, unsere Demokratie lebt von ihrer Verfassungsordnung, dann ist das Gesetz eine Gefahr für unsere Verfassungsdemokratie. Wenn man aber politisch argumentiert, stellt sich die Frage: In welcher Gesellschaft möchten wir leben? Ich persönlich lebe lieber in einer Demokratie, in der die Polizei den Bürgern vertraut. Einen Staat, in dem das Verhältnis zwischen Polizei und Bürger durch extremes Misstrauen und starke Eingriffsbefugnisse geprägt ist, finde ich nicht erstrebenswert.

Könnte das Gesetz als Blaupause für andere Bundesländer dienen?

Das kann durchaus passieren und wäre sehr bedenklich. Denn wenn das Gesetz in Bayern verfassungswidrig ist, ist es das auch in anderen Bundesländern. Ich fände es deswegen gut, wenn der Bayerische Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass es in seiner jetzigen Form nicht verfassungsgemäß ist – und damit den Gesetzgebern im Bund aufzeigt, dass man Gesetze nicht in dieser Form verabschieden kann.

Aber die bayerische Verfassung gilt doch nur in Bayern?

Richtig, gegen die bayerische Verfassung können ähnliche Polizeiaufgabengesetze aus anderen Bundesländern natürlich nicht verstoßen. Allerdings ist dieses bayerische Gesetz aus meiner Sicht auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. In Bezug auf die bayerische Verfassung wendet der Bayerische Verfassungsgerichtshof sehr ähnliche Maßstäbe an wie das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Grundgesetzes. Wenn nun also der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass das Gesetz nicht mit der bayerischen Verfassung vereinbar ist, dann ist das ein aussagekräftiges Indiz dafür, dass es auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

„Dieser neue Entwurf ist noch mal wesentlich umfangreicher“

Der Begriff der „drohenden Gefahr“ oder etwa die dreimonatige Präventivhaft sind in Bayern seit August 2017 geltendes Recht. In den kommenden Wochen will die Landesregierung außerdem einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts verabschieden. Worum geht es darin? 

Dieser neue Entwurf ist noch mal wesentlich umfangreicher. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ wird auf andere Eingriffsmaßnahmen ausgeweitet. Zum Beispiel soll auf Geräte wie Handys und Computer zugegriffen werden können, um Daten zu beschlagnahmen. Es geht darin auch viel um Überwachungsmaßnahmen, zum Beispiel um Drohnen und Bodycams, die als Kameras eingesetzt werden können.

Eure Gruppe setzt sich aus Studierenden aus Würzburg, Erlangen und München zusammen. Wie haben sich die Leute gefunden?

Wir wurden über einen Newsletter an der Uni auf das Projekt aufmerksam gemacht. Dort wurde auch darauf hingewiesen, dass das ein Austauschprojekt mit den beiden anderen Universitäten ist. Das war für mich einer der Hauptgründe, mitzumachen, denn so lernt man andere Hochschulen und die Studierenden dort kennen. Das Projekt wurde von Dozierenden der drei Universitäten initiiert und betreut, die Teilnahme war freiwillig. Insgesamt haben 16 Studierende mitgemacht.

„Ich wäre jedenfalls bereit, wieder an einer Klage mitzuarbeiten“

Wie arbeitet man in einer solchen Gruppe eine Klage aus?

Wir haben uns zunächst in den Regionalgruppen getroffen und geguckt, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist. Nachdem wir unsere Bedenken festgestellt hatten, haben wir uns alle in Nürnberg getroffen und beschlossen, Uni-übergreifende Gruppen zu bilden, die sich mit einzelnen Themenbereichen beschäftigen. Ich habe mich zum Beispiel mit der „drohenden Gefahr“ beschäftigt. Jede Gruppe hat dann einen Entwurf ausgearbeitet, am Ende haben wir die einzelnen Teile zu einer Klage zusammengefügt. Jetzt ist es ein fast 60-seitiger Schriftsatz, den wir beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof einreichen.

Wie hoch schätzt du die Erfolgschancen eurer Klage ein?

Wir als Gruppe gehen mit unserer Rechtsauffassung davon aus, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Deswegen hoffen wir, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof das genauso sieht. Von Erfolgschancen zu sprechen ist aber schwierig, es ist ja kein Fußballspiel. Das Gericht ist die einzige Autorität, die feststellen kann, ob das Gesetz verfassungswidrig ist.

Sollte eure Klage abgewiesen werden: Geht ihr vors Bundesverfassungsgericht?

Ob wir als Gruppe das machen, kann ich noch nicht sagen. Ich wäre jedenfalls bereit, wieder an einer Klage mitzuarbeiten.

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