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„Polizeiarbeit stärken und Prävention, ja gerne, aber kein Antiterrorgesetz!“

Foto: Juergen Schwarz/Getty Images

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In Düsseldorf herrscht am Samstag Ausnahmezustand. Die Straßen rund um die Innenstadt sind gesperrt, die Bahnen stehen still. Denn rund 10.000 Demonstranten ziehen vom Düsseldorfer Hauptbahnhof bis zum Sitz der Landesregierung, um gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen zu protestieren. Aufgerufen und mobilisiert zu den Protesten hatte das Bündnis „Nein! Zum neuen Polizeigesetz in NRW“ - darunter Gewerkschafter, Grüne, Linkspartei, Piraten, christliche Gruppen, Antifa, Amnesty International sowie Fußballfans aus dem ganzen Bundesland. 

Der Gesetzesentwurf der schwarz-gelben Landesregierung gilt als Antwort auf eine „zunehmende terroristische Bedrohungen“ und eine „hohe abstrakte Gefährdungslage für Europa“ und soll der Polizei in Nordrhein-Westfalen mehr Befugnisse geben. Kern des neuen Polizeigesetzes ist der Rechtsbegriff „drohende Gefahr“ – dieser wurde bereits 2017 in Bayern eingeführt. Die „drohende Gefahr“ soll Maßnahmen der Polizei auch dann rechtfertigen, wenn keine konkrete, sondern nur eine vermutete Gefahr besteht. Soll heißen: Polizisten sollen präventiv und ohne Anlass Personenkontrollen durchführen können, Aufenthaltsorte überwachen und Verdächtige bis zu einem Monat in Präventivgewahrsam stecken dürfen. Die Telekommunikationsüberwachung, auch die verschlüsselter Inhalte, wie etwa bei Whatsapp-Nachrichten oder Skype-Anrufen, soll ebenfalls ohne konkreten Anlass möglich sein – und das sind nur einige der umstrittensten Punkte des neuen Polizeigesetzes.

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Kenny, 27, und Lukas, 25, halten das neue Polizeigesetz für absolut unnötig. „Betrachtet man die aktuelle Lage und die sinkende Kriminalität, brauchen wir kein neues Polizeigesetz. Polizeiarbeit stärken und Prävention – ja gerne, aber kein Antiterrorgesetz!“. Sie glauben, die unklare Formulierung der „drohenden Gefahr“ solle nur dazu dienen, unliebsame Leute zum Schweigen zu bringen.

Foto: Dießelkämper
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Dilara, 20, trägt gemeinsam mit zwei Freunden ein Banner auf dem steht „Wir sind (ver)fassungslos“. Sie demonstrieren, denn sie wollen nicht, dass die Polizei ihre Nachrichten mitlesen kann. „Sie sagen, sie müssten unsere Freiheit einschränken, um uns Sicherheit zu geben, aber wir wollen diese Sicherheit gar nicht.“

Foto: Dießelkämper
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Polizisten sollen zudem künftig präventiv und ohne Anlass Personenkontrollen durchführen können, Aufenthaltsorte überwachen und Verdächtige bis zu einem Monat in Präventivgewahrsam festsetzen dürfen.

Foto: Dießelkämper
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Tausende Menschen demonstrieren gegen das geplante Gesetz.

Foto: Dießelkämper
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Sie alle haben Angst, dass durch das neue Gesetz zentrale Bürgerrechte zerstört werden könnten.

Foto: Dießelkämper

Das Bündnis, das den Protest am Samstag in Düsseldorf organisierte, prangert den Gesetzesentwurf als Einschnitt in die Freiheits- und Grundrechte der Bürger an. Sie sind der Meinung, dass die Verschärfung grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien, wie die Unschuldsvermutung und die Gewaltenteilung, aushebele. „Durch das neue Polizeigesetz soll bald jede Bürgerin und jeder Bürger komplett überwacht, durchleuchtet und sogar weggesperrt werden. Das neue Gesetz ist ein Willkürparagraf und das lehnen wir ab“, sagt Nils Jansen, einer der Organisatoren.

„Keine bayerischen Verhältnisse“

Das Bündnis befürchtet, dass das Gesetz in NRW, zusammen mit den verschärften Polizeigesetzen in anderen Bundesländern, den Beginn eines autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaates bedeutet. Der Landesverband der Piratenpartei, der Teil des Protestbündnisses ist, schrieb auf seiner Homepage, sie wollten „keine bayerischen Verhältnisse“.

„Bayerische Verhältnisse“ – damit ist das vom Bayerischen Landtag beschlossene Polizeiaufgabengesetz (PAG) gemeint, gegen das im Mai 30.000 Demonstranten vom Münchner Marienplatz bis zum Odeonsplatz zogen. Neben den präventiven Kontrollen und Maßnahmen, die das neue Polizeigesetz auch für NRW vorsieht, ermöglicht das PAG der bayerischen Polizei zunehmend auch geheimdienstliche Aufgaben. Sie dürfen beispielweise Bodycams, Drohnen und intelligente Videoüberwachung mit Mustererkennung einsetzen, sowie DNA-Analysen schon zu Fahndungszwecken. Außerdem können sie über Online-Durchsuchungen direkten Zugang zu Cloud-Speichern oder privaten Computer erlangen.

Eigentlich sollte das Polizeigesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli vom nordrhein-westfälischen Landtag verabschiedet werden. Nach massiver Kritik von Bürgerrechtsbewegungen, Datenschützern und Verfassungsrechtlern zog Innenminister Herbert Reul (CDU) den Entwurf zunächst zurück und kündigte an, auf die Kritikpunkte zu reagieren und den Gesetzesentwurf nachzubessern. Der neue Entwurf soll im September vorgelegt werden.

Die Zeit bis dahin will das Bündnis nutzen, um so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren. „Wir wollen keine Änderungen oder ein weniger schlimmes Polizeigesetz in NRW. Wir wollen gar keins“, sagt Nils Jansen.

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