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Studenten vs. Boris Palmer

Arne Güttinger mit einer Zeugin des Streits. Rechts im Bild ist Boris Palmer.
Foto: Eva Hoffmann / dpa

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studenten vs palmer

Arne Güttinger mit einer Zeugin des Streits. Rechts im Bild ist Boris Palmer.

Foto: Eva Hoffmann / dpa

Wer in den Straßen Tübingens abfällige Worte über den Oberbürgermeister Boris Palmer verliert, muss damit rechnen, von ihm persönlich zur Rede gestellt zu werden. Der Student Arne Güttinger begegnete Palmer nachts und sagte nach eigener Aussage im Vorbeigehen: „Ach ne, der auch noch.“ Das konnte Palmer nicht auf sich sitzen lassen: Er lief Güttinger hinterher und forderte eine Erklärung. Als dieser nicht diskutieren wollte, versuchte Palmer eine Ausweiskontrolle und fotografierte den Studenten und eine Freundin. Der Student ging an die Presse und löste eine unerwartete Flut an Medienberichten aus. Die Story brachte Palmer die Namen „OB-Rentner“, „Wutbürgermeister“ und „das grüne Männchen“ ein.

Angesichts dieser öffentlichen Häme ist sich Palmer sicher: „Der Student Güttinger ist aus politischem Kalkül an die Presse gegangen. Güttingers Aussage und die von zwei Zeuginnen waren abgesprochen.“ Er fühlt sich nicht im Unrecht und vermutet seine Gegner unter den dogmatischen Linken und den Studierenden der Stadt. Aber gibt es diese subversive Front gegen Palmer wirklich? Und was ist da eigentlich vorgefallen, dass ein grüner Oberbürgermeister sich nicht mit Studenten, eigentlich ja das Klischee des Grünenwählers, versteht?

Tübingen ist eine idyllische Unistadt: Direkt am Bahnhof steht ein besetztes Haus, vollgesprüht von oben bis unten. In der Innenstadt stehen Fairtrade-Läden neben Biomärkten. Im Sommer schauen Studierende am Neckarufer den Stocherkähnen zu. Alle fahren Fahrrad. Eigentlich die ideale Stadt für einen grünen Oberbürgermeister. Eigentlich. Denn Boris Palmer ist kein grüner Politiker, wie man ihn sich vorstellt. Statt Anti-Kommerz-Parolen zu verbreiten, lotet er in letzter Zeit immer häufiger aus, wie weit man als Grüner gehen darf. 2017 postete Palmer den ironisch gemeinten Kommentar „Hab dich nicht so, wenn dich der Araber fickt“ auf Facebook. Es war seine Antwort auf eine Diskussion um einen vandalierenden Asylbewerber. Kurze Zeit später schrieb Palmer über einen rüpelhaften Fahrradfahrer: „Ich wette, dass er Asylbewerber war“, denn „so benimmt sich niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe“. Auch nach dem Vorfall in der Fußgängerzone entlud sich Palmer in einem Facebook-Chat mit einer Zeugin: „Wer einen anderen grundlos so beleidigt, sollte wenigstens die Eier haben, ihm ins Gesicht zu sagen, um was es geht.“

Auf einen Wegweiser in der Altstadt hat jemand „FCK PLMR“ gesprüht

Diese Art kommt bei vielen Studis nicht gut an. Deswegen finden sich unter den vielen Stickern in der Stadt auch solche mit der Aufschrift „Anti-Palmer-Aktion“ oder kurz: „AntiPa“. Seit November kursieren auch solche mit dem Spruch „Ach nee, der auch noch“. Auf einen Wegweiser in der Altstadt hat jemand „FCK PLMR“ gesprüht. Auf Telegram wird ein Palmer-Stickerset rumgeschickt: Palmer auf dem Motorrad, mit Fahrradhelm und im mexikanischen Kostüm mit Sombrero. Das Set heißt „FacePalmer“. Auch auf Facebook bildet sich Widerstand: Die Seite „Boris Palmer Watch“ prangert Palmers Social-Media-Posts an und schreibt: „Der Tübinger OB macht ab und an durch seine "unbedachten" Facebook-Einträge von sich reden. Diese Seite dient zur Dokumentation für solche Vorfälle.“ Die studentische linke Gruppe „Ernst-Bloch-Uni-Tübingen“ kritisiert gegenüber jetzt: „Seine Aussagen übertreten bisweilen die Grenze zu Rassismus und Rechtspopulismus.“

Der Student Arne Güttinger, mit dem der Streit eine neue Dimension erreicht hat, sitzt im Regen vor einem Café in der Altstadt und zieht an seiner Zigarette. Hier, wenige Meter weiter oben, wurde er drei Wochen zuvor vom Oberbürgermeister angegangen und dann die Straße hoch verfolgt. Der 33-Jährige kriegte Palmers Facebook-Ausfälle zuvor kaum mit, er hat dort kein Profil. Er wohnt erst seit einem Jahr in Tübingen und hatte sich nie öffentlich gegen Palmer geäußert. Der Vorfall hat ihn unverhofft in die Öffentlichkeit katapultiert. Was seine Haltung zur Asylpolitik angeht, ist er nicht derselben Meinung wie Palmer. Aber er sagt auch: „Vieles, was Palmer kommunalpolitisch in Tübingen gemacht hat, finde ich gut.“

 

„Erst schaffe, bevor man rumkrakeelt“, sagt Palmer

Palmer selbst nimmt die studentische Kritik an seiner Person nicht weiter ernst. „Erst schaffe, bevor man rumkrakeelt“, sagt er gegenüber jetzt am Telefon. Das seien Linksdogmatiker, die ihn ausgrenzen und keine anderen Positionen akzeptieren als ihre eigenen. Gleichzeitig berichtet er  von anderen Kleinstädten, in denen das Motto lautet: „Wenn der Oberbürgermeister etwas sagt, dann gilt das. Und da wehrt sich dann auch niemand dagegen.“ Dabei hat er nicht nur Gegner unter Studierenden, sondern auch in den eigenen Reihen: Nach dem Kommentar zum Fahrrad-Rowdy haben selbst der Stadtvorstand der Grünen Tübingen und andere hochrangige Grüne sich in einem offenen Brief von Palmer distanziert.

Palmer macht weiter wie bisher: Letzten Freitag streifte er wieder durch die Straßen Tübingens und sichtete ein falsch geparktes Auto ohne Passagiere. Der Motor lief. Palmer kann so etwas nicht durchgehen lassen. Als die Besitzer zurückkehrten, konfrontierte er sie. Nachdem die Männer nicht einsichtig reagierten, fotografierte Palmer ihr Nummernschild und zeigte sie an. Danach berichtete er stolz auf Facebook von seiner Heldentat: „Hilfssheriff im Einsatz.“

In Leserbriefen und auf Facebook bekommt Palmer mit seinem Stil nicht nur Kritik, sondern auch Zustimmung. Vielleicht versucht er deswegen, auch im echten Leben als Hilfssheriff aufzutreten, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Der Leser einer Lokalzeitung ärgerte sich über einen Palmer-kritischen Meinungsartikel: „In einer zunehmend verwahrlosenden, auf Anstand, Ordnung und Sauberkeit pfeifenden Gesellschaft, hat es doch etwas Gutes und Mutiges, wenn sich unser oberster Bürger dem entgegenstellt.“ Auch Palmer sagt: „Ich erfahre keinen Shitstorm, sondern einen Candystorm.“ Die aktuelle Berichterstattung nützt ihm wohl mehr, als sie ihm schadet.

Mit seiner Art hat sich Palmer auch schon den Titel „Provinz-Trump“ eingehandelt. Er selbst sieht sich lieber in der Tradition seines Vaters. Der „Remstal-Rebell“ Helmut Palmer habe ihm vorgelebt, was Zivilcourage ist. Wenn der Sohn in die Fußstapfen seines Vaters treten möchte, hat er aber noch einiges vor: Der war bekannt dafür, dass er seine Gegner an der Krawatte über den Marktplatz schleifte oder mit Äpfeln von seiner Obstwiese bewarf. Helmut Palmer kandidierte beinahe 300 Mal für ein politisches Amt – ohne Erfolg. Die Rüpelstrategie verfing aber schon damals: Niemand in Schwaben hat Helmut Palmer je vergessen.

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