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Das Projekt „Verbrannte Orte“ erinnert an die Bücherverbrennungen

An diesem Ort in Neubrandenburg verbrannten die Nazis Bücher, die ihnen nicht „deutsch“ genug waren.
Foto: Jan Schenck

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Am 10. Mai 1933 brannten in Deutschland Zehntausende Bücher. Anhänger*innen des NS-Regimes warfen Werke jüdischer, pazifistischer, marxistischer Autor*innen ins Feuer, von Bert Brecht, Erich Kästner und Kurt Tucholsky, aber auch wissenschaftliche Schriften von Sigmund Freud oder Albert Einsteins Relativitätstheorie. An manchen Orten in Deutschland stehen an diesen Orten jetzt Gedenktafeln. An anderen aber steht: nichts. Dort parken heute Autos, spielen Menschen Fußball oder gehen shoppen. 

Auch da, wo jetzt die Alsterschwimmhalle in der Ifflandstraße in Hamburg steht, in der Jan Schenck als Junge häufig schwimmen ging, wurden von den Nazis Bücher verbrannt. Als er das zufällig herausfand, war der heute 38-jährige Fotograf geschockt. Und startete sein Projekt „Verbrannte Orte“. „Auch mein altes Gymnasium ist ganz in der Nähe eines Ortes, an dem die Nazis Bücher verbrannt haben“, erzählt er am Telefon gegenüber jetzt. Auch er hatte davon lange keine Ahnung – heute schaut er mit anderen Augen darauf. Für viele seien die Orte der Bücherverbrennungen sehr abstrakt, sagt der Fotograf. Sein Projekt zeigt ganz genau, wo sie stattgefunden haben – und machen das Geschehene so für viele Menschen greifbarer: „Der persönliche Bezug macht das, was passiert ist, realer.“ 

„Ich misstraue der Aussage, dass es in einem Ort keine Bücherverbrennungen gegeben habe, grundsätzlich“

Im „Atlas der verbrannten Orte“ sind auf einer Online-Karte derzeit 110 Orte dokumentiert, und Jan Schenck ist sich sicher, dass das noch nicht alle sind. Jeder Ort auf der Karte ist mit verschiedenen Informationen versehen: Ein Foto des heutigen Ortes, das Verbrennungsdatum, eine kurze Beschreibung von dem, was passiert ist, Quellenangaben. Wo früher Bücher verbrannt wurden, da wurden irgendwann Parkhäuser und Schulen gebaut, da sind Brachen, da stehen Mülltonnen und Kaugummiautomaten und Einkaufszentren. Viele dieser Orte sind in einem Sammelband zum Thema aufgelistet, aber nicht alle. Jan Schenck dokumentiert das alles mit seiner Kamera, er recherchiert die Hintergründe in Zusammenarbeit mit Helfer*innen vor Ort, sammelt Spenden für das Projekt, hält Vorträge zum Thema. Er, der selbst kein Historiker ist sondern Erlebnispädagoge, ist dabei auch auf die Unterstützung und Hilfe anderer Menschen angewiesen: „Es kommen immer wieder Menschen auf uns zu, die bei einer Recherche auf einen neuen Ort gestoßen sind.“ Auch über die deutschen Grenzen hinaus gibt es verbrannte Orte: etwa im heutigen Polen oder in Österreich. „Es gibt eine sehr hohe Dunkelziffer“, sagt der Fotograf. Vor kurzem hat er mit seinem Team auch einen eigenen Verein gegründet. Seitdem gibt es für ihn eine kleine Stelle im Projekt – er bekommt für seine Arbeit jetzt also auch ein Gehalt.

Bücher brannten vor allem am 10. Mai 1933 in Deutschland, aber nicht nur: Viele kennen die großen Verbrennungen, die vor 87 Jahren an großen Plätzen stattgefunden haben. In 22 deutschen Universitätsstädten wurden Zehntausende Bücher angezündet, die Aktion fand kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten statt und war Auftakt der Verfolgung der Schriftsteller*innen, die ihnen unliebsam waren. Am 10. Mai 1933 schauten in Berlin 70 000 Menschen dabei zu. Doch es gab auch Aktionen in kleineren Orten wie in Altenburg in der Nähe von Leipzig, und es gab Verbrennungen vor und nach dem 10. Mai. Viele Menschen seien überrascht von der Menge an Verbrennungen, die es in Deutschland gab, sagt Jan Schenck. Er selbst gehe seit dem Start des Projekts ganz anders durch einen Ort. „Ich misstraue der Aussage, dass es in einem Ort keine Bücherverbrennungen gegeben habe, grundsätzlich“, sagt der Fotograf. 

Vollendet wird das Projekt daher wohl niemals sein – bis zum Jahr 2023, wenn sich die Bücherverbrennungen zum 90. Mal jähren, soll es dennoch so weit wie möglich abgeschlossen sein. Dann ist auch eine Wanderausstellung geplant. Das Ziel des Projekts? „Wir wollen den Orten ein Gesicht geben und dem Thema eine Plattform. Viele dieser Orte tauchen in der Erinnerung der Menschen gar nicht mehr auf. Wir wollen nicht, dass sie in Vergessenheit geraten. Denn wir müssen uns mit der NS-Geschichte auseinandersetzen.“

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