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„Ich bin nicht homophob, ich hab' doch viele schwule Freunde“

Illustration: Jessy Asmus

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Da ist es also wieder passiert. Jedes Mal das gleiche Muster, jedes Mal das gleiche hasenhirnige Argument. Der Berliner AfD-Politiker Kay Nerstheimer hat Schwule und Lesben in einer Reihe von Facebook-Posts aufs Übelste beleidigt. 2014 war das, er schrieb von einer „degenerierten Spezies“, von einem „Gendefekt“ und davon, dass es schon seinen Sinn habe, „das (sic!) sich Homosexuelle nicht vermehren können, so löscht die Natur Fehler im Programm.“ Am Dienstag wurde er wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 7000 Euro verurteilt.

Nerstheimers Posts sind so homophob wie Regen nass ist, braucht man nicht groß diskutieren. Den Vorwurf würde er sich aber wahrscheinlich nicht gefallen lassen. Hat er am Rande des Prozesses doch erklärt: „Ich habe in meinem Bekanntenkreis genug homosexuelle Freunde, die mittlerweile den Kopf schütteln und fragen: Was wollen die eigentlich von Dir?“ – und klatsch, die nächste Ohrfeige. Erst eine Gruppe von Menschen beleidigen und sie dann zur Verteidigung vorschieben: Das Freunde-Argument ist das untergriffigste und verlogenste unter den untergriffigen und verlogenen Argumenten. 

Man hört es ständig, nicht nur in Bezug auf Homosexualität. Von Trump zum Beispiel, wen wundert’s? Dem US-Präsidenten wird immer wieder Rassismus vorgeworfen. Etwa wegen seiner diffamierenden Aussagen über mexikanische Einwanderer. Während des Wahlkampfes 2016 gab Trump eine Erklärung ab, mit der er diesen Vorwurf abwies. „Ich bin befreundet mit und beschäftige Tausende Menschen mexikanischer oder spanischer Herkunft“, hieß es darin. Tausende Freunde und Angestellte, muss man sich mal vorstellen. Wahrscheinlich die besten in history.

Freunde zu haben schließt nicht aus, sich ihnen gegenüber wie ein Idiot zu verhalten

Klar, wie soll so jemand ein Rassist sein? Und wie soll einer misogyn sein, wenn er doch so viele Frauen kennt? Islamophob, wenn er doch mit dem Dönerverkäufer bei jedem Besuch dreieinhalb Sätze wechselt? Oder ein lupenreiner Antisemit, wenn er doch ganz viele Freunde aus Israel hat?

Egal, ob das Freunde-Argument nun aus Politikermündern kommt oder am Kneipentisch fällt, es ist in der Regel die Antwort auf den Vorwurf, andere Menschen beleidigt, diskriminiert oder sonst wie verletzt zu haben. Und jedes Mal möchte man dann vorsichtig drauf hinweisen: Freunde zu haben schließt nicht aus, sich ihnen gegenüber wie ein Idiot zu verhalten.

 

Wer eine soziale Gruppe beleidigt und sie dann auch noch verteidigend vorschiebt, dümpelt durch dasselbe argumentative Brackwasser wie jene, die sagen: „Ich hab ja nichts gegen XY, aber...“ Und vor allem: Welche Rolle spielt es schon, ob Kay Nerstheimer homosexuelle Freunde hat? Ob Trump Tausende Mexikaner anstellt? Das macht die hetzerischen Sätze solcher Leute ja nur schauderhafter. Wenn einer trotz schwuler Freunde nicht merkt, dass diese keine „degenerierte Spezies“ sind, was zeigt das? Wenn einem trotz tausendfacher Erfahrung nicht dämmert, dass mexikanische Einwanderer nicht automatisch Drogendealer oder anderweitig Kriminelle sind, was zeigt das? Es zeigt die wesentliche Eigenschaft des Freunde-Arguments, das nämlich vor allem eines ist: saudumm.

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