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So wird 2017 Wahlkampf im Netz gemacht

Illustration: Lucia Götz

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Vor einem Jahr haben wir darüber geschrieben, „Warum junge Politik die sozialen Medien nicht versteht“. Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl haben wir nun erneut bei den Jungparteien nachgefragt. Wir wollten wissen, ob Social-Media-Strategien nach wie vor „nicht existent“ (linksjugend [’solid]) sind und YouTube noch immer „ein eingeschlafener Kanal“ (Grüne Jugend) ist oder ob man für den Wahlkampf neue Wege geht. Spoiler: Ja, es hat sich was getan – aber reicht das auch? 

Junge Union (JU)

Mitglieder: 110.000

FB: 40.000 (+ 12.000)

Twitter: 58.000 (+ 31.000)

Instagram: 7.100 (+ 6.250)

Eine blaue Badehose, ein Bikini, Luftmatratze, Schirm, sogar Eiswürfel und natürlich eine Krawatte: Die Auswahl im Online-Shop der Jungen Union ist bald so groß wie die des FC Bayern Fanshops – nur echt mit JU-Logo. Zukünftig könnte sich ein Fidget Spinner dazu gesellen. Doch auf den Post mit der Frage „Fidget Spinner für den JU-Shop?” reagiert die Mehrzahl der Nutzer mit einem wütenden Emoji, das bedeutet „nein“. Trotzdem kommt der Beitrag gut an. Knapp 800 Likes, rund 70 Kommentare. „Den Grünen bringen ihre ganzen Spinner auch nichts…”, kommentiert ein User, 69 Likes. Ein anderer fragt: „Haben wir denn Grund, nervös zu sein? Überlassen wir sowas doch lieber den Jusos und co!”

Sich nach Likes und Followern messen zu lassen, sei zwar „Erbsenzählerei“, wie JU-Sprecher Conrad Clemens betont. Doch die JU hat auf fast allen Kanälen zugelegt – ob nun den Erbsenzählern von den Medien zuliebe oder um (potenzielle) Mitglieder besser zu informieren. Teilweise gelingt ihr inzwischen der Spagat zwischen relevant und unterhaltsam, den wir im letzten Jahr noch bei keiner der Jungparteien sahen. Launige Posts wie der zum Fidget Spinner sollen jedoch die Ausnahme bleiben. „Wir bekommen 500.000 Euro pro Jahr vom Bundesfamilienministerium für politische Bildung, da können wir nicht nur Foodpics posten”, sagt Conrad.

Bei einem anderen Thema gerät er ins Schwärmen: „Connect17”. Für die App hat die Mutterpartei 5000 Euro ihres Wahlkampfbudgets spendiert. Sie funktioniert nach dem Gamification-Prinzip: Nutzer können Punkte erspielen, indem sie an Haustüren klingeln und Mitglieder werben oder vorgeschlagene, JU-relevante Nachrichten in sozialen Netzwerken teilen. Am Ende entsteht eine Rangliste der erfolgreichsten „Wahlkämpfer”. Diesen Wettbewerb hat man sich in den USA abgeguckt. Hillary Clinton nutzte ein ähnliches Tool in ihrem Wahlkampf. Rund 5.000 Menschen haben die App bisher heruntergeladen. Es scheint eine gute Investition zu sein.

Auch durch die Zusammenarbeit mit Facebook gelang der Jungpartei im vergangenen Oktober auf ihrem Deutschlandtag 2016 in Paderborn eine Premiere: Angela Merkels erstes Facebook-Live-Interview. Deren knapp bemessene Podiumszeit wurde dafür extra halbiert, Facebook errichtete eigens ein Studio. Bisher haben sich 230.000 Leute das Video angesehen.

 

Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (JUSOS)

Mitglieder: 70.000

FB: 25.900 (+5.400)

Twitter: 29.400 (+14.800)

Instagram: 5.100 (+2.800)

Die Jusos sind, was Social Media angeht, 1 naice Jugendorganisation auch vong 1 Sprache her. Erst kürzlich veranstalteten sie einen Social-Media-Kongress mit hundert Jusos aus ganz Deutschland. „1 geile Komferenz” wie man auf Twitter verkündete. Dort lieferte der Social-Media-Referent von Martin Schulz, Robin Mesarosch, „1 naicen Input”, über den man aber nicht wirklich sprechen dürfe. Nur so viel verrät Jusos-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann: Es sei darum gegangen, dass nicht jedes Posting „super geil“ sein muss, auf die richtige Botschaft komme es an. Aha. 

Gesprochen werden soll stattdessen über die neue Wahlkampfkampagne #gerechtist, die Ende Juni erschien. Die Themen wie Chancengleichheit und bezahlbarer Wohnraum sind selbsterklärend – nur wie die fröhlich-bunten Kampagnenbilder konkret verbreitet werden sollen, bleibt unklar.

Auf dem YouTube-Kanal der Jusos wohl eher nicht. Dort bekommt ein „Unboxing“-Video mit Johanna Uekermann, die „freshes Material“ für den „Arbeitskampftag“ aus dem Aktionspaket der Jusos zum 1. Mai auspackt, kaum 300 Views. Instagram mit seinen Stories, die Johanna sich selbst gerne anschaut, kommt da schon eher in Frage. Besonders präsent sind die Jusos auch auf Twitter. Dort schauen sich inzwischen mehr als doppelt so viele Nutzer süffisante Posts zur Leitkultur und Seitenhiebe in Richtung der Jungen Union an. 

Linksjugend [’SOLID]

Mitglieder: 10.000

FB: 9.500 (+ 1.000)

Twitter: 5.000 (+900)

Instagram: offiziell nicht vorhanden

Bei der linksjugend liegt Mitte Juni der Fokus noch ganz bei G20 – der Bundestagswahlkampf und die dafür geplante Social-Media-Offensive kann warten. Fragt sich nur wie lange. Bei Facebook und Twitter hat sich bei ihnen im vergangenen Jahr vergleichsweise wenig getan, der Instagram-Account mit damals drei Bildern wurde ganz eingestellt. Dabei kennt sich Lucas Kannenberg, frisch gewähltes Mitglied im Bundessprecher*innenrat der linksjugend, aus im Netz, schaut was YouTuber wie Jung & Naiv oder LeFloid machen und ist begeisterungsfähig. „Das sind ja fast so kleine Tagesschauen, mit unheimlich vielen Zuschauern.”

Gleichzeitig ist er kritisch: „Einige Leute sind zwar gut darin ihren Twitter-Kanal zu pflegen, waren aber noch nie auf einer Demo. Denen geht es nur um Selbstdarstellung.” Social-Media-Arbeit ist für die linksjugend, wie für die anderen Jungparteien auch, neben Bildungsveranstaltungen, Sommercamps und Demo-Vorbereitungen nur ein kleiner Teil der Arbeit. Aber doch einer, der laut Lucas Kannenberg ausbaufähig ist und mit dem man sich zukünftig im Rahmen einer zehnköpfigen ehrenamtlichen Social-Media-AG auseinandersetze.

Was bereits gut läuft, so Lucas, seien Facebook-Posts die sich gegen Faschismus richten oder ein klares Feindbild benennen. Denn diese würden auch außerhalb der eigenen Zielgruppe wahrgenommen. „Beiträge zur AfD verlassen die linke Bubble und wir bekommen kleine Shitstorms der Rechten“, sagt Lucas. Man mache das durchaus bewusst. Denn die Hasskommentare des politischen Gegners unter dem jeweiligen Post können zwar zu weit gehen – erzielen aber eben auch eine höhere Reichweite. Die Betonung dürfte jedoch auf „klein“ liegen, denn auf der Facebook-Timeline der linksjugend sucht man nahezu vergeblich nach rechten Shitstorms im letzten Jahr. Selbst auf eine „FCK AFD“-Grafik reagierte der politische Gegner gelassen. 

 

Junge Liberale (JULIS)

 

Mitglieder: 10.000

FB: 12.900 (+ 4.500)

Twitter: 10.500 (+ 3.500)

Instagram: 2.600 (+ 2.100)

 

Bei den Jungen Liberalen beschäftigt sich inzwischen ein achtköpfiges Team ehrenamtlich mit Social Media. Das Ergebnis: im Juli ist in Berlin der Social-Media-Warroom der JuLis gestartet. In einem ehemaligen Imbiss in Lichtenberg beantworten zehn Praktikanten bis zur Bundestagswahl Mitte September möglichst jeden Kommentar auf den Seiten der JuLis, bedienen einen Live-Chat auf der Homepage und eine Telefon-Hotline. Die kommende Bundestagswahl ist für den FDP-Nachwuchs besonders wichtig - waren sie bei der Wahl 2013 doch krachend aus dem Parlament geflogen.

 

Die Social-Media-Trooper wurden zuvor in digitaler Kommunikation geschult. Zusätzlich steht ihnen den gesamten Zeitraum über eine Ombudsperson zur Seite, die bei Problemen hilft. „Wir sind uns bewusst, dass unsere Helfer und Praktikanten zum Teil recht jung sind und womöglich mit harten Auseinandersetzungen im Netz konfrontiert sein könnten“, sagt Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender.

 

Auf das Ergebnis darf man gespannt sein. Noch ist der Zuwachs der JuLis vergleichsweise bescheiden. Während andere Jungparteien etwa auf Twitter fünfstellig zulegen konnten, wirkt der JuLis-Account an manchen Tagen eingeschlafen. Um auf allen Kanälen besser zu werden, haben sich die JuLis die Unterstützung der Hamburger Digitalagentur Crowdmedia geholt, die vor allem für Facebook-Postings zuständig ist. Zusätzlich war ein Social-Media-Team der JuLis in Wien bei den Junos, dem Jugendverband der extrem digital orientierten Partei NEOS, um dort im Rahmen eines Workshops von und mit ihnen zu lernen.

Anregung holte man sich auch bei den österreichischen Grünen. Die 89-jährige Holocaust-Überlebende „Frau Gertrude“, die sich im Wahlkampf für Alexander Van der Bellen aussprach, diente den JuLis als Vorlage für ihr „Generationen-Video“, das auf Facebook über 32.000 Aufrufe erhielt. Bisher wurde an den Erfolg nicht angeknüpft. Doch: „Wir sind schon jetzt am planen welche zwei, höchstens drei richtig guten Videos wir im Bundestagswahlkampf machen“, sagt Konstantin Kuhle.

 

GRÜNE JUGEND (GJ)

 

Mitglieder: 8.000

FB: 8.400 (+ 1.900)

Twitter: 27.300 (+15.300)

Instagram: 1.400 (+900)

 

Die Grüne Jugend gab im letzten Jahr an, bis zum Bundestagswahlkampf „neue Videoproduktionen etablieren zu wollen“. Heute ist der YouTube-Button von ihrer Website gänzlich verschwunden. „Wir haben YouTube hinten angestellt. Videos laufen im Facebook-Stream einfach viel besser“, sagt Moritz Heuberger, Bundessprecher der Grünen Jugend. Auf der Facebook-Seite der Grünen Jugend sind in diesem Jahr drei Videos erschienen – noch ist zumindest dort vom Wahlkampf wenig zu spüren.

 

Anders sieht es bei Instagram aus. Im vergangen Jahr stand die Foto-App auf Moritz Heubergers „Prioritätenliste” noch weit unten, heute hat die Grüne Jugend ihre Followerzahl dort immerhin verdreifacht und probiert sich auch an Instagram Stories. Diese Weiterentwicklung der Foto-App eigne sich, da sind sich alle Jungparteien einig, deutlich besser als ihr Vorbild Snapchat.

 

Mehr als fast alle anderen Jungparteien, hat die Grüne Jugend im vergangenen Jahr bei Twitter zugelegt. Als Gründe für den Zuwachs nennt Moritz zum einen konkrete Posts wie das „nein“ mehrerer Landesverbände der Grünen Jugend zur Deutschlandflagge während der EM 2016, der ihnen viel Aufmerksamkeit bescherte. „Dafür haben wir gleichzeitig viel hate, aber auch viele Likes bekommen“, so Moritz. Zum anderen bemühe man sich auf Twitter inzwischen um Kontinuität, so gut dies mit den ehrenamtlichen Strukturen eben ginge.

Junge Alternative für Deutschland (JA)

 

Mitglieder: 2.000

FB: 19.600 (+ 4.600)

Twitter: 860 (+860, gibt es erst seit Juli 2016)

 

„Wie beunruhigend ist es, dass die Ausnahmen ausgerechnet am rechten Rand zu finden sind?“, fragten wir uns im vergangenen Jahr. Damals sorgte die grade mal 800 Mitglieder starke Junge Alternative unter anderem mit personalisierten Attacken („Claudia Roth hat in Köln mittelbar mitvergewaltigt“) auf Facebook für eine hohe Reichweite. „Wenn man nicht provoziert, wird man nicht gehört”, sagte Sven Tritschler, Chef der Jungen Alternativen (JA) dazu. Grenzen wurden bewusst überschritten, auch juristische Konsequenzen nicht gescheut.

 

Und heute? Die JA, gegründet 2013, ist bei ihrer Strategie der gezielten Provokation geblieben. Mit Post wie “Wie kann man bisexuell sein, wenn es hunderte Geschlechter gibt?”, 218 Likes, kann sie noch immer am meisten punkten. Der Zuwachs auf Facebook ist, verglichen mit den anderen Jungparteien sowie gemessen an der Mitgliederzahl, noch immer groß. Das zeigt, dass rechtspopulistische Provokation funktioniert. Auch und grade bei jungen Menschen. Auf anderen Kanälen wie Twitter und Instagram tut sich dafür auf Bundesebene sehr wenig bis gar nichts.

FAZIT

 

Wahlkampf, das hat nicht zuletzt die US-Wahl gezeigt, findet bei jungen Menschen heute vor allem auch auf Social Media statt. Bei einer Studie des PEW Research Center gaben 35 Prozent der 18- bis 29-Jährigen Amerikaner soziale Netzwerke als wichtigste Informationsquelle zum Präsidentschaftswahlkampf an. Ähnliches ist hierzulande für den Bundestagswahlkampf zu erwarten. Gemäß einer Studie der Kommunikationsberatung Faktenkontor und des Marktforschers Toluna sind 88 Prozent der Deutschen zwischen 20-29 Jahren bei Facebook unterwegs. Unter den 10 bis 18-Jährigen informieren sich laut des Digitalverbandes Bitkom hierzulande bereits 34 Prozent in den sozialen Netzwerke über aktuelle Nachrichten.

 

Die Nachwuchsprobleme der Mutterparteien sind bekannt. Bleiben sie bestehen, müssen sich auch die Jungparteien die Frage nach ihrer Daseinsberechtigung weiterhin stellen lassen. Jugendorganisationen sollte es daher gelingen, im Netz zwischen cool und bemüht den richtigen Ton zu treffen, relevante Inhalte zu kreieren und diese zu verbreiten. Politische Bildung darf nicht nur im Klassenzimmer, in Sommercamps und auf den Websites der Jungparteien stattfinden, denn das ist wenig integrativ. Jungparteien haben das Glück direkt an der Quelle zu sitzen, sie bestehen aus jungen Menschen. Warum also nicht den politisch interessierten Nachwuchs über die kommunikativen digitalen Kanäle stärker einbinden?

 

Der Wille dazu ist da. Dass sich innerhalb der Jungparteien nun verstärkt Social-Media-AGs bilden, die auf Konferenzen neue Ideen ausbrüten und mit Digitalagenturen zusammenarbeiten, merkt man einigen Kanälen bereits an. Andere haben, drei Monate vor der Bundestagswahl, dringend Nachholbedarf.

 

Ob es der Fidget Spinner am Ende in den JU-Shop schafft, bleibt abzuwarten. Nicht jeder Trend stößt auf Gegenliebe: „...kann nix außer sich im Kreis drehen ...wenn das die Botschaft sein soll“, kommentiert ein Nutzer. Ein anderer meint: „Einmal in Fahrt, bleibt es lange aktiv.“

 

 

 

 

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