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Warum das Gemecker über die Bahn nervt

Foto: Volker Emersleben/Deutsche Bahn

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Ich kann’s, nein das stimmt nicht: Ich mag’s nicht mehr hören. Mit welch schadenfreudiger Wollust man sich doch am Wochenende über die Pannen der Deutschen Bahn amüsiert hat. Über die Verspätungen, technischen Störungen, was auch immer der neuen ICE-Verbindung zwischen München und Berlin. Völlig egal, ob man sich durch die sozialen Medien geklickt, in der U-Bahn oder der Kneipe gesessen hat: Überall waren scharfzüngige, bemüht ironische, oft auch nur moosdoofe Kommentare zu hören.

An sich kein Wunder. Mit der Bahn verhält es sich schließlich wie mit dem Wetter, dem Finanzamt oder Herpes. Jeder hat eine Meinung dazu, fast jeden berührt es irgendwie, und es ist denkbar niederschwellig, sich darüber aufzuregen. Das Gemecker, das dabei dann rauskommt, gehört zu den gartenzwergigsten und currywurstigsten Seiten der deutschen Seele.

Die vergangenen Tage also. Gefühlt jeder x-beliebige Feed wurde zum Live-Ticker darüber, wie viel Verspätung der neue ICE hat. Zwanzig Minuten, vierzig Minuten, spätestens ab der ersten vollen Stunde lasen sich die meisten Posts so, als würden die Finger schon lüstern über’s Display tänzeln: Wann kann man endlich, endlich drüber herziehen, dass es jetzt schon zwei Stunden Verspätung sind, muss man sich mal vorstellen, ZWEI STUNDEN! Wären die Posts Comicstrips gewesen, hätte über allem ein großes „Grummel!“ oder „Bruuuhaha!“ gestanden, je nach dem.

Dass es lästig ist, wegen einer Zugverspätung einen Termin zu verpassen: klar. Dass Zugabteile auf Dauer nicht das Angenehmste sind, erst recht nicht die Menschen, mit denen man manchmal verdammt ist, seine Zeit dort zu verbringen: auch klar. Andererseits: Wie einfach es ist, über die Bahn herzuziehen. Wie furchterregend fad!

Bahn-Meckerer sind ein bisschen wie Restaurantgäste, die den Kellner das Besteck austauschen lassen, weil ein Fleck drauf ist

 

Mir fallen einige Zugfahrten ein, die schwer erträglich waren. Hatte aber nichts mit der Bahn zu tun. Eher mit den meist älteren, etwas gräulich dreinblickenden Herren, die mit mir im Abteil saßen. Die bei der geringsten Verspätung ihre Frau anriefen, man wolle nur Bescheid sagen, dass das eng werde mit Abendessen, die Bahn mal wieder. Die ihre Frau dann viertelstündlich über ihren Erregungszustand informierten, den Rest des Abteils gleich mit, und irgendwann zu monieren begannen, dass es im Bistro jetzt Wasser und Kaffee umsonst gebe, ihnen das aber nichts nütze, weil sie ja längst beim Bier angekommen seien.

Bahn-Meckerer sind ein bisschen wie Restaurantgäste, die den Kellner das Besteck austauschen lassen, weil ein Fleck drauf ist. Die sich darüber ärgern mögen, sich im selben Moment aber freuen, etwas beanstanden zu können. Die in solchen Momenten alle Moral und alles Recht bequem auf ihrer Seite wissen, denn: Sie haben dafür bezahlt.

Die vergangenen Tage noch mal: Da doktert die Bahn also 26 Jahre an einer Linie, buttert mehrere Fantastilliarden hinein, und dann läuft es am Premierenwochenende so gar nicht: schon blöd. Kann einem fast leidtun. Vor allem, weil in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren kein Mensch drüber sprechen wird, wenn die Züge pünktlich sind. Hat man ja bezahlt, darf man doch erwarten. Wozu sich Bahn-Meckerer dann noch am ehesten hinreißen lassen, sind so edgy Kommentare wie: „War pünktlich, ganz ungewöhnlich.“

Was ich am Herziehen über die Bahn übrigens am nervigsten finde: Dass es sinnlos ist. Denk ich mir jedes Mal, wenn im Abteil wieder einer in sein Handy schwadroniert. Bringt nichts, möchte ich so jemandem ins Ohr flüstern. Der Regen verzieht sich ja auch nicht, nur weil man ihn anblökt.

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