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"Der Satz 'Nein heißt nein' ist an Banalität nicht zu überbieten"

Foto: republica / Jan Zappner

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Eigentlich funktioniert es bei dem Netzkongress re:publica in Berlin ja so: Je jünger der Vortragende, desto größer seine Glaubwürdigkeit. Logisch also, dass beim Vortrag des 14-jährigen Schülers Joshua Arntzen über Snapchat die Leute bis vor die Saaltür stehen, dabei ist er selbst nicht mal anwesend. Seine Session wird per Skype übertragen. Aber ein 14-Jähriger und Snapchat – der muss Ahnung haben.

Gegenbeispiel: Als EU-Kommissar Günther Oettinger kurz darauf über Netzneutralität spricht, ist der Saal auch zunächst voll – allerdings nur, damit die Leute nach wenigen Sätzen kopfschüttelnd gehen und sich danach auf Twitter über sein Englisch lustig machen können. Ungefähr so ist das.

Eine Ausnahme in dieser Logik ist allerdings der Jurist Thomas Fischer. Fischer ist 63 Jahre alt, Vorsitzender Richter am 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe und sein erster Satz bei der Session am Mittwochmittag lautet: „Ich beherrsche kein Powerpoint und habe auch nicht mehr vor, es in diesem Leben zu lernen.“ 1200 Menschen schauen ihn an. Manche applaudieren. Andere gucken bereits jetzt sehr böse. Der Zuschauerraum zur Bühne 1, der größten re:publica-Bühne, ist voll. Manche Menschen setzen sich sogar auf den Boden, um Fischer zuzuhören. Titel des Vortrags: „Strafrecht, Wahrheit und Kommunikation“.

Es wird dabei auch um die Ereignisse der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte gehen und Fischer wird die Sache tatsächlich ohne Powerpoint durchziehen. Bedeutet: Keine Gifs, dafür sehr viele, sehr lange Sätze mit sehr vielen Kommata. Vorgetragen vom Blatt. Fischer ist kein klassischer Digitalpapst. Das Digitalste an ihm ist vermutlich seine wöchentliche Kolumne „Fischer im Recht“ auf Zeit Online.

Dass Fischer heute spricht, wurde kurzfristig angekündigt. Eigentlich war er bereits am Vortag dran, die Veranstaltung wurde aber abgesagt. Offizielle Begründung: Fischer habe seinen Flieger verpasst. Da tratschten sie allerdings bereits auf der re:publica: „Der Fischer hat Angst vor uns und unseren Fragen.“ Zum Beispiel. Denn das ist der eigentliche Grund, warum viele re:publica Menschen Fischer sehen wollen: Der Mann ist umstritten. Und dass die re:publica ihn eingeladen hat, war nicht nur intern eine große Diskussion.

Vom „widerwärtigen Thomas Fischer, der die republica entwertet“ war auf Twitter vorab zu lesen, immer wieder sollte die Programmchefin sich für die Einladung rechtfertigen. Sogar die Grünen-Poltikerin Renate Künast mischte sich ein: „Ich wüsste gern, was uns das sagen soll? Teilt ihr die Meinung, dass Frau genug geschützt ist?“, twitterte sie an die re:publica. Andere forderten, dass Fischer zumindest nicht alleine sondern nur mit Gegenredner sprechen dürfe. Die re:publica lehnte das ab – schließlich dürften andere Keynote-Speaker ja auch alleine auf die Bühne.  

Aber was ist denn nun genau das Problem mit Thomas Fischer? Hat es hier etwa unbemerkt ein Frauenfeind über die Zwischenstation BGH auf die re:publica geschafft? Oder ist das eher ein Filterbubble-Problem?

Um die Diskussion um Thomas Fischer zu verstehen, muss man seine zweiteilige-Kolumne zum Thema „Verschärfung des Sexualstrafrechts“ gelesen haben. Die ist zwar kurioserweise bereits vor mehr als einem Jahr erschienen, hängt ihm aber immer noch nach. Fischer hatte sich darin dafür ausgesprochen, „das Sexualstrafrecht mal in Ruhe zu lassen“. Zwar gäbe es immer wieder gerichtliche Fehlentscheidungen, diese würde man allerdings nicht mit einer Verschärfung in den Griff bekommen. Und sowieso sei es ein Riesenproblem, dass die ganze Diskussion nur von Laien geführt würde, die keine Ahnung von unserem Rechtssystem hätten – was man als klaren Seitenhieb auf die Diskussionskultur im Netz verstehen kann.

Auf diese Sichtweise folgte natürlich Widerspruch. Renate Künast, ebenfalls Juristin und von Fischer in der Kolumne aus ihrer Sicht zu Unrecht vorgeführt, schrieb damals: „Weniger das geschriebene Recht selbst, als seine Anwendung durch die Gerichte atmet hier den uralten Geist, dass die Frau einen sexuellen Übergriff doch hätte verhindern können, wenn sie sich nur anders benommen hätte. Wenn sie sich kraftvoll gewehrt, lauthals geschrien oder möglicherweise einfach keinen so kurzen Rock angezogen hätte.“ Die Replik der Kolumnistin Margarete Stokowski in der taz trug sogar den schönen Titel „Im Recht, am Arsch“ und hatte das zynische Fazit, kleinen Mädchen am besten doch gleich das Gehirn zu amputieren. "Dann werden sie auch – wie praktisch – gleich ein bisschen leichter."

Vielleicht wäre die Diskussion hier ausgelaufen. Jeder hat gesagt, was er denkt, und das ist okay. Wäre die von Thomas Fischer abgelehnte Verschärfung des Sexualstrafrechts nicht Realität geworden. Im Juli vergangenen Jahres verkündigte Justizminister Heiko Maas, an einem neuen Entwurf zu arbeiten. Mittlerweile liegt dieser auch vor: Der Straftatbestand „Vergewaltigung“ soll zukünftig auch dann bereits erfüllt sein, wenn dem Opfer Gewalt angedroht oder es schutzlos überrumpelt wurde. Allerdings befürchten viele, dass dies in der aktuellen Rechtsprechung weiter dazu führen wird, dass die Opfer vor Gericht nachweisen müssen, dass sie sich gegen die Tat gewehrt haben.

Auch wenn Thomas Fischer also kein Powerpoint beherrscht – Twitter scheint er ab und zu zu lesen. Er wirkt nervös.

Viele Menschen empfinden diese Regelung als falsch. Sie wollen, dass bereits ein verbales „Nein“ als Wehren gewertet wird („Nein heißt nein“). Und als Thomas Fischer als Redner auf der re:publica angekündigt wurde, fiel das auf einmal wieder allen ein – war der nicht dieser reaktionäre Typ, der Heiko Maas ablehnt?

Auch wenn Thomas Fischer also kein Powerpoint beherrscht – Twitter scheint er ab und zu zu lesen. Er wirkt nervös da oben auf der Bühne. Trägt als einer der Wenigen Anzug und Aktentasche. Spricht das Publikum mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ an. Man hätte irgendwie erwartet, dass er poltert. Aber seine Stimme ist leise. Fischer will über Recht und Wahrheit reden. Darüber, dass es die eine objektive Wahrheit eben nicht gebe, auch nicht im Recht. Sondern nur menschenmögliche Annäherungen daran. Dass ein lückenloses Strafrecht, wie derzeit von vielen gefordert, gleichbedeutend mit einem totalitären Staat sei. Immer wieder bekommt er dafür Applaus. Das macht ihn lockerer. Er beschimpft sogar ein bisschen das Publikum, als er sagt, niemand könne heutzutage mehr lange und komplexe Sätze verstehen. Aber auch das mag das Publikum. Das Thema Sexualstrafrecht umschifft er weitestgehend. Aber am Ende sind ja noch fünf Minuten Zeit für Fragen.

Ein junger Mann steht also auf. Seine Frage ist auch sehr lang. Aber eigentlich will er wissen, warum Fischer gegen die „Nein heißt nein“-Regelung bei der Vergewaltigung von Frauen sei. Es wird still im Saal.

Fischer schluckt kurz. Dann versucht er es erst mit einem rhetorischen Trick, referiert darüber, dass diese Regelung wenn dann ja auch für Männer gelten müsse. Jemand brüllt von hinten „Das meinst du doch nicht ernst. Antworte!“ Jetzt poltert Fischer doch ein bisschen: „So lange Sie dazwischen schreien, kann ich nicht antworten“. Und dann sagt er, und da hat er natürlich einen Punkt: „Ich habe zu den Entwürfen vom Justizminister doch noch gar nichts geschrieben. Das wollte ich in meiner Kolumne kommende Woche tun.“ Es wirkt, als würde er sich da ehrlich missverstanden fühlen.

Dann sagt er aber doch noch, dass er den Satz „Nein heißt nein“ an Banalität nicht zu überbieten fände. „Das ist ja ähnlich wie 'Wetter ist Wetter' und hat mit der Strafverfolgung an sich nichts zu tun.“ Diesen Satz werden später manche Menschen twittern, als Beweis dafür, dass es ja eh war wie gedacht: Fischer, der die Probleme von Vergewaltigungsopfern nicht ernstnimmt, tut einen Verbesserungsvorschlag als banal ab. So einen hätte man ja nie einladen dürfen.

 

Und irgendwie schließt sich da auch der Kreis: Auf der einen Seite Fischer, der will, dass die Menschen alles mal ein bisschen differenzierter betrachten. Die Schuld nicht nur beim Gesetz an sich, sondern auch bei dessen Umsetzung, bei den Gerichten und Anwälten, suchen. Und sich ein bisschen mehr mit dem juristischen Regelwerk beschäftigen. Nicht nur Meinung äußern, sondern auch ein bisschen Sachverstand. Aber um mit dieser Meinung gehört zu werden, muss er poltern. Weil eine ganz grundlegende Feststellung bei uns momentan unterzugehen droht: Dass jeder nämlich eine Meinung haben darf. Er darf sie äußern, und das öffentlich. Im Gegenzug darf diese Meinung auch jeder andere Mensch doof finden und sich darüber aufregen. Und Menschen mit aus der eigenen Sicht blöden Meinungen auf Veranstaltungen einladen, darf man sowieso. Nur hysterisch sollten wir dabei nicht werden. Ist nämlich eigentlich alles selbstverständlich.

 

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