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Youtube: Verschwörungstheorien verbreiten sich auf Youtube – warum?
Auf Youtube finden sich Tausende Videos, in denen allerhand behauptet wird: Die Erde sei eine Scheibe, Ebola eine Erfindung der Industrie und der Angriff auf das World Trade Center ein hinterhältiger Plan der US-Regierung. Aber warum verbreiten sich die kruden Ideen so gut über die Videoplattform? Und wer steckt dahinter? Das erklärt Pia Lamberty, Sozialpsychologin an der Universität Mainz und Expertin für Verschwörungstheorien.
jetzt: Mir kommt es vor, als wären Verschwörungstheorien gerade viel mehr in den Köpfen als vor einigen Jahren. Ist das tatsächlich so?
Pia Lamberty: Aktuell gibt es noch keine Studien, die das genauer beleuchten. Eine Untersuchung lässt das aber vermuten, sie beschäftigte sich mit der sogenannten „Verschwörungsmentalität“. Also damit, ob die Deutschen grundsätzlich bereit sind, an Verschwörungen zu glauben. Seit 2016 ist demnach fast jeder Dritte dazu bereit. 2012 waren es nur 20 Prozent. Dabei ist der Glaube an Verschwörungen aber kein neues Phänomen, sondern seit jeher im Menschen verankert.
Wie kann man sich dann erklären, dass Verschwörungstheorien gerade wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Ich denke, dass die Sensibilität für das Thema gestiegen ist und die Gefahren von Verschwörungsdenken bekannter geworden sind. Natürlich ist es heute aber auch einfacher, einzelnen Ideen zu verbreiten. Wenn ich vor 50 Jahren eine Idee hatte, konnte ich die in der Dorfkneipe erzählen. Jetzt kann ich sie ins Internet stellen und so theoretisch mit der gesamten Menschheit teilen. Zum Beispiel auf Youtube.
Was sind so klassische Theorien, auf die sich dadurch viele einigen?
Wenn Menschen ein Ereignis wichtig ist, dann glauben sie, dass es auch gewichtige Ursachen haben muss. Das sieht man zum Beispiel beim Tod von Prinzessin Diana. Heute glauben nach einer neueren Studie der Uni Mainz immer noch 25 Prozent, dass sie umgebracht wurde. 18 Prozent glauben, dass Flugzeuge Chemikalien versprühen, um das Wetter zu beeinflussen. Zehn Prozent waren der Meinung, Einwanderung sei eine gezielte Strategie, um die Gesellschaft zu zerstören.
Zu all diesen Theorien finden sich auch Videos auf Youtube. Was macht die Plattform so attraktiv für Verschwörungstheoretiker*innen?
Verschwörungsideolog*innen denken oft, dass die Medien der verlängerte Arm der Regierung seien – deshalb suchen sie eine Alternative. Youtube bietet sich für sie an, weil jeder dort etwas hochladen und kommentieren kann. Menschen mit starker Verschwörungsmentalität differenzieren außerdem weniger stark zwischen Laien und Experten. Sie glauben, was sie in den Videos sehen, so wie andere Studien glauben.
Sie sagen nicht: „Es war so und so“, sondern fragen suggestiv: „Kann es wirklich so sein?“
Aber warum nutzt man gerade eine Videoplattform, keine für Texte?
Videos wirken glaubhafter und überzeugender, triggern mehr Emotionen. Außerdem begünstigt die Struktur von Youtube die Verbreitung von Verschwörungstheorien: Die Plattform möchte ja, dass die Leute möglichst viel Zeit auf Youtube verbringen. Deshalb schlagen sie immer wieder ähnlichen Content vor, wie der Zuschauer oder die Zuschauerin schon geschaut hat. Um den Effekt kennenzulernen, habe ich mich selbst bei Youtube umgesehen, mit einem anonymen Account, sodass der Algorithmus meine Präferenzen nicht bedenkt. Ich gab „Impfen Kritik“ ein – mir wurden sofort weitere Verschwörungserzählungen empfohlen. Von da an leitete mich Youtube durch eine apokalyptische Welt.
Pia Lamberty ist Sozialpsychologin und forscht an der Universität Mainz immer wieder zu Verschwörungstheorien.
Hilft gegen dieses Problem, Wikipedia-Links unter solche Videos zu setzen?
Youtube hat das zwar als Maßnahme eingeführt, um etwas gegen Desinformation zu bewirken. Ich glaube aber, dass es zu kurz greift und nicht effektiv ist. Youtube-Videos sind intensiver, da spricht eine echte Person zu einem. Dagegen mit einem faktenorientierten, trockenen Artikel anzukämpfen, wird kaum helfen.
Mit welchen Mitteln arbeiten Verschwörungstheoretiker*innen, um ihre Theorien möglichst glaubwürdig zu machen?
Auffällig ist, dass viele in dem Bereich mit Fragen arbeiten. Sie sagen nicht: „Es war so und so“, sondern fragen suggestiv: „Kann es wirklich so sein?“ oder „Haben sie schon mal darüber nachgedacht, dass …?“ Sie suggerieren eine Antwort, formulieren sie aber nicht. Sie schaffen so eine Unsicherheit bei den Zuschauer*innen. Außerdem arbeiten sie klar mit Feindbildern: Alle, die eine andere Meinung als sie selbst haben, sind gekauft, böse oder naiv. So werten sie sich selbst auf und jeden, der widerspricht ab – als Teil der Verschwörung oder als „Schlafschaf“.
„Man muss sich fragen: Werden hier Quellen angegeben? Wenn ja: Sind die seriös?“
Whistleblower*innen werden in der Bevölkerung ja oft gefeiert. Denken Verschwörungstheoretiker*innen Sie seien genau das?
Das geht so in die Richtung. Sie glauben, die Einzigen zu sein, die „die Wahrheit“ sehen. In dieser Weltsicht lügen „die Anderen“, während die „Aufgeweckten und Aufgewachten“ von sich behaupten, sie seien dem Hamsterrad entkommen und würden „aktiv Geschehnisse hinterfragen“.
Dürfen wir uns dann überhaupt wundern, dass gerade mehr Menschen an Verschwörungen glauben? Wenn immer wieder Skandale wie das weltweite Abhörprogramm der NSA ans Licht kommen?
Aktuell haben wir wenig Belege für die Annahme, dass mehr Misstrauen zu mehr Verschwörungsdenken führt.
Was kann ich als Nutzerin tun, um Verschwörungstheorien zu entlarven? Wie merke ich, dass unwahr ist, was im Video erzählt wird?
Da hilft erstmal ein klassischer Quellencheck. Man muss sich fragen: Werden hier Quellen angegeben? Wenn ja: Sind die seriös? Es gibt inzwischen sogar Seiten, die solche Checks anbieten. Außerdem kann die Art der Erklärung schon stutzig machen: In den Videos wird viel schwarz-weiß erklärt, mit Gut versus Böse argumentiert. Noch dazu werden Schlussfolgerungen oft viel zu sehr verallgemeinert.
„Menschen, die an Verschwörungen glauben, sind häufiger antisemitisch“
Unter Videos mit Verschwörungstheorien sammeln sich auf Youtube oft antisemitische und rechtsextreme Kommentare. Können Sie sich das erklären?
Es gibt eine inhaltliche Anschlussfähigkeit zwischen Populismus und Verschwörungserzählungen. Populisten verstehen sich als „das Volk“, das sich gegen die vermeintliche Elite wehren muss. Diesen Gedanken erkennt man auch in der Verschwörungserzählung: „Wir gegen die da oben.“ Es herrscht in beiden Welten ein generalisiertes Misstrauen gegen alles, was als mächtig wahrgenommen wird.
Wie gefährlich können Verschwörungserzählungen sein?
Das konnte man zuletzt beim Terroranschlag auf die zwei Moscheen in Christchurch und dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle an Jom Kippur sehen. Beide Attentäter nutzen Verschwörungsmythen als Rechtfertigung für ihre Taten.
Wer sind die Menschen, die Verschwörungstheorien im Netz verbreiten oder sie glauben?
In unserer Studie von 2019 konnten wir sehen, dass Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität bestimmte Tendenzen haben: Sie billigen Gewalt eher oder sind auch gewillt, selbst Gewalt einzusetzen. Sie haben starke Feindbilder, sind tatsächlich auch häufiger antisemitisch. Außerdem hängen Verschwörungsmentalität und politisches Verhalten oft zusammen. Je mehr die Menschen an solche Dinge glaubten, desto weniger wollten sie sich an demokratischen Verfahren beteiligen, also zum Beispiel wählen gehen oder demonstrieren. Oder eben andersrum.
„Das Gefühl von Kontrollverlust kann dazu führen, dass man an Verschwörungen glaubt“
Welche Menschen sind besonders „anfällig“ dafür, Verschwörungstheorien zu glauben?
In der diesjährigen Mitte-Studie konnten wir sehen, dass Männer eher zu Verschwörungen neigen als Frauen. Dafür gibt es keine Unterschiede bei Altersgruppen, zwischen Ost und West oder Migrationshintergrund. Es gibt auch keine Hinweise, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften damit etwas zu tun haben.
Was sich allerdings zeigte: Menschen mit niedriger formaler Bildung glauben eher an Verschwörungen. Das hat damit zu tun, dass diese Menschen glauben, weniger Kontrolle und Einfluss in der Gesellschaft zu haben. Dieses Gefühl von Kontrollverlust kann tatsächlich dazu führen, dass man verstärkt an Verschwörungen glaubt. Denn die geben Struktur, man verbindet Muster, erklärt sich Dinge situativ. Daneben zeigt sich auch, dass Verschwörungsideolog*innen einzigartig sein wollen. Das sieht man auch daran, wie sie sich selbst auf Youtube inszenieren: Alle anderen sind „Schlafschafe“, nur sie sind die Wissenden.
In den Kommentarspalten können sie sich zusammentun. Schätzen Sie das als Gefahr ein?
Ja, denn die Kommentierenden geben den Macher*innen des Videos und sich gegenseitig Auftrieb. Außerdem wirkt es auf Außenstehende, als könne sich eine Mehrheit auf die Ideen einigen. Es werden ja teilweise auch gezielt falsche Nachrichten verbreitet. Zusätzlich können sich neue Ideen verbreiten und das Ganze noch weiter radikalisieren.
Wie sollte ich mit Theoretiker*innen in den Kommentaren diskutieren?
Gegenrede kann natürlich wichtig sein, um diesen Ansichten nicht unwidersprochen das Feld zu überlassen. Sie kann aber sehr mühsam sein. Nehmen wir an, ich finge an, mit jemandem zu diskutieren, der die Terroranschläge 9/11 als „Inside Job“ bezeichnet. Der hat sich schon so reingefuchst, hat schon so viele „Fakten“ gelesen, dass er mich mit Details bombardieren wird: „Und warum ist XY dann an diesem Tag nicht in die Arbeit gegangen?“. Hier sollte man ihm einfach das generelle Gefühl spiegeln, dass die Erklärungen verkürzt sind und dort einschreiten, wo es menschenfeindlich wird.