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„Wir sind ausgerüstet mit Handspiegeln, Handtüchern und Gleitgel“

Illustration: Daniela Rudolf

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Seit Tagen berichten nationale wie internationale Medien über einen Workshop, der am Sonntag zwischen 15 und 18 Uhr in Bielefeld stattfinden wird: „Möseale Ejakulation – die Votzen spritzen zurück.“ Dort will eine Berliner Studentin unter dem Pseudonym Pia Voz-Picunt Teilnehmerinnen das Ejakulieren beibringen. Uns hat die „Ende 20“-Jährige erklärt, wofür sie das tut und wieso auch die praktischen Teile ihrer Workshops in einer Gruppe stattfinden.

jetzt: Pia, Du wirst an der Uni Bielefeld einen Workshop mit provokantem Namen geben: „Möseale Ejakulation – die Votzen spritzen zurück.“ Klingt wie eine Kampfansage. An wen richtet die sich?

Pia Voz-Picunt: Der Name ist eigentlich nicht als Kampfansage gemeint. Ich möchte ja gerade, dass wir uns beim Sex weniger abkämpfen beziehungsweise dort weniger Machtkämpfe ausfechten. Ich verstehe den Satz eher als Aufforderung zum Spielen und Ausprobieren. Aber wenn jemand ankommt und behauptet: „Die Möse kann gar nicht spritzen, sie ist ja nur ein Loch!“, dann darf die Bezeichnung meinetwegen gerne als Kampfansage interpretiert werden.

Du willst teilnehmenden Frauen und Transgendern beibringen, wie sie eben doch „abspritzen“, also ejakulieren können. Warum?

Mein übergeordnetes Ziel ist Bildungs- und Aufklärungsarbeit in einer offenen und wertschätzenden Atmosphäre. Deshalb finde ich auch in Ordnung, dass die Universität die Rahmenbedingungen stellt. Ich möchte die Vulva endlich aus der Schamecke holen und einen lustvollen Umgang mit diesem Organ ermöglichen. Wie sehr das vielen Frauen und Transmenschen unter den Nägeln brennt, merkt man auch am Ansturm auf den Workshop heute.

Wie viele kommen denn heute zum gemeinsamen Ejakulieren?

Erst war der Workshop für zehn Teilnehmerinnen angedacht. Weil es aber so viele Interessentinnen gab, haben wir jetzt 15 angemeldet. Dann musste ich aber leider „Stopp“ schreien, weil ich sonst nicht mehr genug auf jede einzelne eingehen kann.

Das klingt, als wüsstest du, was du tust. Das ist nicht dein erster Workshop, in dem die Teilnehmerinnen ejakulieren, oder?

Nein, ich habe schon einige Workshops veranstaltet. Nicht nur im liberalen Berlin, sondern auch in anderen Städten oder auf Festivals. Die waren sehr gut besucht, die Atmosphäre immer angenehm und vertraut.

Warum ist das mediale Interesse gerade für den Kurs heute Nachmittag so groß?

Ich glaube, das liegt am Widerstand vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Der kritisiert den bevorstehenden Workshop an der Uni heftig und hat ihn öffentlich als Orgie oder Masturbationsseminar betitelt. Das hat den Workshop total skandalisiert. Dort wird aber gar nicht masturbiert, sondern ejakuliert. Das ist ein Unterschied!

Und der besteht worin?

Dass eine weibliche Ejakulation nicht gleichzeitig mit dem Orgasmus kommen muss. Das ist bei Männern übrigens nicht anders. Die können auch trockene Orgasmen haben oder ejakulieren, ohne wirklich befriedigt zu sein. Deswegen ist mein Workshop eben auch kein Selbstbefriedigungsworkshop. Denn wenn die Frauen am Ende fröhlich spritzen, haben sie nicht zwangsläufig einen Orgasmus dabei. Tatsächlich habe ich noch nie erlebt, dass jemand in meinem Workshop gekommen ist. Es geht eher darum, Frauen zu zeigen, wie man diesen körperlichen Mechanismus in Gang setzt, der den Saft des Ejakulats freisetzt.

Wenn es in deinem Seminar nicht um einen Orgasmus geht – worum geht es dann?

Vor allem um Aufklärung. Die Frauen sollen herausfinden: Wo befindet sich bei mir die Prostata? Wie fühlt die sich bei mir an? Wie weit ist die Harnröhre vom Möseneingang entfernt? Was macht das mit meiner Ejakulationsfähigkeit? Wie verändert sich die Prostata, wenn ich die G-Fläche stimuliere? Das sind ja alles Fragen, mit denen wir uns sonst kaum auseinandersetzen, weil die Aufklärung in Deutschland nach wie vor sehr stark auf Fortpflanzung und Verhütung ausgerichtet ist.

Aufklärung, das klingt arg theoretisch.

Im ersten Teil bleibt es auch so: Wir sehen uns Schautafeln an. Da sollen die Frauen lernen, wie groß die Klitoris oder die Prostata eigentlich ist, wo sie genau verlaufen, wie sich das Schwellgewebe bei sexueller Erregung verändert. Diese ganzen anatomischen Details. Bis die Teilnehmerinnen diese Bilder verstanden haben, dauert es oft eine ganze Weile. Denn die meisten Frauen haben solche Bilder noch nie gesehen. Erst danach gibt es den praktischen Teil, in dem ich anleiten werde.

Wie muss man sich diesen praktischen Teil vorstellen?

Wir sind ausgerüstet mit Handspiegeln, Handtüchern und Gleitgel – wie die Frauen der Siebzigerjahre, die richtige Pionierinnenarbeit geleistet haben, den weiblichen Körper zu erforschen und ihre Erkenntnisse zu dokumentieren. Mit diesen Hilfsmitteln werden wir dann auf die Suche gehen: Wo liegt die Perle? Wo die Prostata? Wie sieht meine Möse denn nun eigentlich genau aus? Wie sind meine Lippen geformt? Sind die äußeren größer als die inneren? Was verändert sich innen und außen, wenn ich erregt bin?

Ist das nicht vielen Frauen unangenehm, sich vor den Anderen an den intimsten Stellen abzutasten?

Natürlich. Wir kommen ja alle mit einer gewissen Sozialisation da an, mit verschiedenen Vorstellungen, die uns eingetrichtert wurden. Aber das ist ja das Schöne an dem gemeinsamen Workshop: Man kann sich endlich anschauen, wie das eigentlich bei anderen Frauen oder den Transmenschen aussieht, die da sind. So kommen wir weg von der grauenhaften Normierung der Gesellschaft, dass eine Möse eine bestimmte Optik haben müsse.

Wo findet der Workshop denn später statt? In einem Seminarraum der Uni?

Der Workshop findet nicht an der Uni selbst statt, sondern in einer Wohnung, die uns jemand zur Verfügung stellt. Mir ist nämlich wichtig, dass der Veranstaltungsort kein steriler Raum, sondern dass er gemütlich ist. Dass da vielleicht Kissen liegen oder ein Bett drin steht. Da kann man sich auch mal ums Eck setzen, wenn man sich noch nicht ganz wohl fühlt vor den Anderen.

Wie kamst du überhaupt dazu, solche Workshops erst zu besuchen und sie dann auch selbst anzubieten?

Wie die meisten Frauen bin ich mit eher beschämendem Vokabular aufgewachsen, wenn es darum ging, meine eigene Möse oder mein sexuelles Empfinden zu beschreiben. Vor zwei bis drei Jahren wurde mir plötzlich bewusst, wie schlecht ich selbst über die weibliche Sexualität informiert bin. Dass ich gar nicht wusste, was überhaupt während dem Sex oder dem Masturbieren in meinem Körper passiert. Ich hatte nach dieser Erkenntnis einfach den starken Wunsch, mich damit auseinander zu setzen, weibliche Sexualität und Geschlechtsorgane mit positiver Sprache zu belegen. Nachdem ich das in Workshops im Netzwerk von Laura Merritt – die ist ja eine Ikone auf dem Gebiet – gelernt hatte, hatte ich Lust, diese Befreiung und Erkenntnisse auch selbst an andere weiterzugeben. Und das mache ich bis heute.

In Bielefeld wird also gerade nicht masturbiert. Dafür hier:

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