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Das Auslaufmodell

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Von Peter Praschl Nur noch fünf Wochen bis Weihnachten, aber im Oberpollinger ist es für einen Einkaufssamstag erstaunlich menschenleer. Im »LeBuffet« auf der fünften Etage braucht man sich für die Fresh-Flow-Gerichte nicht anzustellen, und kaum tritt man einer Ware näher, wird einem auch schon Beratung angetragen. Wie kann es sein, dass so kurz vor der Bescherung sich niemand für den Steiff-Teddy mit König-Ludwig-Orden interessiert, oder für die Vuitton-Heels und Dior-Bags auf dem Luxusboulevard? Wollte der Oberpollinger nicht nach seiner Neueröffnung vor drei Jahren zu einer Basilika werden, in die man auch pilgert, wenn man sich bloß das Staunen, nicht das Kaufen leisten kann?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Doch das zum insolventen Arcandor-Konzern gehörende Luxuskaufhaus liegt mitten in der Münchner Fußgängerzone. Deren Besucher haben überschaubarere Wunschzettel: Modeschmuck, Handy-Flatrates und die Economy-Fashion der einschlägigen Ket-ten, zwischendurch vielleicht eine Tüte gebrannter Mandeln. Die Frauen mit den Burberry-Schals und den richtigen Stickereien auf den Jeans-Taschen, die Frauen mit dem Drang nach Trophäen wissen wahrschein-lich nicht einmal, dass es die Kaufinger- und die Neuhauser Straße gibt. Falls sie doch einmal da waren, wollen sie so schnell nicht mehr hin. Zu laut, zu voll, zu hektisch. Bis zu 17 000 Passanten ziehen hier stündlich durch. Da verliert man auf der Stelle die Gewissheit, etwas Besonderes zu sein. Die Fußgängerzone wurde am 30. Juni. 1972 von Hans-Jochen Vogel der Öffentlichkeit übergeben. Es war die letzte Amtshandlung des damaligen Oberbürgermeisters, nur sieben Wochen vor den Olympischen Spielen, für die München sich systematisch modernisiert hatte. Seitdem fahren zwischen Stachus und Altem Rathaus nur noch zu den Lieferzeiten Autos. Auch die Radfahrer müssen absteigen, selbst spät nachts, wenn sich außer Polizisten niemand von ihnen gestört fühlt. Anfang der Sechzigerjahre hatten sich werktags noch 1400 Trams und 75 000 Autos durch die Kaufinger- und Neuhauser Straße gequält, und die Fußgänger mussten auf den engen Trottoirs »wie in Kolonnen« vorantrippeln, erinnert sich Vogel. So entschloss sich München zu einem radikalen Akt stadt-planerischer Notwehr: Unter Karlsplatz und Marienplatz wurden S- und U-Bahnhöfe vergraben, die Straßenbahnlinien in der Innenstadt abgeschafft, die Bürgersteige eingeebnet. Fortan hatten die Passanten freien Auslauf, 900 Meter lang. Damals galt es als revolutionär, dass eine Fußgängerzone sich so großzügig in einer Altstadt breitmachen durfte. Aus den Zeitungsartikeln jener Epoche spricht viel ungläubige Dankbarkeit. Dass Menschen keine Angst mehr haben müssen, über den Haufen gefahren zu werden! Dass sich eine Lärm- und Abgashölle durch eine urbane Idylle ersetzen lässt! Hans-Jochen Vogel ist immer noch stolz darauf, Münchens Mitte vor dem Individualverkehr gerettet zu haben, und Bernhard Winkler, der Architekt der Fußgängerzone, hat einmal gesagt: »Wer guten Willens ist, das Auto zu Hause in der Garage lässt, kann sich in dieser Stadt frei bewegen und glücklich sein wie die Menschen im Paradies, bevor sie vom Baum der Erkenntnis aßen.« Hier kannst du weiterlesen.

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