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Der Feind in mir

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Von Michaela Haas

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

(Sie möchten so einen Körper haben? Vergessen Sie’s. Nahezu jedes Foto in den Zeitschriften ist heute digital bearbeitet; Fotos, auf denen nackte Körper zu sehen sind, sogar ganz sicher.) Andrew ging zur Armee, zeugte sechs Kinder, trainierte, stand und rannte auf seinen Beinen, ohne jemals die Sehnsucht aufzugeben, sie abzuhacken. Schon als Sechsjähriger sah er neidisch den Poliokranken auf ihren Krücken zu, wie sie vermeintlich mehr Liebe und Zuwendung abbekamen. Doch es fand sich kein Chirurg, der ihm seinen Wunsch antun wollte, nur Psychologen, die ihm die Idee auszureden versuchten. Sie halfen ihm nicht. Kurz nach seinem 50. Geburtstag zwängte Andrew seine Beine in einen Gummistrumpf und packte sie in Trockeneis, bis die Kälte die Blutzufuhr abschnitt. Ein Chirurg sah sich schließlich gezwungen, die abgestorbenen Beine oberhalb der Knie zu amputieren. Erst der beinlose Andrew im Rollstuhl beschrieb sich als »glücklich« und »endlich ganz«. Susie Orbach erzählt Andrews Fall in ihrem neuen Buch Bodies. Ein extremes Beispiel, und doch nicht mehr selten: Tausende diskutieren inzwischen im Internet über die besten Methoden, ihre Arme und Beine loszuwerden. Der Hass auf den eigenen Körper nimmt immer radikalere Formen an. Man darf die Britin Susie Orbach die wohl berühmteste Psychoanalytikerin in London seit Sigmund Freud nennen; sie war die Bulimie-Therapeutin von Prinzessin Diana, hat eine Professur an der London School of Economics, ist Feministin und Autorin. Unter all jenen, die sich beruflich mit den Problemen befassen, die ein Mensch mit seinem Körper hat, kann sie als Kronzeugin gelten: Seit über dreißig Jahren beobachtet, beschreibt, therapiert sie Menschen, die ein ungesundes Verhältnis zu ihrem Körper haben. Und dieses Verhältnis spitzt sich zu. 1978 wurde Orbach mit ihrem Buch Fat is a Feminist Issue bekannt, auf Deutsch heißt es Anti-Diät-Buch, bis heute ein Standardwerk über Esssucht und auch Magersucht bei Frauen. Eine ihrer Thesen, damals so gültig wie heute: Millionen von Frauen hängen an der Alltagsdroge Essen. So lebt, mitten unter uns, eine Gruppe von völlig unauffälligen Süchtigen. Mit allen Konsequenzen einer Sucht. Jeder Fressorgie folgt unweigerlich eine scheinbar unüberwindbare Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit. Inzwischen aber machen jene, die unter Esssucht leiden – auch die Magersucht ist ja eine Form der Esssucht – nur einen kleinen Teil jener Patienten aus, die täglich in ihrem Therapiezentrum in einem Londoner Vorort sitzen; Bulimikerinnen und Depressive, Selbstmordgefährdete und Einsame kamen in großer Zahl dazu. Und alle leiden sie daran, dass sie ihren Körper nicht leiden können. Eigentlich wollte Susie Orbach höchstens zwei bis drei Patienten pro Tag behandeln, die eine gestörte Beziehung zu ihrem Körper haben, »aber der Körper ist inzwischen mehr oder weniger das Symptom, an dem fast jeder meiner Patienten sein Leiden festmacht. Das ist neu.« Der perfekte Körper ist zum Synonym für Glück geworden, die Wahrscheinlichkeit, unglücklich zu werden, liegt somit bei fast hundert Prozent. Die Unfähigkeit, ein selbstverständliches, ein unaufgeregtes Verhältnis zum Essen zu finden, hat sich gesteigert zur Unmöglichkeit, ein normales Verhältnis zum eigenen Körper zu finden. Das gilt für viele Frauen, aber die Männer holen rasant auf. Im Grunde führen wir Krieg gegen unseren Körper, er hat sich vom Freund zum Feind gewandelt. »Körperterror«, nennt Susie Orbach diesen Zustand, »wir erleben eine nie dagewesene Hysterie um den Körper, es gilt als normal, ihn nicht zu mögen. Millionen Menschen schämen sich für ihn, kämpfen täglich gegen ihn, weil er sie verstört und verunsichert. Das ist ein immenses Problem und hat nichts mit Eitelkeit zu tun«. Lies weiter im SZ-Magazin: Ob Nigeria oder Fidschi - der Körperfetischismus der industrialisierten Welt hat den hintersten Winkel dieser Erde erobert

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