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Der Herr der ostdeutschen Seelen

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Wohnen In meinen ersten Wochen als Chefredakteur habe ich einen großen Fehler gemacht, weil ich folgenden Satz im Heft stehen ließ: »Sie wuchs in einem tristen Plattenbau auf.« Am nächsten Tag lagen Dutzende von empörten Leserbriefen auf meinem Schreibtisch. Die Menschen im Osten liebten ihre Plattenbauten und empfanden sie nicht als trist. Im Gegenteil, wer in einem Plattenbau wohnte, genoss sogar ein gewisses soziales Prestige, der hatte eine Heizung und ein Bad. Und wenn einer aus dem Westen das abwertet, sind sie gekränkt. Anzeige In den Wohnungen haben die Menschen es gern kuschelig, ein großer Flachbildschirmfernseher muss sein, für den Blick in die weite Welt, dazu eine riesige Couch. Ein eigenes Haus können sich nach wie vor viele nicht leisten, deshalb spielt die »Muskelhypothek« eine viel größere Rolle als im Westen. Die Menschen bauen wesentliche Teile der Immobilie selbst, Bausparkassen und Banken akzeptieren das inzwischen als Quasi-Eigenanteil. Bewundern Die SUPERillu verleiht jedes Jahr einen ostdeutschen Medienpreis, die »Goldene Henne«. Bei dieser Veranstaltung zeigt sich immer wieder, dass unsere Leser Prominente bewundern, die bescheiden geblieben sind. Das Schlimmste, was ein Unternehmer oder Schauspieler tun kann, ist abheben. Der Schauspieler Wolfgang Stumph ist das Paradebeispiel: Der war schon vor und ist auch jetzt nach der Wende erfolgreich und wohnt mit seiner Frau immer noch in der gleichen Wohnung in Dresden. So was lieben die Menschen. Unbeliebt dagegen sind Stars, deren Alltag unsere Leser nicht mehr nachvollziehen können, Michael Schumacher oder Boris Becker, die sind zu affektiert, zu weit weg. Günther Jauch ist es gelungen, einer der wenigen gesamtdeutschen Stars zu werden. Auf keinen Fall vergessen darf man die Ost-Stars, die im Westen fast keiner kennt: Herbert Köfer (Schauspieler) oder Dagmar Frederic (Sängerin, Moderatorin), Gerd Christian (Schlagersänger) oder Wolfgang Ziegler, das Gegenstück zu Roland Kaiser. Wenn die Älteren an ihren ersten Kuss zurückdenken, verbinden sie dieses Erlebnis nicht mit den Beatles, sondern mit Frank Schöbel oder den Puhdys.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Reisen In Sachen Urlaub haben die Ostdeutschen großen Nachholbedarf: Zu DDR-Zeiten verbrachten die meisten – mehr als vier Millionen im Jahr – ihre Ferien in der CSSR. Oft übernachteten sie in Zelten und brachten den Proviant von zu Hause mit, alles andere war zu teuer. Viele ließen sich den Urlaub von der Gewerkschaft organisieren: zwei Wochen Ostsee für die ganze Familie im FDGB-Heim für 250 DDR-Mark. Heute fliegen die Menschen in die Türkei und nach Tunesien, beliebt sind All-inclusive-Angebote, die geben den Menschen das Gefühl, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Die Traumziele schlechthin bleiben Deutschland und Österreich. Einmal die Alpen sehen, das ist nach wie vor ein großer Wunsch der Ostdeutschen. Deswegen organisieren wir jedes Jahr eine große Leserreise: Vor ein paar Jahren waren wir mit 40 Bussen und 2000 Lesern in Wörgl und Ellmau am Wilden Kaiser. Am Abend spielte eine Trachtenkapelle, die Ost-Stars Gerd Christian und Dagmar Frederic sangen. Die Menschen waren selig. Essen und Trinken Ostdeutsche mögen keinen trockenen Wein und keinen Fisch. Zwar gab es in den größeren DDR-Städten die Restaurants »Gastmahl des Meeres«, aber auf dem Land kam höchstens mal eine Makrele auf den Tisch – dabei hatte die DDR eine der größten Fischfangflotten der Welt. Die Menschen scheuen sich vor exotischen Produkten, Ingwer oder Mangos sind in Neuruppin nichts Selbstverständliches. Bei den Rezeptseiten der SUPERillu müssen wir deswegen darauf achten, unsere Leser nicht mit Obst- oder Gemüsesorten zu überfordern, die sie nicht kennen. Ich werde nie vergessen, wie meine Frau (sie stammt aus der DDR und war 1986 legal ausgereist) immer vom selbst gemachten Kartoffelsalat ihrer Mutter geschwärmt hat. Und dann waren wir nach der Wende am Gorinsee in der Nähe von Berlin, und was packt die Mutter aus? Einen Eimer Kartoffelsalat aus dem Supermarkt. Für mich war das absurd, aber die Familie meiner Frau war stolz darauf: Auf einmal gab es Kartoffelsalat im Supermarkt, und das Beste: Man konnte ihn sich sogar leisten. * 3 Millionen ** 2,4 Millionen Lies weiter auf sz-magazin.de! Von Tobias Haberl, Dominik Wichmann (Interview) Illustration: cyan, Foto: Detlef Fiedler

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