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»Der Koch ist zum Künstler geworden«

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SZ-Magazin: Herr Kaufmann, Sie haben ein theoretisches Buch über das Kochen geschrieben, aber helfen Sie auch zu Hause in der Küche mit?

Jean-Claude Kaufmann: Ich helfe nicht nur mit, ich stehe sogar selbst am Herd. Trotzdem will ich mich nicht als leuchtendes Beispiel hinstellen. Ich muss nämlich auch dazu sagen: Das Essen ist das Einzige, worum ich mich im Haushalt kümmere. Den Rest macht meine Frau.

Damit gehören Sie zu den zehn Prozent der Männer, die regelmäßig für ihre Familie kochen, und zu den 98 Prozent, die nicht bügeln.

Ja, Paare nehmen sich zwar mehr und mehr vor, Haushaltsarbeiten gemeinsam zu verrichten, aber es existiert ein Gedächtnis des Körpers und der unbewussten Verhaltensroutine, das man nicht auf Anhieb ändern kann. Spülen ist zum Beispiel eine Aufgabe, die Männer ohne Probleme übernehmen könnten. Trotzdem kommt es immer wieder zu Komplikationen. Weil jeder seine eigene Art hat, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. Wenn die Teller und Gläser nicht an ihrem gewohnten Platz stehen, kann das ein merkwürdiges Unbehagen erzeugen. Gibt die Frau diesem Gefühl nach und räumt die Spülmaschine um, tappt sie in eine Falle. Sie hat zwar ihren Willen durchgesetzt, wird sich aber in Zukunft allein um den Abwasch kümmern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Foto: Jo Magrean 

Wollen Sie andeuten, dass die Frauen ihre Vormachtstellung in der Küche gar nicht abgeben wollen?

Nein, im Gegenteil. Viele Frauen sehnen sich danach, mehr Zeit für sich selbst zu haben und nicht mehr regelmäßig für die ganze Familie kochen zu müssen. Eine junge ledige Frau hat mir vor Kurzem erzählt, dass sie sich jeden Tag wieder darüber freut, ihre Einkäufe nicht planen und auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Sie weiß nie, was sie gerade im Haus hat, und nimmt sich, was der Kühlschrank hergibt: mal ein Stück Käse, mal ein Stück Schokolade, und wenn mal nichts da ist, verzichtet sie eben. Sie hat gelacht, als sie mir das erzählt hat. Es kam mir so vor, als wolle sie sich für die Jahrhunderte rächen, in denen die Frauen an den Herd gefesselt waren.

Trotzdem landen am Ende meistens doch wieder die Frauen in der Küche.

Weil sie in einer schizophrenen Lage stecken. Einerseits wollen sie ihr eigenes Leben führen, andererseits für ihre Familien da sein. In meiner Studie stelle ich eine Frau vor, die ihrem Sohn regelmäßig wunderbare Mahlzeiten zubereitet. Als er wegen eines Praktikums von zu Hause auszieht, hört sie von heute auf morgen zu kochen auf. Sie verspürt keinen großen Hunger mehr, isst nur noch Kleinigkeiten und entdeckt eine ganz neue Seite an sich: die unabhängige Frau, die sich um ihre schlanke Linie sorgt.

Und was passiert, als ihr Sohn zurückkehrt?

Sie fällt in ihr altes Schema zurück und kocht wieder für ihn. Und siehe da, auf einmal hat sie auch wieder Hunger und setzt sich zu ihm an den Tisch. Etwas in ihr ist stärker als der Wunsch nach Unabhängigkeit: Es ist die Liebe zu ihrem Sohn. Eine Mahlzeit kann ein Weg sein, diese Liebe zu äußern. Eine andere Frau, die ich mal zu ihren Koch- und Essgewohnheiten befragt habe, hat es auf den Punkt gebracht. »Das Essen«, hat sie gesagt, »ist eine Ersatzsprache der Liebe.«

Welche Aufgaben übernehmen die Männer in der Küche?

Ich unterscheide drei Typen: Der Pascha macht überhaupt nichts und lässt sich bedienen. Solche Männer gab es vor allem in den Fünfzigerjahren. Viele Frauen mochten das: Die Männer waren echte Genießer und ein dankbares Publikum. Heute gehören die meisten Männer einer zweiten Gruppe an, die ich als Handlanger bezeichne. Die Handlanger helfen zwar, aber nur ein bisschen. Sie decken den Tisch oder schneiden die Zwiebeln. Und dann gibt es noch solche, denen es nicht genügt, nur Befehle zu empfangen. Sie bilden die dritte Gruppe: die Küchenchefs. Die stehen zu besonderen Anlässen am Herd und kochen ein Meisterwerk, über das sie sich ausführlich auslassen. Am Ende erwarten sie, dass man sie lobt.

Und wie finden das die Frauen?

Oft gar nicht so gut. Ich kenne eine Frau, die sich genau deshalb ständig über ihren Mann aufregt. Wenn Freunde zu Besuch kommen, backt er einen Apfelstreuselkuchen. Er zieht eine richtige Show ab und verbietet ihr sogar, in die Küche zu kommen, damit sie ihm das Rezept nicht klaut. Die Gäste sind regelmäßig begeistert. Seine Frau ist verärgert, weil niemand über ihre Kochkünste spricht.

Viele Menschen schneiden Hunderte von Rezepten aus Zeitschriften aus und archivieren sie in Ordnern, ohne sie jemals auszuprobieren. Warum?

Weil es ihnen gar nicht darum geht, jedes Rezept auszuprobieren, wichtig für sie ist nur, dass sie es jederzeit könnten. Diese Rezepte sind kleine Fluchten. Sie stehen für die Möglichkeit, sich dem Alltag zu entziehen, in eine Welt des Geschmacks und der Gerüche einzutauchen – und sei es nur in Tagträumen.

 

Danach scheinen sich die Menschen zunehmend zu sehnen. Oder wie erklären Sie sich, dass das Fernsehprogramm vor Kochsendungen überquillt?

Ja, diese Entwicklung lässt sich weltweit beobachten – selbst in Ländern, bei denen man es am wenigsten vermutet hätte: den Vereinigten Staaten zum Beispiel. Dort haben sich traditionelle Essgewohnheiten am weitesten aufgelöst. Die Individualisierung ist so weit vorangeschritten, dass wir wieder verstärkt nach Augenblicken suchen, die wir mit anderen teilen können. Ein gelungenes Essen mit Freunden oder im Kreis der Familie ist etwas, wovon viele träumen, weil sie normalerweise ihr eigenes Leben führen. Unabhängigkeit kann eben auch anstrengend sein.

 

Aber das Paradoxe ist doch, dass sich viele Leute diese Sendungen ansehen, ohne selbst zu kochen. Warum?

Weil Kochen eine vielschichtige Kunst ist. Natürlich kann man der Zubereitung einer Mahlzeit auch wie ein bewundernder Zuschauer im Theater beiwohnen – so wie der Pascha in den Fünfzigerjahren. Wenn der Koch aus unterschiedlichen Zutaten etwas Neues formt, was als Ganzes die Teile übersteigt, grenzt das für den Zuschauer an Zauberei. Außerdem weckt es seinen Appetit.

 

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Illustration: Julia Schubert

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