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Der September ist ein guter Monat für den amerikanischen Baumarkt Home Depot. Pünktlich zu Herbstbeginn steigt der Absatz von Holzplatten, Nägeln, Taschenlampen und Walkie-Talkies deutlich an. Die Firma muss dafür keine Werbespots schalten oder Rabatte gewähren. Das Marketing übernimmt kostenlos das International Hurricane Research Center in Miami, wenn es erste Warnungen über tropische Wirbelstürme in die amerikanischen Wohnzimmer schickt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Spätkapitalismus heizt seine Motoren mit menschlichen Emotionen. Liebe, Sehnsucht, Neid – das Gefühl mit dem höchsten Brennwert aber ist die Furcht. Das klingt seltsam, denn ein ängstlicher Konsument wird keine großen Einkäufe tätigen, er wird zögern, zweifeln, sparen. Angst bezeichnet ein allgemeines Gefühl der Besorgnis und Bedrohung, das als Gift durch den Körper strömt und ihn lähmt. Furcht aber funktioniert anders – Furcht ist ein Treibstoff, gemixt aus Neurotransmittern und Adrenalin, der den Organismus befähigen soll, eine drohende Gefahr zu beseitigen.

Der primäre Trieb des Menschen ist nicht die Fortpflanzung, sondern der Drang, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, in Furcht auslösende Situationen zu geraten. Siedlungsbau, Landwirtschaft, Vorratshaltung, Mauern, Impfpass, Rente, Metalldetektor, Firewall – all diese zivilisatorischen Erfindungen dienen der Produktion von Sicherheit. »Man kann sogar zu der Annahme kommen, dass Kultur insgesamt der Furchtbewältigung dient«, schreibt der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme. Das gilt natürlich auch für die Konsumkultur. Dem modernen Menschen bleibt, um seine Furcht zu besiegen, nur noch die Kreditkarte.

Der große Vorteil für die Nutznießer der Furcht: Das energiereiche Fluidum entströmt einer Quelle, die niemals versiegt. Denn Furcht ist eine Art Basis-Sentiment des Menschen, generiert aus der Erfahrung des Geworfenseins in eine Welt, die niemals restlos verstanden wird. Die Griechen der Prä-Polis-Ära beschrieben den Menschen als ephemeros, als Flüchtigen, der sich einer übermächtigen Natur gegenübersah. Der hilflose Wurm flehte die gleichen Wasser-, Feuer- und Erdgötter mit Gebeten und Opfern um Sicherheit an, die ihn mit Götterwerkzeugen wie Blitz und Donner aus der Welt entfernten. Die Furcht des Menschen kann glaubwürdig nur von der Instanz vertrieben werden, die sie auch erregt. Das Prinzip der Furcht ist also ein geschlossener Kreislauf.

Exemplarisch vorgeführt wurde das Prinzip »Erzeuge Furcht und herrsche« von der Kirche im Mittelalter. Mit der Inszenierung der Hölle als eines bildgewaltigen Spektakels unter den Kirchenkuppeln schuf sie den eindrucksvollsten Furchterzeugungskomplex der Geschichte und bot gleichzeitig mit ihren Produkten und Dienstleistungen scheinbar eine Rettung vor Kochtöpfen und lodernden Flammen.

Heute hat die Technik die Religion zumindest in Europa als Furchtvertreibungs-Marktführer abgelöst – die meisten Menschen fürchten sich nicht mehr vor entfesselten oder nachtragenden Göttern, sondern vor dem unsichtbaren Systemfehler, dem Virus, Kurzschluss oder der Bombe einer Terrorzelle. Dass man mit der geschickten Verwertung des Rohstoffs Furcht eine Gesellschaft nach vorn treiben und auf der Bahn halten kann, gilt jedoch heute nach wie vor.

Auch die Bush-Administration verwendet das bewährte Himmel-Hölle-Herrschaftsprinzip. Das Terror-Warnsystem des amerikanischen Departement of Homeland Security wurde dafür geschaffen, die Leute wired zu halten, auf Draht also, unter Strom. Mit Furcht kann man aber nicht nur Politik legitimieren und Verhalten kontrollieren, wie der Soziologe Barry Glassner in seinem Buch The Culture of Fear schreibt, »sondern auch ganz reale Produkte verkaufen«. Zwar kann der Baumarkt Home Depot noch keine Wirbelstürme erzeugen, um den Umsatz ein wenig anzukurbeln. Immerhin sponsert die Heimwerkerkette aber in einigen US-Bundesstaaten den Wetterbericht.

 
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Außerdem im Modeheft des SZ-Magazins:

 

Charlotte Gainsbourg über SEHNSUCHT

Eckhart Nickel über SCHWEISS

Victoire de Catsellane über VERZÜCKUNG

Andreas Bernard über FREUNDSCHAFT

Natalie Massenet über AUFBRUCH

Mercedes Bunz über ADRENALIN

Juli Zeh über WILLE

Johannes Waechter über BESINNUNG

Kappauf über BESESSENHEIT

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