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Objektiv betrachtet

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Von Miriam Meckel Aller Anfang ist die Promenade. Sie verläuft entlang des roten Teppichs und dauert einige Minuten. Vielleicht sind es die 15, von denen Andy Warhol gesagt hat, jeder Mensch werde sie irgendwann erleben. Mir scheinen diese 15 Minuten auf dem Teppich wie gefühlte 50. Aber sie gehen vorbei. Sehen und gesehen werden, die gesellschaftliche Funktion der Promenade, sie wird hier verdichtet wie durch ein Brennglas. Ich blicke in 100 Augenpaare, versteckt hinter 100 Linsen. 300 Augen und Linsen starren zurück. Die gesellschaftliche Promenade hat die Form des Spaziergangs, diese hier ist ein Spießrutenlauf. Da ist das Gefühl, ein linkischer Zwerg zu sein, der im zu engen Abendkleid und auf zu hohen Schuhen wie auf missgestalteten Beinen herumstolpert. Das Laufen unter den 300 Augen und Linsen, das Laufen, ohne zu stolpern und zu fallen – das ist vielleicht das Schwierigste. Wir, meine Lebensgefährtin und ich, geben dann das Ballett der ungeschlüpften Küken. Vermeintlich federleicht und quicklebendig wandeln wir über den Teppich, als täten wir nichts anderes im Leben. Betont vergnügt wenden wir uns den Fotografen und Kameralinsen zu und lösen den ungeschriebenen Vertrag ein: Wer auf den roten Teppich tritt, muss mitspielen, damit ein Bild entsteht. Dafür gibt es Regeln, bei deren Einhaltung und Umsetzung meine Freundin besser ist als ich. Es sind einfache Regeln der Selbstdarstellung, aber sie strengen mich dennoch an: Kopf hoch, Kinn gerade, Bauch einziehen, Schultern zurück (dabei darauf achten, dass die BH-Träger, sofern es überhaupt welche gibt, nicht abhanden kommen) und lächeln. Immer lächeln. Aber nicht so lächeln, dass es nach immer lächeln aussieht. Nicht einfrieren im Gesicht. Dem lässt sich bei normalen Fototerminen dadurch gegensteuern, dass man immer mal mit den Lippen das Geräusch eines niedertourigen Traktors nachahmt. Auf dem roten Teppich ist das nicht zu empfehlen. Deshalb sind diese Minuten so anstrengend. Weil sie in ihrer äußersten Unnatürlichkeit so äußerst natürlich wirken sollen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Gewirr aus Augen, Gesichtern, Kameras, Blitzlichtern ist ein Gerangel um Standplätze, um Blick- und Schusswinkel, ein Marktgeschrei (»Hier noch mal! Hier!!!«), manchmal ist es ein Kampf. Es gibt einen Gerechtigkeitskontrakt auf dem roten Teppich, er lautet: Jeder ist mal dran. Jeder hat Anspruch auf einen Blick. Bei 100 oder mehr Fotografen ist das eine Herausforderung. Ich habe ja nicht mal selbst einen Überblick, wohin ich schon geguckt habe und wohin nicht. Sich als Paar zu koordinieren ist Stress. Wir beginnen rechts an der Reihe der Fotografen und wandern dann langsam mit den Augen nach links. Das Ganze immer wieder von vorne, sich Meter für Meter auf dem roten Teppich vorarbeitend. Nicht zu schnell, das ist unhöflich den Fotografen gegenüber. Nicht zu langsam, dann verreckt man auf der Strecke. Und bloß nie, aber auch wirklich nie zurückgehen! Wer zurückgeht, hat verloren. Irgendwann habe ich mich gefragt: Warum mache ich das? Warum gehe ich nicht durch die Hintertür rein? Weil das eine Form der Kapitulation wäre. Weil ich lieber versuchen möchte, mich zu wehren, mich vom reinen Objekt auch zum Subjekt der Betrachtung zu machen. Denn wenn ich in diesem Moment vor der öffentlichen Beobachtung fliehe, gerät die Vermeidung zum Zentralmotiv. Das ist in der Mediengesellschaft schwer durchzuhalten. Deshalb gibt es diese Momente auf dem roten Teppich, und sie sind vergleichsweise harmlos. Richtig unangenehm werden die Begegnungen mit echten Paparazzi. Fotografen, die entweder im direkten Auftrag eines Mediums oder auch auf eigene Rechnung arbeiten, immer in der Hoffnung, für das »Abschießen« eines Prominenten in Begleitung eine hübsche Summe bei den Boulevardredaktionen abgreifen zu können. Lies weiter bei den Kollegen vom SZ Magazin.

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