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Unser Kollege als Lehrer: Wem die Stunde schlägt

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Von: Lars Reichardt (Text); Stephanie Füssenich (Fotos) 

Erwischt. Ausgerechnet in Geschichte. Keine drei Tage hat es gedauert, bis ein Schüler den neuen Aushilfslehrer als Hochstapler entlarvt: »Die Epoche der Aufklärung begann doch später. Mit Verlaub, glauben Sie nicht, dass es zu Ihren Aufgaben gehört hätte, sich auch umfassend auf den Stoff vorzubereiten?«, wirft mir der Schlauberger aus der letzten Reihe an den Kopf. Jeder Lehrer wünscht sich solch aufgeweckte kritische Schüler, ein Aushilfslehrer nicht unbedingt.

Durch den Ethikunterricht in der fünften und achten Klasse konnte ich mich noch durchlavieren: mit der aktuellen Kolumne der Gewissensfrage aus dem SZ-Magazin, allerdings nur mit mäßigem Anklang. Deutsch in der siebten Klasse ging auch noch: Merkmale des Berichts; Englisch in der Neunten nach einigen Minuten Blättern im Lehrbuch ebenfalls: ein paar Übungen zu Simple und Progressive Form. Sogar durch Latein konnte ich mich mogeln: Übersetzung der ersten Sätze des Gallischen Kriegs in einer siebten Klasse. Wann immer ich nicht weiterwusste, rief ich den Klassenprimus auf: »Was heißt wohl: propterea quod a cultu atque humanitate provinciae?«

Erst bei Geschichte in der 11b komme ich mit lückenhafter Allgemeinbildung nicht mehr weiter. Dabei hatte der Geschichtslehrer, der zu einer Seminarprüfung musste, mich so gut gebrieft: mitsamt Kopie, auf der alle einzelnen »Stein-Hardenbergschen Reformen« aufgeführt wurden – »die kennen Sie ja noch aus Ihrer Schulzeit«, sagte Herbert Rogger. Von wegen. Aber ich gehe am nächsten Tag sogar halbwegs vorbereitet in die 11b. Nur eben nicht auf die entscheidende Frage, mit der der Schlauberger mich auch prompt vorführt: »Warum kam es denn überhaupt zu den Reformen in Preußen?« – »Ihr Geschichtslehrer hat mir erzählt, Sie hätten die Gründe in der letzten Stunde bereits durchgenommen.« – »Da war ich krank«, sagt der Schlauberger. – »Auf diese Frage weiß ich jetzt leider keine Antwort«, gebe ich zu. Dann reime ich mir dennoch etwas von der Aufklärung in Europa zusammen, die ich allerdings ein Jahrhundert zu früh ansetze. Wie peinlich.

Seit knapp zwei Jahren dürfen bayerische Schuldirektoren jedermann zum Aushilfslehrer berufen, den sie für geeignet erachten. Ohne Staatsexamen oder gar Referendariat, einfacher Magister in einem verwandten Fach reicht oft schon. Die sogenannte G8-Reform zur Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium hat den Lehrer-mangel in Bayern verschärft; mit der Erlaubnis, im Notfall Eltern oder andere Personen übergangsweise zu beschäftigen, will das Kultusministerium die Personalnot lindern.

 

In meinem Fall ließ der Direktor das gesamte Lehrerkollegium abstimmen: Ich erhielt nur vier Gegenstimmen, vielleicht weil ich selbst vor 25 Jahren an diesem Münchner Gymnasium Abitur gemacht hatte. Einige kritische Kollegen meinten: Drei Wochen Vertretungsstunden ergäben noch kein stimmiges Bild vom Lehreralltag – »Woher wollen Sie wissen, wie deprimierend die Korrektur von dreißig schlechten Schulaufsätzen werden kann?« Sie befürchteten auch, ein Journalist habe es bei den Schülern leichter als jeder Lehrer. Zumindest die letzte Sorge war unbegründet.

 

Hier geht es zum zweiten Teil der Geschichte auf sz-magazin.de

 
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