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„Wer Menschen mit Bomben töten will, dem wird das immer gelingen.“

Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

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Es ist ein Satz, der ein bisschen versteckt liegt in diesem gut vierminütigen Monolog. Das Timing ist da nicht ganz ideal. Die Pause zu kurz. Deshalb kann der Satz nicht richtig nachwirken – sich nicht mit Bedeutung aufladen. Vielleicht ist das auch Absicht. Vielleicht wollte Jan Böhmermann, dass die elf Wörter zwischen ein paar eher erwartbaren Witzen über den "Stecher" von Frauke Petry und die fehlenden Hetz-Tweets von Erika Steinbach untergehen. Gut möglich. Aber sie treffen trotzdem ein Gefühl, das ich seit mindestens zwei Tagen mit mir herumtrage. Eigentlich kroch es schon sehr bald nach den Anschlägen von Brüssel in mir hoch. Zu früh wahrscheinlich. Es fühlte sich jedenfalls zynisch an, es schon zu formulieren. Deshalb bin ich so froh, dass der "Quatschvogel bei ZDF Neo" (er über sich) das übernommen hat. Dafür ist er ja da – der Hofnarr. Dafür, das zu dürfen.

Der Satz jedenfalls lautet: "Wer Menschen mit Bomben töten will, dem wird das immer gelingen."

Und die Tatsache, dass ich ihn eben gerade nicht als Panik oder Kapitulation vor dem Terror empfinde, sondern im Gegenteil als große Erleichterung für die Diskussion, sagt wahrscheinlich viel aus über die Art, wie wir über Terrorismus reden. Nicht denken – reden!

Für mich zumindest fühlte sich der Diskurs der vergangenen Tage (also eigentlich die Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate) nämlich immer ein bisschen an wie Trotz. Ein verständlicher Trotz. Ein wichtiger vermutlich auch. Terroranschläge sind eine Kampfansage. An die Werte einer Gesellschaft. An ihren Zusammenhalt. Ihre Souveränität. Verständlich also, dass sich eine Gesellschaft ihre Souveränität, ihre Deutungshoheit über das, was sie ist, zurückholen will. Und es zeichnet die mir sympathischeren Teile unsere Gesellschaft aus, dass sie das mit Worten tun.

Aber die Worte erschienen mir in den vergangenen Tagen eben immer phrasiger. Immer mehliger. Sie zerfielen mir, wenn ich sie im Kopf zu irgendetwas formen wollte, mit dem ich etwas anfangen kann. Und das machte mir Angst.

Die Worte lauten zum Beispiel: "Der Terrorismus kann niemals gewinnen." Oder schlimmer: "Die Freiheit wird siegen." Und ein bisschen weniger schlimm: die vielen Abwandlungen des Gedankens, dass der Terrorismus nichts ausrichtet, solange er sich nicht unseres Denkens bemächtig.

Die Worte werden so oder so ähnlich in der Tagesschau und beim Bier an der Bar gesagt. Sie werden in diese Zeitung und in die sozialen Netzwerke geschrieben. Und mir ist natürlich klar, was sie meinen. Mir ist auch klar, dass sie wichtige Punkte ansprechen: Ein paar verblendete, gehirngewaschene Verbrecher können kein Kalifat (und auch – siehe NSU – kein NS-Regime) herbeibomben. Sie können nur Angst verbreiten und damit im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass wir immer mehr Freiheiten aufgeben für eine vermeintliche Sicherheit. Aber sie wirken auf mich eben auch wie Durchhalteparolen. Wie etwas, das der Fußballtrainer in der Halbzeit sagt, wenn die Spieler einzubrechen drohen. Etwas, das die Moral hochhalten soll. Und die Moral kommt doch immer erst dann, wenn die Argumente ausgehen.

Das widerliche Repertoire ist doch unerschöpflich

Hier scheint sie das Gefühl vermitteln zu wollen, als hätte dieser verfluchte Wettlauf der Grausamkeiten ein auch nur irgendwann absehbares Ende. Als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der Gegner einsieht, dass er "niemals gewinnen" kann. Dabei breitete sich in mir – seit Brüssel? Oder schon seit Madrid, seit Boston, Paris, Istanbul, Ankara? – ein ganz anderes Gefühl aus.

Es lautet: "Aber wirklich verlieren können sie doch auch nicht."

Ich will dieses Gefühl nicht als Realismus verkaufen. Wer Argumente und Gefühle zu Realismus erhebt, hat fast immer eine Agenda. Und die habe ich nicht. Ich will nur sagen: Es fühlt sich an, als blendeten die Parolen von der Freiheit, die siegen wird, Aspekte aus, die für einen echten Diskurs wichtig wären. Dass Terroristen eben zum Beispiel immer einen Weg finden werden, zu töten. Wenn sie denn wollen. Dass sie das weiterhin wollen werden. Und dass sie dabei auch immer einen Weg finden werden, der die Köpfe befallen KANN. Gewehre statt Bomben, Messer statt Gewehre, Strahlung und Chemie, die man gar nicht mehr sehen kann. Schiere Größe und Wucht der Anschläge. Das widerliche Repertoire ist doch unerschöpflich.

Irgendwie können sie uns immer nah kommen. Nein, irgendwie WERDEN sie uns immer nah kommen. "Wer Menschen mit Bomben töten will, dem wird das immer gelingen."

Ich habe keine Ahnung, wie wir darauf dann am besten reagieren sollen – Eskapismus, Vorsicht, Gelassenheit, die anderen Wange hinhalten, zurückschlagen? Das müssen Menschen diskutieren, die klüger sind als ich. Empathischer vielleicht auch oder betroffener. Oder womöglich eben doch distanzierter und besonnener.

Ich habe wieder nur ein Gefühl. Und das sagt, dass eine Diskussion, die dafür sorgt, dass die Anschläge uns nie ZU nah kommen, mehr braucht als Siegesgewissheit und Durchhalteparolen. Mehr Tiefgang vielleicht. Mehr Mut wohl auch, um zu sagen, dass das, was in Brüssel, Boston, Madrid, Paris, Istanbul, Ankara passiert ist, wieder passieren wird. Irgendwann. Und ohne, dass dann irgendwer siegt. Und ein anderer verliert. Die Menschen können diese Information aushalten. Müssen sie. Weil sie nur dann – vielleicht sogar realistisch – einschätzen können, wie sehr das ihr eigenes Leben beeinflussen soll. Vielleicht, aber auch das weiß ich nicht sicher, brauchen wir dafür sogar noch ein paar mehr Hofnarren.

Mehr zu den Anschlägen von Brüssel:

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