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Türkei sperrt soziale Netzwerke

Foto: dpa

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Die Augen noch halb geschlossen, der erste Griff zum Handy (ja, blöde Angewohnheit), Instagram: Feed lädt nicht. Zweiter Versuch: Facebook. Geht auch nicht. Spinnt das Internet mal wieder? (Es spinnt ehrlich gesagt eher selten, nur vergesse ich hin und wieder, die Rechnungen zu bezahlen). Die letzte Nachricht aus einer belebten Journalisten-Whatsapp-Gruppe um 2.17 Uhr: "Shit". Ich scrolle hoch. 20 Minuten zuvor hatte eine türkische Kollegin gepostet: "Demirtas is about to be detained."

Update: Seit dem frühen Nachmittag sind Facebook und Co wieder erreichbar.

Heute Nacht wurde also Selahattin Demirtas, der Chef der pro-kurdischen Partei HDP, verhaftet. Zusammen mit mindestens zehn weiteren Abgeordneten seiner Partei. Seitdem sind die sozialen Medien Facebook, Twitter, Whatsapp und sogar Instagram und Youtube gesperrt. Das heißt: Die Seiten laden nicht, die Feeds bleiben eingefroren, man kann keine Nachrichten senden oder empfangen.

Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert. So war es in der Putschnacht vom 15. Juli, nach den Anschlägen auf den Flughafen und auch während der Gezi-Proteste.  Erdoğan hatte schon im Sommer 2013 erklärt, Twitter sei eine „große Gefahr“.

Solche Sperrungen dauern in der Türkei normalerweise ein bis zwei Tage an. Manchmal wird das als "Nachrichtensperre" gerechtfertigt, manchmal als Maßnahme, mit der man die Kommunikation der Terroristen untereinander unterbinden will – als ob die ihr nächstes Attentat via Facebook-Messenger vereinbaren würden. Oder über ein Youtube-Video und hübsche Instagram-Fotos.

Viele meiner Freunde in der Türkei (und Journalisten ohnehin) nutzen VPNs, sogenannte "Virtual Private Networks", die Daten durch einen speziell gesicherten virtuellen Tunnel leiten. Man braucht dafür nur ein kleines Programm, schon lassen die Sperren sich umgehen. Das kann man sich für ein paar Euro im Monat runterladen. In der Türkei tun das viele, nicht nur wegen der Einschränkungen der Meinungssfreiheit – wer in der Türkei Pornos schauen will, braucht das Programm ohnehin, weil einschlägige Plattformen dort nicht zugänglich sind.

Konkret heißt das: Die tatsächlichen Auswirkungen der Facebook-Sperren auf das Leben des jungen Durchschnittstürken sind gar nicht so gewichtig. Das wird auch in meiner Timeline deutlich: Schon in der Früh ist sie voll von Istanbulern, die dort fleißig posten. Was natürlich schon fast wieder lustig ist: dass sich Menschen auf Facebook über die Sperrung von Facebook beschweren.

Schlimmer ist aber ohnehin, was hinter dem Abschalten der sozialen Netzwerke steckt: Dass die türkische Führung paranoider wird, dass die Führer einer demokratischen gewählten Partei verhaftet wurden und dass das wahrscheinlich die Gewaltspirale weiter verschärfen wird. Wenige Stunden nach der Festnahme kam es in der osttürkischen Stadt Diyarbakir zu einer Explosion. Ein Mensch kam ums Leben, 30 wurden verletzt. Wer dahinter steckt, weiß man noch nicht. Doch es ist naheliegend, dass der Anschlag auf das Konto der PKK geht.

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