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Die Deutschen lieben ihr Pfand zu sehr

Werden demnächst nicht nur Flaschen bepfandet, sondern auch Zigarettenstummel?
Illustration: Julia Schubert

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Auf dem Weg zur Bahn noch schnell eine Kippe angezündet. Drei, vier hastige Züge, die mit Genuss ähnlich viel zu tun haben, wie das Herausnehmen der Weisheitszähne. Den letzten rauchigen Atemzug in Richtung frischer Luft gepustet und kurz bevor die Türen sich schließen, die Kippe lässig aus der Bahn geschnipst. Dieses Ritual, das man Tag für Tag im öffentlichen Nahverkehr beobachten kann, könnte bald der Vergangenheit angehören. Zumindest wenn es nach der Berliner Initiative „Die Aufheber“ geht. Die fordert nämlich, künftig 20 Cent Pfand auf Zigarettenstummel zu verlangen.

Jede Schachtel Kippen solle ab 2023 nur in Kombination mit einem „Taschenaschenbecher“ verkauft werden. Die fälligen vier Euro Pfand für eine Packung bekämen die Kunden nur zurück, wenn die Packung mit Aschenbecher und aller 20 Zigarettenstummel wieder zurückgegeben würde. Der Grund ist, im wahrsten Sinne des Wortes, offensichtlich. Egal ob Fußgängerzone, Parkwiese oder Dorfgasse – in Deutschland gibt es wohl keinen Quadratmeter öffentlichen Raum, auf dem man nicht vergilbte, plattgetretene, teerige Filter findet.

Der Schrei nach Zigarettenstummelpfand ist dabei ein Reflex, noch deutscher als das Wort selbst. Denn nichts passt so gut zu Deutschland wie das Pfand. Pfand, das bedeutet in Deutschland häufig Ordnung, komplizierte Regelungen, Bürokratie, Automatisierung und kleinbürgerliche Spießigkeit. Wer sich schon einmal aufgemacht hat, um endlich mal den Haufen an Flaschen, der sich über Wochen in der WG-Küche gesammelt hat, wegzubringen, seinen verkaterten Körper in den Jogginganzug gehüllt und die prall gefüllte Ikea-Tüte zum nächsten Supermarkt gehievt hat, der wird die unzähligen Blicke voller Verachtung im Nacken gespürt haben.

Blicke, die sagen: „Dieser Mensch hat sein Pfandrückgabeverhalten nicht unter Kontrolle“

Blicke von Menschen, die hinter einem in der Schlange stehen, den Einkaufskorb aus Leichtmetall in der Ellenbogenbeuge, darin vier PET-Flaschen Adelholzener sanft, zwei perfekt ausgespülte Joghurt-Glasbehälter und drei Flaschen Naturradler mit Bügelverschluss. Blicke, die sagen: „Dieser Mensch hat sein Pfandrückgabeverhalten nicht unter Kontrolle, genauso wenig, wie sein Leben. Was für eine traurige Existenz. Und ICH muss das Ganze ausbaden. Die Zeit, die der braucht, um das alles einzu... UM GOTTES WILLEN, DAS IST DOCH KEINE PFANDFLASCHE!!!!“

Ja, woher soll man das auch wissen? Um zu verstehen, was in Deutschland wieviel Pfand kostet und was pfandfrei ist, muss man nicht nur sein Leben im Griff haben, man muss auch echt viel Freizeit haben. Dazu muss man sich nur die Regelung des Mehrwegpfandguts anschauen. Mehrweg-Glasflaschen kosten 15 Cent Pfand – so einfach könnte es sein. Aber das wäre ja Quatsch. Zwar trifft das auf viele Mehrweg-Glasflaschen zu, bei weitem aber nicht auf alle.

Da gibt es die Bierflaschen, die mit acht Cent das Schnäppchen unter den Pfandflaschen sind, denn Alkohol darf einfach nicht zu teuer werden, anders erträgt man ja das Wetter hier auch nicht. Nur Ein-Liter-Weinflaschen sind mit zwei, bzw. drei Cent (das kommt logischerweise auf die Handelskette an) noch billiger – sind aber nicht zu verwechseln mit pfandfreien 0,75-Liter-Standardweinflaschen. Bierflaschen mit Bügelverschluss – ganz andere Geschichte. Die gibt’s zwar in der 25-, der 50- und der 60-Cent-Variante – am häufigsten gibt es für sie jedoch 15 Cent Pfand. Klar. Ebenso wie für Mehrweg-Plastikflaschen und dem Andechser-, Landliebe- und Söbbeke-Joghurt-Glas. Du willst ein Ehrmann-Jogurt-Glas in den Automaten schieben? Ha! Da gibt’s doch kein Pfand drauf, du Dussel.

Pfandautomat: „Du willst die gleiche Art Flasche zurückgeben wie immer? Nö, hier hast du sie zurück“

Das Ganze ist sogar so kompliziert, dass nicht mal Pfandautomaten, die keine andere Aufgaben in ihrem trostlosen Leben haben, als Pfandgut zu erkennen, regelmäßig komplett überfordert sind und einfach streiken. „Du willst diese Art von Flasche zurückgeben, die du hier schon hundertmal zurückgeben hast? Nö, hier hast du sie zurück. Nochmal die selbe Falsche? Nice try, hier hast du sie wieder. Nochmal? Ahhhh, stimmt, hab ich vercheckt, gehört doch zu unserem Kontingent. Kann ja jedem Mal passieren, hehe.“

Das Pfandsystem wirkt, als hätte man die deutsche Grammatik in eine Leergutrückgabebestimmung übersetzt. Wenn du damit aufgewachsen bist, verstehst du sie irgendwie, weil du sie von Kindesbein verinnerlicht hast, aber versuch das mal einem Ausländer zu erklären. Mark Twain sagte einmal: „Wer nie Deutsch gelernt hat, macht sich keinen Begriff, wie verwirrend diese Sprache ist. Es gibt ganz gewiss keine andere Sprache, die so unordentlich und systemlos daherkommt und dermaßen jedem Zugriff entschlüpft.“ Er hätte mal eine deutsche WG-Küche nach einer Homeparty aufräumen sollen.

Deswegen: Bitte, liebe „Die Aufheber“, zieht eure Petition zurück. Mal abgesehen davon, dass das massenhafte Recycling der giftigen Stummel (bisher ohnehin noch wenig praktiziert) unfassbar teuer und aufwändig wäre – und das Rauchen bei jungen Menschen sowieso eine immer kleinere Rolle spielt. Ein weiteres kompliziertes Pfandsystem einzuführen, wäre einfach nicht pragmatisch. Stattdessen wäre es doch besser, an weniger komplexen Lösungen zu arbeiten – Sodass eure Pfandidee einfach überflüssig wird.

Pfand ist nicht immer die beste Idee für alles

Denn damit, dass es eine Lösung für das Müllproblem „Zigarettenfilter“ braucht, habt ihr natürlich Recht. Weltweit werden jährlich ungefähr 5,6 Billionen Zigaretten geraucht. 4,5 Billionen, also rund 80 Prozent aller Stummel, werden dann einfach auf die Straße, auf die Wiese oder an den Strand geschmissen. Und die kleinen Dinger sind echte Giftbomben. Sie bestehen zu großen Teilen aus Kunststoff, enthalten neben dem Teer und dem Nikotin aus der Zigarette auch Schwermetalle und Arsen. Jedes dritte Stück Müll, das an den Küsten dieser Welt liegt, ist ein Zigarettenstummel, danach erst kommen Plastiktüten. Kurz gesagt – die kleinen Stummel sind ein richtig großes Problem.

Die EU hat aber tatsächlich schon einen Lösungsansatz: Zigarettenhersteller sollen künftig die Aufräumarbeiten der Stummel bezahlen müssen. Außerdem soll es Strafen geben, wenn Raucher Zigaretten einfach auf den Boden schmeißen. Die gibt es sogar in manchen deutschen Städten schon: In Köln kostet eine achtlos weggeworfene Kippe 35 Euro, in München sogar 55 Euro. Umgesetzt wird das aber nur in den seltensten Fällen.

Lasst uns also an umweltfreundlicheren Gesetzen arbeiten – und endlich die umsetzen, die es schon gibt. Lasst uns biologisch abbaubare Filter zum Standard machen. Denn auch, wenn die herkömmlichen Filter eingesammelt werden, verpesten sie noch immer die Umwelt.

Pfand ist also wirklich nicht immer die beste und schon gar nicht die einfachste Idee für alles. Wir wollen schließlich vermeiden, dass uns Pfandautomaten auch noch ausgedrückte Kippen wieder entgegenhusten, weil Selbstgedrehte doch pfandfrei sind.

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