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Als wir auf Island Alkohol suchten

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol. 

Als wir unseren Urlaub auf Island planten, galt eine unserer ersten Google-Suchen den örtlichen Bierpreisen. Wir fanden unzählige Blogbeiträge mit Tipps, wie man sich am besten in Island betrinkt, ohne sich zu verschulden. Rund acht Euro kostet ein Bier an einer Bar in Reykjavik. Was soll’s, dachten wir, Island ist halt teuer.

Erst als wir vor Ort Proviant für unseren Roadtrip um die Insel besorgten, erkannten wir die tatsächlichen Ausmaße unseres Problems: In isländischen Supermärkten gibt es keinen Alkohol – nur Light Beer mit rund zwei Prozent, das zählt nicht. Wer richtiges Bier, Wein oder Schnaps will, muss in einen Vínbúðin: einen staatlich lizenzierten Spirituosenladen. 50 Stück gibt es davon angeblich auf der Insel. Ich sage angeblich, weil wir auf unserer dreiwöchigen Reise durch Island nur dreimal einen zu Gesicht bekommen haben – und einer davon hatte geschlossen. Öffnungszeiten von 16 bis 18 Uhr sind weder urlauber- noch einwohnerfreundlich. Die Deutschen würden wegen sowas auf die Straße gehen, um sich ihre Bierfreiheit zu erkämpfen. Warum passiert das in Island nicht?

Man könnte jetzt sagen, dass man auch ohne Alkohol Urlaub machen kann und dass das vielleicht auch mal ganz gut tut. Man kann es sich auch romantisch reden, wenn man bei Regen und Windstärke 8 irgendwo im isländischen Hochland im Zelt festsitzt. Aber spätestens am zweiten Tag wäre ein gutes Glas Wein dabei sehr hilfreich. Und wenn es abends mal nicht zu kalt oder zu nass ist, um noch ein bisschen vor dem Zelt zusammen zu sitzen, würde eine Runde Bier diesen Moment um einiges gemütlicher machen. Ein bisschen wärmen würde es vielleicht auch.

Die Beziehung der Isländer zum Bier war lange kompliziert. Es galt als gefährlich und unpatriotisch

Wir begannen darüber zu sinnieren, ob Alkohol in Ländern wie Island viel zu teuer oder bei uns einfach viel zu günstig und selbstverständlich ist. Ich stellte mir vor, wie es wäre, auf einer Insel zu leben, auf der es das halbe Jahr über die meiste Zeit dunkel ist und wo auf dem Land – also überall außer in Reykjavik – auch im Sommer nichts los ist. Was wir Sommerurlauber als entschleunigendes Naturparadies sahen, stellte ich mir auf Dauer ganz schön deprimierend vor. Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser konnte ich nachvollziehen, was ich auf einem Reise-Blog gelesen hatte: nämlich, dass Alkohol in Island 1915 komplett verboten wurde. Rund 60 Prozent der isländischen Männer (Frauen durften noch nicht wählen) hatten damals für die Prohibition gestimmt. Das zeugt von viel Selbstreflexion, dachte ich.

Richtig lang hielt sich das Alkoholverbot aber nicht. Ein paar Jahre später durfte wieder Wein importiert werden und in den Dreißigern ging auch Hochprozentiges wieder legal über die Theke. Nur die Beziehung der Isländer zum Bier blieb noch lange kompliziert. Da es viel billiger war als Wein oder Schnaps, fürchtete die Regierung, dass die Bevölkerung vor allem an den dunklen Wintertagen zu oft zum Bier greifen würde. Bier galt nicht nur als gefährlich sondern auch als unpatriotisch, da die Dänen gerne viel davon tranken – und von denen wünschten sich die Isländer sehnlichst die Unabhängigkeit. Bier mit mehr als 2,25 Prozent blieb also verboten. Bis 1989. In dem Jahr, in dem in Deutschland die Mauer fiel, feierten die Isländer ihr erstes vollwertiges, legales Bier seit 74 Jahren. In den Supermärkten hat sich die 2,25-Prozent-Grenze aber bis heute gehalten.

 

Jedes dieser Verbote haben die Isländer aber schon immer irgendwie umgangen – durch Schmuggel oder Selbstgebranntes und -gebrautes. Brennivín, ein 40-prozentiger Kartoffelschnaps mit Kümmelaroma, den man eher nicht wegen seines Geschmacks trinkt, war früher vor allem deshalb beliebt, weil man damit dem laschen Bier etwas mehr Wumms verleihen konnte. Nach ein paar Gläsern von diesem Gemisch sieht man im einsamen isländischen Winter vermutlich auch Elfen, die einen unterhalten. Zur Abschreckung ließ die isländische Regierung schwarze Totenköpfe auf die Schnapsflaschen kleben. Brennivín wird deshalb heute noch "Schwarzer Tod" genannt und ist das inoffizielle Nationalgetränk Islands.

Jetzt wusste ich zwar mehr über die Isländer und den Alkohol, aber unser Problem war damit nicht gelöst. Gut zwei Wochen blieben wir tapfer. Unser Reisebudget war ohnehin längst aufgebraucht. Irgendwann wurde die Sehnsucht nach dem Urlaubsrausch aber übermächtig und wir machten uns auf die Suche. So heilig den Deutschen ihr Bier ist, so heilig wurde für uns der seltene Vínbúðin. Und da war er plötzlich: Ganz unscheinbar standen die Regale voller Flaschen und Dosen da und waren für uns doch eine mindestens so große Attraktion wie der mächtige Wasserfall Dettifoss oder die springenden Buckelwale in Húsavík. Nachdem wir wie Kinder in der Spielzeugabteilung umher gestreift waren, einigten wir uns auf zwei Paletten Dosenbier. Das sollte reichen für die verbleibenden drei Tage.

 

In unseren Rausch mischte sich ein Gefühl von Triumph und tiefer Verbundenheit: Gemeinsam hatten wir es geschafft

 

Der heilige Vínbúðin meinte es gut mit uns an diesem Tag. Wir transportierten unseren Schatz aus Bier und Aluminium sicher über eine angeblich befahrbare Schotterpiste und landeten auf einem verwunschenen, einsamen Zeltplatz, Höhle inklusive. Zwischen den tiefschwarzen Höhlenwänden und ein paar Teelichtern tranken wir unseren kompletten Biervorrat leer. Wir zelebrierten jeden Schluck und der warm anschwellende Rausch mischte sich mit einem Gefühl von Triumph und tiefer Verbundenheit: Gemeinsam hatten wir es geschafft. So mussten sich die Isländer während der Prohibition gefühlt haben, wenn sie nach langer Zeit eine Flasche Brennivín ergattert hatten.

 

Unser nächstes Urlaubsziel ist Slowenien. Wir werden die Bierpreise dort sehr zu schätzen wissen, aber auch das, was Island uns beigebracht hat: Man muss sich vielleicht nicht gleich eine Prohibition auferlegen, aber als allzu selbstverständlich sollte man es auch nicht hinnehmen, dass Alkohol in anderen Ländern so günstig und auch noch ständig verfügbar ist. Dann bleibt der Urlaubsrausch etwas Besonderes.

 

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