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"Richtig Urlaub ist, wenn man vormittags Gin Tonic trinkt"

Illustration: Lucia Götz

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

"Keine Termine und leicht einen sitzen“ – so lautet eine oft zitierte Glücks-Definition. Sie stammt von einem gewissen Harald Juhnke, dem großen Entertainer, der 2005 nach Jahrzehnten der Alkoholkrankheit jämmerlich verendete. Alkohol ist für uns Selbstoptimierer jedoch selten Krankheit und noch seltener Kunstgriff, sondern eher Statussymbol. Wer es sich leisten kann, hat keine Meetings und einen Rausch. Deshalb lautet die Billigflieger-Variante des Juhnke'schen Mottos: "Richtig Urlaub ist, wenn man vormittags schon Gin Tonic trinkt". Aber warum eigentlich?  

Naheliegende erste Antwort: Weil wir kleine Hamster damit aus unseren Hamsterrädern aussteigen. Der vormittags genossene Entspannungshelfer ist eine kleine, aber gleichzeitig auch die größtmögliche Flucht aus dem Alltag. Weil wir dann „garantiert nichts mehr hinkriegen“. Und mit solchen Sätzen zeigen wir viel mehr, wer wir sind, als wir selbst nach sieben Drinks zugeben würden. Wie ein Kontrastmittel rinnt der frühe Gin unsere Kehlen hinab, direkt auf unsere Seelen, die von ihm grün eingefärbt werden – im Comic traditionell die Farbe des Ehrgeizes und des Neids. 

Denn wer es als ultimatives Zeichen der Entspannung ansieht, so früh Alkohol zu trinken, dass garantiert nichts Produktives mehr an diesem Tag geschehen kann, der zeigt paradoxerweise, wie sehr er sich als Produzent versteht. Wer einen längst hipsterisierten Drink, den früher die Omas in Florida schon vor Sonnenuntergang dutzendweise intus hatten, als denkbar nonchalantesten Ausstieg aus dem Hamsterrad glorifiziert, der ist weder besonders abenteuerlich drauf, noch geistig wirklich weit vom Hamsterrad entfernt. Die schmerzhafte Wahrheit: Wären wir Cowboys, wir rauchten E-Zigaretten. Und im Urlaub mal 'ne echte. Krass frech. 

Und doch wäre es zu einfach, uns nur als Marionetten zu sehen, die das Durchhängen ihrer Fäden feiern. Denn wahr ist auch: Wir wissen heute zu viel. Wir wissen, wie schädlich Alkohol sein kann. Wir kennen alle jemanden, der jemanden daran verloren hat. Vielleicht haben wir sogar von der berühmten "Florida-Depression" gehört, die jene vom Gin beschwipsten Omas befallen hat. Und wir wissen, wie Harald Juhnke starb.

Es gibt zum Glück viele tolle Dinge in unseren Leben, die man ohne Promille mehr genießen kann. Wir haben einen genauen Plan, was wir alles wollen, also: was wir erreichen, schaffen, erleben möchten. „Das intensive Leben“, so der französische Philosoph Tristan Garcia in seinem gleichnamigen Bestseller, ist unser aller Ideal. Selbst wenn wir „nichts“ tun, tun wir das maximal intensiv. Und manchmal, aber nur manchmal, wird dieses demonstrative, intensive Nichtstun eben am lebendigsten als verginter Vormittag plus halb verschlafener Nachmittag plus ein bisschen schlechtes Gewissen, auch im Urlaub, weil man stattdessen auf den Berg oder ins Städtchen hätte latschen können. Nicht trotz dieser Opportunitätskosten. Sondern genau deshalb. Wir tun uns selbst etwas Gutes, indem wir uns etwas Schlechtes tun: Dialektik im Drink. 

"Ein Gin-Halbrausch um 12 Uhr ist mit das Beste, was ich an einem sonnigen Urlaubstag fühlen kann" 

Der letztlich entscheidende Punkt liegt jedoch tiefer. Irgendwo zwischen Magen und Herz. Da, wo es warm wird, nach den ersten Schlücken. Denn Produktivitätswahn hin, neoliberales Menschenbild her – ein Gin-Halbrausch um 12 Uhr ist mit das Beste, was ich an einem sonnigen Urlaubstag fühlen kann. Nicht, weil ich damit meine Rebellion gegen das System vortäusche. Nicht, weil ich es mit fröhlicher Unvernunft tue. Sondern weil die Kombination aus sanft geglätteten Kanten der Realität, 36 Grad im Bauch und absoluter Verantwortungslosigkeit mich in ein embryonales Glücksstadium zurückversetzt. Ich schwimme in der Ursuppe. Ich komme bei mir an.

Harald Juhnke, die alte Hundelunge, war sehr krank. Aber er hatte Recht.  

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