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"Man sagt, er habe magische Kräfte"

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol. 

„Man sagt, er habe magische Kräfte.“ So ging einmal der Claim eines italienischen Magenbitters namens „Fernet Branca“. Ein bisschen Wahrheit steckt da drin. Denn warum trinken wir? Weil es uns besser macht. Lieber, lustiger, lässiger – zumindest gefühlt. Mit Alkohol wagen wir mehr, bereuen weniger, hören einfühlsam zu oder erzählen großartige Geschichten. Je nachdem, was verlangt ist. Aber das ist nicht alles. Alkohol hat eine magische Wirkung, denn manchen verleiht er eine Superkraft.

Ich habe einen Freund, der kann betrunken schneller und ausdauernder laufen als jeder Olympionike. Nicht selten sagt er gegen vier Uhr morgens spontan: „Naja, ich gehe jetzt mal heim.“ Und bevor jemand ein Taxi rufen kann, trabt er schon dreihundert Meter weiter nördlich aus unseren verschwommenen Sichtfeldern. Am nächsten Tag erzählt er dann, wie er die knapp zwölf Kilometer zwar keuchend, aber immer noch schneller zurückgelegt hat, als jeder von uns das ausgeschlafen und nüchtern getan hätte. Danach – schon ein Drittel entkatert – ist er „noch schnell unter die Dusche gesprungen“. Eine Redewendung, die sonst nur superfitte Tennis-Nachwuchsmeisterinnen benutzen.

Apropos: Eine alte Freundin spielte jeden Kneipensport besser als fast alle anwesenden Kneipenspielspezialisten – aber nur betrunken. Forderte man sie Tage nach ihren Kunststößen und Trickwürfen zu einer Partie Billard oder Dart auf, konnte man froh sein, wenn sie sich dabei nicht verletzte. Und einer meiner Cousins hat alkoholisiert ein fotografisches Gedächtnis, das sich nicht nur allen Alkohol merkt, den es zugeführt bekommt. Auch alle Namen und Telefonnummern des baskischen Junggesellinnenabschieds, an deren Geschnatter ich mich nur vage erinnere.

Natürlich wirkt hier eher Selbstüberschätzung als eine Superkraft – wie so oft auf Drogen

Und ich? Ich habe eine ganz spezielle Superkraft: Ich lalle und torkele nie. Wie man mir schon mehrmals versichert hat, rede und laufe ich sogar deutlicher und zweckmäßiger, je mehr ich trinke. Was in gewisser Hinsicht fatale Folgen hat. Denn wenn am nächsten Tag die Verletzungen der Nacht verglichen und die begangenen Dummheiten aufgerechnet werden, heißt es zu mir oft vorwurfsvoll: „Du! Du warst ja noch voll nüchtern!“ Nur, weil ich nicht für jeden Meter vorwärts zwei nach rechts oder links gebraucht und dabei nicht gesprochen habe wie mit einer Packung Gummibären im Mund. Oft genug hätte ich mir lustigere Superkräfte gewünscht. Aber so ist der Alkohol: unberechenbar und mächtig.

Natürlich ist das alles nicht echt. Wie so vieles auf Drogen wirkt hier eher die Selbstüberschätzung als übermenschliche Kräfte. Risiken und Fähigkeiten werden im Zuge der Enthemmung systematisch fehlberechnet. Und das ist gefährlich. Wer schon einmal sehr betrunken irgendwo raufgeklettert oder runtergesprungen ist (und wer das nicht getan hat, war noch nie wirklich betrunken), der weiß: Die Wahrnehmung ist alkoholisiert so zuverlässig wie schwarz gebrannter Wodka.

In diesen vermeintlichen Superkräften lauert also wieder einmal die erste Zündschnur der Bombe Alkoholismus. Wäre man betrunken nicht irgendwie ein besserer Mensch, vielleicht sogar einer mit einer spektakulären Spezialfähigkeit, wäre der Kater deutlich sinnloser. Heldengeschichten machen nur Spaß, wenn jemand etwas Unwahrscheinliches vollbracht hat. Etwas, das man sich am nächsten Tag partout nicht mehr vorstellen kann. Im Gegenteil: Am Katertag fühlt man sich wie Superman nach einer Überdosis Kryptonit. Also absolut nicht superheldig, sondern bösewichtig.

In dem alten Werbespot fliegt übrigens ein Adler mit einer Flasche Spirituose über ein mystisches Gebirge. Seine Superkraft scheint zu sein, in seinem Schnabel ausgerechnet eine Flasche Gift zu transportieren, direkt zum Fernsehzuschauer. Mehr muss man eigentlich nicht mehr sagen.

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