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Betrunkene Geständnisse sind super! Und so befreiend!

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Die Rationalität ist eine sehr dünne Membran – und sie ist alkohollöslich. Unter ihr verbirgt sich etwas, das hässlicher sein kann als jeder Kater: die Wahrheit. Wahrheiten sind natürlich nicht per se hässlich, aber es gibt eben auch solche, die man eigentlich niemals aussprechen und am liebsten auch gar nicht erst denken würde. Aber nun ist es ja so, dass Nächte mit Alkohol häufig sehr lang und auch sehr hart sein können und es daher nicht jede Wahrheit unausgesprochen bis zum nächsten Morgen schafft, weswegen es dafür auch ein ganz eigenes Phänomen gibt: das betrunkene Geständnis. 

Betrunkene Geständnisse sind nicht notwendigerweise unangenehm. Da gibt es beispielsweise die Menschen, die sich um vier Uhr morgens wankend in den Armen liegen und einander mit feuchter Aussprache und wenig Sinnzusammenhang ganz existenzielle Dinge versichern: „Du bist wirklich mein aller-, aller-, ALLERBESTER Freund“, oder, „Tut mir echt suuuuuper leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, wir müssen unbedingt mal wieder was machen!“ Das ist alles nicht weiter dramatisch und man erinnert sich am nächsten Morgen vielleicht nur etwas beschämt an diesen kurzen Kontrollverlust, aber die Schäden werden als überschaubar eingeordnet, denn schließlich sagt man in dieser neoliberalen, auf Konkurrenz getrimmten Welt eh viel zu selten, wie sehr man jemanden mag oder schätzt. 

Manchmal sind betrunkene Geständnisse aber auch durchaus freundschafts- oder karriereschädigend. Es sind die Geständnisse, bei denen man mit vernebeltem Bewusstsein, aber ansonsten offenen Augen in die Katastrophe rennt. 

Der All-Time-Favourite unter den betrunkenen Geständnissen ist vermutlich die emotionale Übersprunghandlung nach einer Trennung: Während einen zunächst noch eine Aura von Freiheit und Unabhängigkeit durch die Nacht trägt, wird spätestens nach dem dritten Getränk die Rationalitätsmembran löchrig, das Herz schwer und das Gehirn weich. Wer jetzt keine guten Freunde bei sich hat, die einem entweder das Handy wegnehmen oder einen ins Taxi nach Hause setzen, der wird dem oder der Ex eine im besten Fall pathetische, im schlimmsten Fall schwer ausfällige Whatsapp-Nachricht schicken. Was darin steht, rangiert häufig irgendwo zwischen, „Ich wollte dir nur sagen, hicks, dass ich dich eh nie geliebt habe und nach der Trennung von Paul einfach nur einsam war“, und, „Schatz, wir schaffen das, schnief, du kannst auch mit anderen ausgehen, wenn du das willst, aber bitte lass mich nicht allein“. Sicher ist, dass diese Nachrichten freundschaftsschädigend (vorausgesetzt, ein „lass uns Freunde bleiben“ war überhaupt jemals geplant), nicht zielführend und obendrein auch noch ziemlich dumm sind. Das einzige, das noch viel schlimmer ist: Man ruft den oder die Ex im Delirium an und kann so am nächsten Morgen noch nicht einmal mehr nachvollziehen, was man alles gestanden hat. Nur eine diffuse Ahnung von Fürchterlichkeit liegt schwer auf der Brust. 

Der Kopf ist wie ein Gefängnis für Wahrheiten und der Alkohol ist der gut gelaunte, aber verpeilte Gefängniswärter

Neben diesen zwar vorhersehbaren, trotzdem aber eher spontanen betrunkenen Geständnissen gibt es auch das lange geplante „jetzt-sagt-ich-ihm/ihr-mal-richtig-die-Meinung“-Geständnis, das häufig bei Autoritätspersonen oder zumindest solchen Personen, die in der Hackordnung über einem stehen, zur Anwendung kommt: Der Chef zum Beispiel, dem man betrunken auf der Weihnachtsfeier endlich sagt, dass er Mundgeruch hat und dass man ihm in den Kaffee gespuckt hat, weil man sich wirklich mehr von seinem Praktikum erhofft hatte, als Barista zu spielen. Oder der fiese Mathelehrer, dem man auf dem Abiball mit ungefähr 2,0 Promille ins Ohr brüllt, wie sehr man ihn doch immer gehasst hat und wie erfolgreich man nach der Schule werden wird. Hier kommt er raus, der ganze Kleinkram, den man in sich hineingefressen hat. Wie hat man diesen Moment herbeigesehnt! Und jetzt fühlt man sich stark, unbesiegbar und vor allem im Recht. Aber betrunken klingt trotzdem alles plötzlich sehr ungelenk und die Worte verheddern sich. Solche betrunkenen Geständnisse fühlen sich vielleicht erst einmal sehr gut und befreiend an, sie sind aber (auch über den nächsten Morgen hinaus) massiv karriereschädigend und zeugen auch von einem beschädigten Charakter.

Das betrunkene Geständnis funktioniert aber auch umgekehrt: Eine nüchterne Person gesteht einer betrunkenen Person etwas, weil sie glaubt, dies sei der richtige Zeitpunkt und insbesondere der richtige Pegel, um endlich mit der Wahrheit rauszurücken. Der betrunkene Mitbewohner beispielsweise, den man nachts um fünf wankend vor dem WG-Klo trifft und dem man in diesem Zustand der massiven Desillusionierung gesteht, dass die von seiner Oma getöpferte Schüssel doch nicht aufgrund seismografischer Erschütterungen aus dem Regal gefallen ist, sondern auf ganz unnatürliche Weise fallen gelassen wurde. Eingeleitet mit, „Soll ich dir mal was erzählen?“, wird das Geständnis in eine Art Vertraulichkeit gegossen und möglichst beiläufig erwähnt. Denn der Betrunkene, so das Kalkül, hört einem eh nicht richtig zu oder wird sich am nächsten Morgen nicht mehr an die Unterhaltung erinnern.

Man sagt, Betrunkene und Kinder sagen immer die Wahrheit, und man sagt das so, als sei es etwas Gutes. Eine Errungenschaft, die man zwischenzeitlich als nüchterner Erwachsener verliert. Aber das stimmt nicht, denn es sind die Betrunkenen, die etwas verlieren: die Fähigkeit mit ihren Wahrheiten umzugehen. Sie halten ihre Wahrheiten wie Schilder in die Luft – auch die Wahrheiten, um die niemand gebeten hat, weil sie hässliche Zumutungen sind. Der Kopf ist im Grunde wie ein Gefängnis für Wahrheiten und der Alkohol ist der gut gelaunte, aber verpeilte Gefängniswärter, der ab und zu vergisst, eine Tür richtig zuzusperren. Man kann natürlich leicht dem Wärter die Schuld geben, aber das wahre Problem sind die Wahrheiten, die draußen frei herumlaufen.

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