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Sekt ist viel besser als sein schlechter Spießer-Ruf

Illustration: Federico Delfrati

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Neulich fand ich in meinem Postfach eine Mail mit dem Betreff „Sektchen?“ Leider war es nur eine freundliche Erinnerung an die Deadline für diesen Text. Trotzdem hüpfte mein Herz kurz hoch bei dem Gedanken, dass da jemand zum Sekttrinken lud. Nicht, weil ich eine besondere Vorliebe für „Stößchen“ kichernde Junggesellinnenabschiede hätte. Im Gegenteil: Ich finde, dass Sekt so viel besser ist als dieses Klischee, das ihn zum Spießergesöff Nummer eins degradiert hat und dabei völlig vergessen lässt, was für eine großartige Erfindung er eigentlich ist.

Dieses Imgage-Problem des Sekts ist sowieso eigentlich seltsam. Warum gilt der als uncool und spießig? Warum bringt niemand Sekt zu Partys oder Geburstagen mit, sondern nur Weinflaschen oder Prosecco oder gleich Champagner?

Am Getränk selbst kann es eigentlich nicht liegen: Angefangen mit dem aufregendsten aller getränkebezogenen Geräusche, dem Knallen des Korkens, kann der Sekt alles, was Prosecco, Champagner, Cremant und Co auch können. Dann das Hineinzischen ins Glas, das Kitzeln in der Nase beim ersten Schluck. Sekt vereint wie seine Schaum- und Perlwein-Kollegen die besten Eigenschaften des Alkohols: Er schmeckt so gut, dass man ohne weiteres drei oder vier Gläser trinken kann, ohne sagenhaft betrunken zu werden. Die Süße prickelt wie Limo, aber nie so sehr, dass man dabei den Promillegehalt vergessen würde. Dank der Kohlensäure bewegt man ihn mit der Zunge automatisch ganz anders als einen langweiligen Weißwein, der sofort den Hals hinuntergeglitscht ist, bevor bei der ersten Synapse überhaupt was ankam – und das, ohne dabei diesen grauenvollen Schlürf-Schluck-Move machen zu müssen, anhand dessen man selbsternannte Kenner schon von weitem erkennen (und meiden) kann.

Vielleicht ist Sekt einfach zu deutsch. Zu sehr Bonner Bundesrepublik, zu sehr Sektempfang im Rathaus Bottrop. Allein die Markennamen: Deinhard, Fürst Metternich, Mumm, Rottkäppchen! Da ist kein Glamour, keine Internationalität. Kein Sitzen auf der italienischen Piazza, kein französisches Genießertum.

Dabei macht gerade das den Sekt doch so sympathisch! Sekt ist glamourös, aber nicht Paris-Hilton-posh. Er ist demokratisch – alle kennen ihn, alle trinken ihn, er wird bei Onkel Willis Siebzigstem genauso mit Orangensaft gemixt wie bei Berlinale-Premieren.

Sekt ist ein ehrliches Getränk. Man muss keine Ahnung von Rebsorten und Hanglage haben, um Unterschiede herauszuschmecken. Ob er schlecht für einen ist, merkt man nicht erst am nächsten Morgen. Wer bei Sekt trotzdem an billigen Rausch, Katerkopfschmerz und peinliche Werbespots mit Weintrauben-in-den-Mund-steck-Szenarien denkt, sollte mal in die nächste Weinhandlung gehen. Einige Winzersekte werden von Experten inzwischen besser gerankt als Champagner.

Sekt macht glücklich. Ganz einfach deshalb, weil man mit ihm jeden noch so banalen Augenblick feiern kann, als wäre er der besonderste überhaupt. Der amerikanische Star-Architekt Daniel Libeskind hat mal im Interview mit der deutschen GQ erzählt, dass er und seine Frau ein Feierabendritual hätten: „Wenn wir abends nach Hause kommen, dann stellen wir frische Blumen in die Vasen, zünden ein paar Kerzen an, öffnen eine Flasche Champagner und sprechen einen Toast auf den vergangenen Tag aus. Und immer auch auf die Zukunft!“

Zugegeben: Das jeden Tag zu machen, kratzt an mancher Definition eines Alkoholproblems. Und in der Champagner-Variante kann sich das vermutlich kaum jemand leisten. Mit Sekt schon! Damit wird diese schöne Art, den Tag zu beenden, machbar. An einem durchschnittlichen Freitagabend, an dem man zu müde zum Ausgehen ist, aber die scheußliche Woche auf gar keinen Fall so lassen will, als wäre erst Donnerstag, fühlt sich Rotkäppchen in der Badewanne mindestens genauso erhaben an wie – hier kann ich natürlich nur mutmaßen – eine Magnumflasche Veuve Clicquot im Whirlpool.

Selbst, wenn Sekt uns nur situativ gut tun und man es deshalb auch hier nicht übertreiben sollte mit der Trinkgewohnheit: Er bringt ein bisschen Glitter in all das Grau. Und seien wir ehrlich, wer braucht den nicht? Manchmal muss das Leben perlen. Cheers, auf uns!

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