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Du willst keinen Sitznachbarn? Trink ein Bier!

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol. 

Jeder weiß es: Das Schlimmste im Leben, aber vor allem beim Zugfahren, sind die anderen Menschen. Sie nehmen Platz weg, sie riechen, sie essen, trinken, schmatzen und sprechen.

Was aber auch jeder weiß: Jammern bringt nichts. Das Geheimnis im Leben und beim Zugfahren ist, es sich einigermaßen erträglich zu gestalten.

Ich kenne eine Pendlerin, die versteht sich darauf meisterhaft. Die gestaltet ihr Pendlerschicksal so beneidenswert, dass man glatt selbst mal pendeln möchte, nur um es ihr nachzumachen. Hier ist ihr Freude-am-Pendeln-trotz-Feierabendverkehr-Ritual: Sie kauft sich am Bahnhof eine kühle Flasche Bier und nimmt sie mit in den Zug. Dieses Bier ist ihr Trick, sich im vollgestopften Zug die Leute vom Hals zu halten. Denn während sie es trinkt, Schluck für Schluck, dabei aus dem Fenster sieht, eine gute Playlist anhört, ein Buch liest und den Tag Revue passieren lässt, setzt sich garantiert niemand neben sie. Auf der ganzen Strecke nicht. 

Es handelt sich hier um eine integre, gepflegte Frau, die weder wirr monologisiert, noch nach Urinstein stinkt. Keine Rülpskonzerte, keine „Hast du mich angeguckt? Deine Mutter hat mich angeguckt!“-Blicke. Sie sitzt ja bloß da und trinkt gesittet ihr Bier. Was es daran auszusetzen gibt? Nichts natürlich! Aber würde man sich neben sie setzen? Nein.  

Denn Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln Alkohol trinken, umgibt eine Aura der Gefahr. Oder sagen wir lieber: eine Aura der Unberechenbarkeit. Was weiß man schon, welcher Misere sie grad davonzufahren versuchen? Außerhalb von Bars, Restaurants oder Sonntag-Picknicks in der Öffentlichkeit aus der Flasche saufen, wer macht sowas? Und dann noch allein? Genau: nur Opfer. Da muss Verzweiflung im Spiel sein, da ist die Demoralisierung bereits in Gange, da kommt jemand ganz und gar nicht mehr zurecht. 

 

Noch mag diese allein im Zug biertrinkende Frau ja aussehen wie eine berufstätige Art-Direktorin, aber wer weiß, wie lange noch? Wer weiß, ob ihr nicht heute gekündigt wurde, weil sie zu oft besoffen im Büro aufgetaucht ist? Ob sie vorhin beschlossen hat, ihre Medikamente mal nicht zu nehmen undgleich aufsteht, um einem die Flasche über den Schädel zu ziehen? Oder kotzt sie einem womöglich gleich das Kindle und die Ludwig-Beck-Tüte voll?

 

Wo auch immer ihr hinmüsst: Spart euch die Reservierung und nehmt ein Bier mit!

 

Man weiß es eben nicht. Züge oder Busse sind Orte, an denen man nicht mal eben abhauen kann. Da setzt man sich nicht direkt neben den Gefahrenherd. Schlimm genug, dass überhaupt einer mitfährt.

 

Deshalb, liebe Pendler und Pendlerinnen, liebe Reisende, liebe Anhänger des Mottos: „Lieber zwei Sitze für mich allein, als 1 fremden Sitznachbarn auf der Pelle!“, wo auch immer ihr hinmüsst: Spart euch die Reservierung. Sie kostet Geld und reserviert doch nur einen einzigen Platz. Auf den daneben kann sich jederzeit einer hinsetzen. Das passiert nicht, wenn ihr ein Alibi-Bier dabei habt, von dem ihr ab und an einen zarten Schluck nippt.

 

Und wer jetzt einwendet: Hallo, was ist, wenn ich morgens und nachmittags auch meine Ruhe im Zug will, aber noch kein Bier trinken mag? Kein Grund zur Panik! Alte Wodka-Gorbatschow-Flasche mit Münchner Leitungswasser oder Orangensaftschorle auffüllen und die Reise im menschenleeren Sechserabteil ist gesichert. Zur Not auch bis nach Barcelona. 

 

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