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In der Corona-Krise zeigt sich, was gute Chef*innen ausmacht

Die Corona-Krise ist mit Wucht ins Berufsleben gekracht und stellt auch das Verhältnis von Arbeitnehmer*innen und Führungskräften auf die Probe.
Illustration: FDE

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Lena* sitzt im Büro und starrt auf den Bildschirm ihres Rechners. Ihr Arbeitgeber, ein Tourismusunternehmen, hat auf die Krise mit drei neuen Marketingprojekten reagiert, die sie bearbeiten soll. Trotz Kurzarbeit ist ihre To-Do Liste lang. Zu lang, als dass sie alles in der verkürzten Zeit schaffen könnte. Lenas Chefin betritt ihr Büro. Zum dritten Mal heute. Sie stellt sich hinter sie und späht auf ihren Bildschirm. Wieso sie noch nicht fertig sei, will sie wissen. Lena seufzt leise auf. Es gäbe aber jetzt sowieso eine andere Aufgabe für sie zu erledigen, sagt ihre Chefin. Also: Alles stehen und liegen lassen. Lena ist frustriert. Sie fühlt sich kontrolliert. „Wir haben hier alle dasselbe Gefühl: Wir wurden nur so schnell aus dem Home-Office zurückbeordert, damit man uns wieder beobachten kann“, sagt die 29-Jährige. Fünf Wochen durfte das Team insgesamt von zu Hause arbeiten. Seit dem vierten Mai ist damit Schluss. Ihre Chefin habe gesagt: Wer nicht im Büro sitzt, arbeitet auch nicht. 

Home-Office, Umsatzeinbrüche und Ängste. „Die Corona-Krise ist mit so einer Wucht in unser Berufsleben gekracht, dass viele nicht darauf vorbereitet sind, mit den neuen Unsicherheiten umzugehen”, sagt Angelica Marte, Dozentin für Leadership an der Zeppelin Universität und Führungskräfte-Coachin. Sie erlebe vor allem ein Problem in dem vorgespielten Perfektionismus vieler Chef*innen. Schnelle Entscheidungen treffen zu wollen und den Anschein zu wahren, alles im Griff zu haben, sei gerade in Krisenzeiten fehl am Platz. „Ich muss als Chef*in meine Unsicherheiten authentisch kommunizieren und meinem Team klar machen: Ich kann das nicht alleine schaffen. Ich brauche euch“, sagt Angelica Marte. Wenn man seine Mitarbeiter*innen von vornherein in die gemeinschaftlichen Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse miteinbeziehe, fühle sich jeder einzelne intrinsisch motiviert und arbeite selbstverantwortlich. „Dann muss ich auch nicht hinter dem Rechner stehen und kontrollieren, ob gearbeitet wird.”, sagt Angelica Marte. 

„Ich hatte Angst, auf mein Handy zu schauen, nur um wieder eine Demütigung von meinem Chef zu lesen”

„Krisen verhalten sich wie Lupen. Bezogen auf die Krise bedeutet das: Was vorher schlecht lief, wird jetzt noch deutlicher. Aber eben genauso, was gut lief“, erklärt Angelica Marte. Auch Anton* musste miterleben, wie durch die Corona-Krise die schlechteste Seite seines Chefs zum Vorschein kam. Der 23-Jährige hat im März bei einer Gaming-Redaktion als Text-Praktikant angefangen. Schon nach ein paar Tage sind alle ins Home-Office gegangen. Die Kommunikation lief von da an über Slack und E-Mail. „Wir haben kein einziges Mal telefoniert oder ein Video-Meeting gehabt”, sagt Anton. Kontakt zum Team bestand nur am Anfang und Ende einer Aufgabe, die er erledigen musste. „Entweder hat der Chefredakteur meinen Text komplett umgeschrieben oder kommentarlos gelöscht”, erinnert sich Anton. Er fühlte sich verloren und nicht wertgeschätzt. Am schlimmsten war jedoch die Reaktion seines Chefs, als Anton ein neu veröffentlichtes Spiel testen und darüber einen Artikel schreiben sollte. Eine Woche Zeit habe er für die Aufgabe bekommen. „Dabei hat es alleine schon fünfzig Stunden gedauert, das Game durchzuspielen. Ich hatte also sehr wenig geschlafen und das Wochenende durchgearbeitet, um den Text rechtzeitig fertig zu schreiben”, sagt Anton. Für diesen Einsatz fand sein Chef leider keine positiven Worte. Er beleidigte ihn in einer E-Mail persönlich und anstelle von konstruktiven Feedback riet er Anton „mal ein vernünftiges Buch” zu lesen. „Ich war total am Boden zerstört. Von da an, fiel es mir morgens schwer aufzustehen. Ich hatte Angst, auf mein Handy zu schauen, nur um wieder eine Demütigung von meinem Chef zu lesen”, sagt er. Daraufhin entschied er sich, das Praktikum abzubrechen.

Aber wie schafft man es als Chef*in im Home-Office, mit dem Team in Kontakt bleiben? „Die Kommunikation richtig zu organisieren ist eine entscheidende Führungskompetenz”, sagt Angelica Marte. „In meinen Coachings geht es oft um Fragen wie: ‘Fliege ich jetzt dorthin? Reicht es zu telefonieren? Oder schreibe ich nur eine Mail’?”. Für jede Situation muss die Kommunikation gefunden werden, die sich für alle richtig anfühlt.“ Sie empfiehlt deshalb Teams im Home-Office mindestens einmal die Woche ein Video-Meeting zu organisieren. „Schreiben wir E-Mails fehlen Informationen, die wir uns aus Mimik, Gestik und Tonlage erschließen können. „Ich kann nicht spüren: Wie geht es dem anderen? Wo steht er gerade? Was braucht er?”, sagt die Führungscoachin. 

„Bei uns hat die Kommunikation durch Online-Meetings extrem an Qualität gewonnen”

 

Während Lena und Anton in der Krise unter ihren Führungskräften eher leiden, erlebt Hannes* genau das Gegenteil. Während der Krisenzeit hat sich noch einmal bewiesen, wie gut sein Chef das Team anleitet. „Bei uns hat die Kommunikation durch Online-Meetings extrem an Qualität gewonnen”, sagt der 24-Jährige. Hannes arbeitet seit drei Jahren als Sales Manager bei einem Medizintechnikunternehmen. „Es gibt keinen Smalltalk mehr am Anfang der Sitzung, das Warten fällt weg, weil alle extrem pünktlich sind und die Meetings sind generell kürzer angesetzt”, erzählt er. Und es gebe noch einen entscheidenden Vorteil: Jede*r kann seinen Bildschirm teilen. Dadurch gibt die einladende Person am Anfang immer einen kurzen visuellen Überblick über das Ziel der Sitzung. „Es hilft sehr, sich das bewusst zu machen, bevor man anfängt zu reden”, sagt Hannes.  

Nicht nur das schnelle Umstellen auf Online-Meetings begeistert Hannes. Sein Chef kommuniziere klar und transparent. Als die Geschäftsführung noch nicht allen erlaubt hatte, ins Home-Office zu gehen, organisierte Hannes Chef bereits für seine Abteilung ein extra Budget für Laptops und Headsets, damit alle Mitarbeiter*innen zu Hause optimal ausgestattet sind. Im Vergleich dazu müssen bei Anton und Lena der Großteil auf ihrem Privat-Laptop arbeiten. 

„Die Führung in der Corona-Krise hat die Arbeitsatmosphäre nicht nur vergiftet, sondern verpestet”

„Mein Chef kontrolliert nicht, er managt”, sagt Hannes. „Mit jedem aus unserem Team wurde genau durchgesprochen, welche Ziele wir erreichen wollen und welche Aufgaben jeder Einzelne dafür erfüllen kann.” Angelica Marte nennt das „Betroffene zu Beteiligten machen”. Wirksame Führung bedeute, Mitarbeiter*innen partizipieren zu lassen und an ihrer Weiterentwicklung interessiert zu sein. „Ich muss jeden Einzelnen fragen: Wo stehst du? Was brauchst du von mir als Chef*in? Der Organisation? Deinem Arbeitsort?”, sagt Marte. Hannes Chef tut das. Nach ein paar Wochen im Home-Office merkte Hannes, dass er nur halb so produktiv ist, wie im Büro. Als er das seinem Chef erzählte, verurteilte er Hannes nicht, sondern versuchte mit ihm gemeinsam eine Lösung zu finden. Die hieß: Einzelbüro im Unternehmen. „Mein Chef hat mich seitdem zweimal angerufen, nur um zu fragen, wie es mir geht. Das ist vor der Corona-Krise noch nie passiert, aber ich finde es super”, sagt Hannes.  

Anders ergeht es Lena im Touristikunternehmen. Ihre Chefin hat Stapel Aufgaben für Projekte auf Lenas Schreibtisch hinterlassen, deren Realisierung für die 29-Jährige keinen Sinn ergeben. Auf die Umsatzeinbrüche in der Tourismusbranche reagiere die Chefin mit blindem Aktionismus. „Die neuen Projekte kannibalisieren sich gegenseitig. Das merken wir hier alle. Aber uns wird schon lange nicht mehr zugehört.”, sagt Lena. Wird Kritik geäußert, berufe sich die Chefin lediglich darauf, dass sie die Entscheidungen treffen könne, weil sie nun mal die Führungskraft sei. Ohne fachliche Argumente und ohne sich auf eine Diskussion einzulassen. Vor der Krise sei das anders gewesen. „Da frage ich mich, wieso ich überhaupt eingestellt wurde, wenn ich nur wie ein Affe Arbeitsaufträge ausführen muss”, sagt Lena.

Zwei ihrer Kolleg*innen haben in den vergangenen Wochen bereits das Unternehmen verlassen. Sobald Lena etwas Neues findet, möchte sie auch kündigen. „Die Führung in der Corona-Krise hat die Arbeitsatmosphäre nicht nur vergiftet, sondern verpestet. Wir fühlen uns hier nicht mehr wohl. Ich habe keine Hoffnung, dass es nach der Krise wieder besser wird”, sagt Lena. 

*Namen wurden von der Redaktion geändert. 

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