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Nicht perfekt ist perfekt

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Spätestens wenn Sat 1 eine Serie zu einem Thema macht, kann man sagen: Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In der Reality-Show „No Body is perfect“ gibt es von Januar an nackte Menschen auf einer Insel zu sehen. Sie sind Coaches, die ihre eigenen unperfekten Körper vorzeigen, damit die Show-Kandidaten lernen, dass es in Ordnung ist, selbst nicht perfekt auszusehen - und am Ende selbst die Hüllen fallen lassen. Es sei ein „Body-Positivity-Experiment“, teilte Sat 1 mit.

Body Positivity ist ein Trend, der in sozialen Medien begonnen hat. Influencerinnen und Influencer veröffentlichen Fotos von ihren Speckröllchen, Körperhaaren oder Falten – Bilder ohne Nachbearbeitung und vorteilhafte Ausschnitte und oft auch ohne Make-up. Damit wollen sie erreichen, dass auch Menschen als schön gelten, die eigentlich nicht den Schönheitsidealen entsprechen. Schönheitsideale sollen sich erweitern. Das Übergrößen-Model Iskra Lawrence zum Beispiel postete im Sommer ein Bild von sich im pinken Badeanzug – samt Cellulitis. „Das Leben ist so viel einfacher, wenn man es für sich selbst lebt“, schrieb sie dazu. „Nicht für das Schönheitsideal eines anderen, die Bestätigung eines anderen oder eine sozial konstruierte Perfektion.“ Kein Zufall: Unter dem Foto markierte sie den Hersteller des Badeanzugs, Aerie, für den sie arbeitet.

Die Körperpflegemarke Dove hat bereits 2004 mit kräftigeren Frauen geworben

Body Positivity ist inzwischen nicht nur ein Social-Media-Thema, sondern ein großes Geschäft. Aerie, Sat 1 und eine immer länger werdende Liste anderer Unternehmen wollen Geld damit verdienen, dass Frauen – und seltener auch Männer – sich in ihren Körpern wohlfühlen. Sie setzen statt auf die lange üblichen Magermodels plötzlich auf solche, die irgendeinen Makel haben – was traditionell als Makel gilt. Die US-Einzelhandelskette Target bewarb Badeanzüge mit einem Model, das Dehnstreifen am Bauch hatte. Das Model Winnie Harlow, das wegen einer Krankheit große weiße Flecken auf ihrer dunklen Haut hat, ist seit Jahren sehr erfolgreich, unter anderem als Markenbotschafterin der spanischen Modemarke Desigual. Adidas hat das Model Arvida Byström in den Turnschuhen der Firma fotografiert, mit langen Haaren an den Beinen. Menschen haben ihr mit Vergewaltigung gedroht deshalb.

Angefangen mit Body-Positivity-Marketing hat die Körperpflegemarke Dove – und zwar schon 2004. „Wir sehen uns bei Dove als einen der Pioniere in Sachen Body Positivity“, sagt Hilke Krause, die beim Mutterkonzern Unilever für alle Haar-, Körper- und Zahnpflegemarken in Deutschland zuständig ist. „Für Unilever war das damals etwas völlig Neues. Es war auch intern eine Sensation, dass die Entscheidungsträger das mitgemacht haben.“ Dove wirbt mit „echten Frauen“ statt mit Profi-Models und will die Vielfalt in der Gesellschaft abbilden, zum Beispiel was Hautfarben und Körperformen angeht. Die Firma manipuliert die Fotos nicht und engagiert sich in Bildungsprojekten, sie will Mädchen Selbstbewusstsein vermitteln. „Werbung hat Macht“, sagt Krause. „Ich ertappe mich ja manchmal selber. Wenn ich ein Model mit einem Sixpack sehe, schaue ich an mir runter und denke: Das hätte ich auch gern. Dabei weiß ich eigentlich, dass ein Sixpack fast gar nicht zu schaffen ist.“ Besonders junge Mädchen seien anfällig für falsche Ideale. „Es geht auch darum, mehr Vielfalt an Vorbildern für junge Frauen zu zeigen.“ In einer der jüngsten Werbekampagne hat Dove Models ausgesucht, ohne vorher ein Bild von ihnen gesehen zu haben. Auswahlkriterium waren stattdessen Briefe, in denen die Frauen sich selbst und ihre Lebenswege beschrieben. Die Werbung habe sich auch finanziell gelohnt, sagt Krause. „Der Umsatz hat sich danach messbar gesteigert. Das bestärkt uns natürlich darin, weiterzumachen.“

Laut einer Studie der amerikanischen Northeastern University kommt Werbung mit Models mit verschiedenen Hautfarben, Körpertypen und sonstigen Merkmalen insgesamt gut an bei Kundinnen. Die meisten Frauen, denen die Forscher in einer Umfrage Bilder von Aerie-Unterwäschemodels zeigten, gaben an, sich danach mit ihren Körpern wohler zu fühlen. Auch die Marke werde positiver wahrgenommen, sie seien nun eher bereit, sie zu kaufen. Allerdings kritisierten auch einige der Befragten, dass selbst die leicht übergewichtigen Aerie-Models durchweg noch sehr attraktiv nach klassischen Schönheitsidealen waren. Sie stellten infrage, ob die Firma es tatsächlich ernst meine, schließlich gehe es ihr letztlich ja doch um Profit. Aeries Umsatz stieg im Jahr nach der Kampagne um 20 Prozent.

„Egal wie man aussieht, ist Pflege eine gute Idee.“

Entsprechend wächst die Zahl der Unternehmen, die bei dem Trend mitmachen. Die niederländische Unterhosenfirma Pockies wollte nicht mehr mit den immer gleichen durchtrainierten Männermodels werben, sondern suchte sich Laienmodels auf Berliner Straßen. H&M drehte vor ein paar Jahren ein Werbevideo mit Models mit Achselhaaren, einer Transfrau und diversen anderen Frauen, die sich nicht darum kümmerten, ladylike zu wirken. Die Drogeriekette Rossmann hat sogar einen Artikel auf ihrer Internetseite, in dem sie die Body-Positivity-Bewegung erklärt. „Du bist gut, so wie du bist!“, schreibt Rossmann. Die Schlussfolgerung, dass man dann diverse Produkte aus dem Sortiment nicht mehr kaufen müsste, erwähnt Rossmann nicht.

Es ist ein Dilemma, das manche Unternehmen weiterhin davon abhält, auf klassisch hübsche Werbefiguren zu verzichten. „Unsere direkten Konkurrenten machen das noch nicht“, sagt Krause von Dove. Sie würde es begrüßen, wenn mehr Firmen mitmachen, „weil es ja um gesellschaftlichen Wandel geht und man den nur gemeinsam schaffen kann“, sagt sie. „Oft fehlt doch noch der Mut.“ Gerade bei Kosmetikfirmen gebe es Nachholbedarf, die noch immer oft Faltencremes mit faltenfreien Gesichtern bewürben. Für Dove stelle sich das Dilemma nicht im gleichen Ausmaß. „Egal wie man aussieht, ist Pflege eine gute Idee.“

Die Body-Positivity-Bewegung hat sich in letzter Zeit weiterentwickelt. Aktivistinnen fühlen sich nicht wohl damit, dass der Kapitalismus die Idee gekapert hat. Außerdem kritisieren sie, dass sich zwar leicht erweitert hat, welche Frauen man in der Werbung zu sehen bekommt, aber eben nur leicht. Heidi Klums Fernseh-Castingshow „Germany's Next Topmodel“ zum Beispiel feierte sich selbst, weil es 2018 auch ein „Curvy Model“ ins Finale geschafft hatte. Es trug allerdings Konfektionsgröße 36/38, hatte also eine ganz normale Figur. Stark übergewichtige Frauen kommen in der Werbung kaum vor. Der Nachfolge-Trend zu Body Positivity heißt Body Neutrality – und dürfte bei Marketingmanagern wenig Anklang finden. Er vertritt, dass Frauen ihren Körper nicht mehr so wichtig nehmen und sich über andere Dinge definieren sollten.

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