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„Last Chance U“ hittet dich von der Blindside

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Die Serie:

Das Eastern Mississippi Community College (EMCC) ist nicht nur ein absurder Zungenbrecher, sondern auch eine Football-Schule mit ungewöhnlichem, aber erfolgreichem Konzept: Das College ist ein Sammelbecken der zweiten Chancen. Schulschwänzer, Problemfälle, Schläger: Talentierte Sportler, die sich die Karriere aus verschiedenen Gründen versemmelt haben, bekommen hier die Gelegenheit für einen zweiten Anlauf. Das große Ziel: nach Ende der Saison von einer Division-One-Universität aufgenommen werden. Der letzten Stufe vor der Profi-Liga NFL. Und damit die Garantie auf einen Haufen Kohle. Bedingung: Überragend spielen, um die Scouts auf sich aufmerksam zu machen und einen Noten-Durchschnitt von 2,5 bekommen. Letzteres ist für die meisten die schweißtreibendere Aufgabe.

Eine Saison lang begleitet ein Doku-Team die Mannschaft. Drohnen kreisen über dem Feld, Schulterpolster krachen in Zeitlupe aufeinander, die Kamera folgt den Schränken aus dem Nebel auf die Hitze des Rasens. Aber „Last Chance U“ ist bei weitem nicht nur in Bild gebannter Heldenepos aus Hollywood. Scheinbar unbemerkt mogelt sich das Kamerateam in jede Situation der Saison – Krisenkonferenz mit der Schulleitung: die Kamera ist dabei. Der geifernde Coach Buddy Stephens staucht einen Stammspieler zusammen: die Kamera ist dabei. Steak und Chips beim Trainer am Küchentisch, Schlägereien, Gehirnerschütterungen, die Studienberaterin legt zuhause die Füße hoch, die Spieler quälen sich in die Eistonne: die Kamera ist immer dabei.

Dabei sparen sich die Serien-Macher Einordnungen oder Wertungen, Texttafeln und Off-Stimmen. Die Episoden leben nur von den direkten O-Tönen der Protagonisten. Von der ungefilterten Freude nach einem Sieg, der Wut in der Kabine, der Frustration und Euphorie.  

Wo findest du die Serie?

Netflix.

Der Zeitaufwand:

Sechs Folgen à 50 Minuten macht fünf Stunden. Wer sich schon mal durch eine Super-Bowl-Nacht gequält hat, packt das an einem Abend. „JUST KEEP GOING!“

Wo du Zeit sparen kannst:

„THERE IS NO SHORTCUT!“ Wenn du in den Tälern mitleidest, werden sich Siege umso besser anfühlen.

Der heimliche Held:

Brittany Wagner ist die Studienberaterin der EMCC. Sie ist vielleicht der erste Mensch, der durch eine Doku-Serie zum Star wurde. Seit Staffelstart bekam Wagner über 10 000 neue Follower auf Twitter, Leute schickten ihr Liebesbriefe und sogar Heiratsanträge. Wagner ist die Mutter der Mannschaft. Die Spieler hängen bei ihr im Büro ab, sie telefoniert ihnen nach, wenn sie den Unterricht schwänzen, sie büffelt mit ihnen, leidet am Spielfeldrand, tätschelt Sturköpfe und spricht Machtwörter. Eine Mutter eben. Nur halt für eine Horde von knapp 50 Spielern.

Wie kannst du das vor deinem Gewissen rechtfertigen?

Seit einigen Jahren schlägt auch bei uns jedes Jahr die Super-Bowl-Bombe ein. Keiner hat einen Plan, wie das Spiel eigentlich funktioniert, aber jeder ordert schon mal Hühnerflügel, rote Plastikbecher und aufblasbare Riesenfinger, um sich das Spektakel möglichst kulturgetreu reinzuziehen. Kurz vor Anpfiff noch eine Münze werfen, für welches Team man mitfiebern soll, und los. Mitten in der Nacht warten dann alle übermüdet auf die Halbzeitshow und der Football-Crack in der Runde bemüht sich während des drei-bis-vier-stündigen Dramas, allen Umsitzenden die Regeln zu erklären.

Aber diesmal seid ihr dran! „Last Chance U“ ist zwar alles andere als ein Basiskurs Football. Aber man bekommt einen Einblick in Abläufe, Positionen und Spielzüge. Das sollte reichen, um bei der 50. Ausgabe des Bowls mit ein paar lockeren Sätzen aufzutrumpfen. Zum Beispiel: „Die Offense hätte nach dem Touchdown-Pass vom Rookie-Quarterback im Third-Quarter noch die Two-Point-Conversion machen müssen.“

So fühlst du dich danach:

Motiviert, verdammte Scheiße. Schmeiß dich in die Gym-Klamotte, schnall dir ein Stirnband um, geh raus und renn ein paar Nordic-Walker über den Haufen. Danach machst du 100 Burpees und fällst völlig vermuskelkatert in die Eistonne.

Und jetzt?

Football taugt zum Heldenepos. Und Amerikaner lieben Heldenepen. Dementsprechend viel Stoff gibt es über harte Männer die in Strumpfhosen und Brustpanzer gegeneinander prallen. „Gegen jede Regel“, „Blind Side“, „Sie waren Helden“ – die Liste lässt sich vermutlich bis zur Unendlichkeit fortführen. Wem nach „Last Chance U“ die Illusion genommen wurde, Football-College-Spieler wären vor allem dauerbesoffen und würden American-Pie-mäßig mit ihrem Ford Mustang zu „Teenage Dirtback“ auf den Campus rollen und Cheerleader-Mädels flachlegen, flüchtet sich vielleicht besser zu „Blue Mountain State“. In der Serie sieht man nicht einen vernünftigen Spielzug, dafür aber haufenweise Brüste, Bierbongs und Bullshit. Lange müsst ihr aber nicht mehr warten. Die zweite Staffel ist wohl schon in Planung und soll 2017 an den Start gehen.

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